: Klimatisierte Schafwolleinsteppung
Die zehn Prozent Deutschen auf la Palma setzen neue Konsumgewohnheiten ■ Von Christiane Oehlmann
La Palma. Isla verde. Isla bonita. Grün und schön ist die kleine Insel, unberührt in ihrer Vegetation, reizvoll für Naturmenschen. Wem dauernder Sonnenschein nicht liegt, kann sich in den östlichen Höhenlagen fast immer in den Wolken tummeln. Stürme und Regen bei auf 13 Grad sinkenden Temperaturen wecken Erinnerungen an deutsche Sommer. Und so kann sich der Deutsche an und für sich wetterfest bisweilen recht heimisch fühlen. Doch die Sonne kommt immer wieder schnell zum Vorschein und damit alles andere Anziehende der Insel auch.
Noch bevor der Italiener Riccardo sein Projekt, Pferdetrekking in den Bergen, über den ersten Spatenstich hinausgebracht hat, weiß er schon, daß er außer Spanisch auch noch Deutsch lernen muß. 80.000 Palmeros sehen sich einer wachsenden Zahl deutscher Mitbewohner gegenüber. 8.000 haben bisher ihren ständigen Wohnsitz auf die Insel verlegt und dazu beigetragen, daß die einheimische Lebensart aufgemischt wird. Hinzu kommen jährlich über 100.000 Touristen, in der Mehrzahl Deutsche, die die Nachfrage nach deutschen Produkten, deutschen Konsum- und Kulturbedürfnissen verstärken. Spanisch verschwindet zum Teil vollkommen aus den Texten des Insel-Anzeigenblattes. Findet „Italienische Designermode für sie und ihn“ etwa keine palmerischen Kunden? Und auch nicht die „Mode zum Wohlfühlen“, die Gärtnerei, der Installateur, viele Bauunternehmer, der Supermarkt? „Damit Sie auch im Urlaub so gut einkaufen wie zu Hause.“ – „Wir liefern gesicherte Qualität... Fenster aus Bayern.“ – „Qualitatives Bauen nach deutschem Standard.“
In Deutschland kann man also besser einkaufen, suggeriert das Insel-Anzeigenblättchen. Spanische Fenster fallen möglicherweise aus dem Haus, aber wollen nicht auch Spanischsprechende verstehen, daß nun deutscher Standard am Bau angesagt ist? Schließlich bauen auf La Palma auch Spanier vom Festland, und Einheimische haben in den letzten Jahren viele verfallene alte Häuser restauriert, wenn auch für den (deutschen) Tourismus. Das Geschäft „Alles für eine gute Nacht“ übersetzt gerade noch das Motto des Ladens ins Spanische. Und damit keine falschen Phantasien aufkommen, präzisiert das Wäschegeschäft auf spanisch, daß es sich beim Angebot um Federbetten und Baumwollpyjamas handelt. Weitaus genauer und umfangreicher fällt der Anzeigentext für die deutschsprachigen Schlafwandler aus. „Sisal Jute Qualitätspolsterträger, atmungsaktive Polsterung, beidseitige klimaregulierende Schafwolleinsteppung“ sind entweder unübersetzbar oder einfach rein deutsche Kriterien.
Die zehn Prozent Deutschen unter den Insulanern sind harmloser, als ihre zahlenmäßige Präsenz fürchten läßt. Die Insel eignet sich nicht für große Geschäftemacher. Ein Bauboom ist nicht zu befürchten, noch dominieren die Bananenmonokultur und das Bergleben. Mit Tourismus, diesem launischen Gewerbe, ist nur ab Mittelklasse abwärts bescheidenes Geld zu verdienen. Kleine Mietwagen, kleine Apartments und Fincas, keine Luxusrestaurants, alles liegt irgendwie im Bereich des Bezahlbaren und ohne Chichi.
Das touristische Dienstleistungsgewerbe macht sicher den größten Teil der Verdienstmöglichkeiten für Deutsche aus. Manche von ihnen kommen nur mit Geld, andere nur mit Ideen, einige ohne beides. Manche haben ihre Erbschaft von ein paar hunderttausend Mark als sicheres Polster für einen sonnigen Neuanfang mitgebracht und alles verloren. Nicht alles funktioniert wie zu Hause. Kommen, kaufen, schnell bauen. Denkste. Und das Glücksgefühl, Ausverkauf an die Deutschen zu betreiben, hält sich bei den Palmeros ebenfalls in Grenzen.
Die natürlichste Art für die Behörden, Wildwuchs in Grenzen zu halten, gelingt mit gepfefferten Preisen. Ein paar tausend Mark für eine Genehmigung, einen kleinen Laden zu öffnen, sind schon mal weg, bevor man die hohe Miete und kostspieliges Inventar bezahlen darf. Das kann sich selten ein Palmero leisten und der durchschnittliche Aussteiger auch nicht. Fliegende Händler sind nicht gern gesehen und unterliegen entsprechenden Beschränkungen mit dem Ergebnis, daß es sie nicht gibt. Was also machen mit der angestauten Kreativität für den Traum vom glücklichen Inselleben?
Wer ein brauchbares Handwerk gelernt hat wie Tischler, Maurer, Installateur, hat auch ohne besondere Anstellung oder eigene Firma gute Chancen. Georg, der Metzger aus Bayern, kocht in der deutschen Metzgerei seine Würste, in Deutschland war er arbeitslos geworden. Kai hat sich als Transportfahrer geweigert, lebendige Tiere durch Europa zu quälen, und fand keine Stelle mehr. Auf La Palma wurde er Handwerker, und er will gar nicht soviel verdienen, wie er könnte, sondern einfach nur dort leben.
Learning by doing hat sich auch Barbara gesagt. Zwanzig Jahre in Hamburg bei der Bank liegen hinter ihr, als sie sich mit Jürgen aus der ehemaligen DDR zusammentut und ein Häuschen auf La Palma mit Obst- und Gemüseanbau auf dem Grundstück kauft. Sie wußten nicht, was sie erwartete und womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen sollten. Ersparnisse gingen in die Immobilie, und dann hieß es Ärmel aufkrempeln. Inzwischen fühlen sie sich als Bauern, denn der Garten will beackert werden. Was liegt näher, als die eigenen Produkte zum Lebensunterhalt zu nutzen und Orangen und Gemüsebratlinge auf den vielen Floh- und Wochenmärkten zu verkaufen.
Klingt fast zu schön, aber wer bewußt der Konsumgesellschaft den Rücken gekehrt hat, kann hier tatsächlich unschwer ein einfaches Leben fristen. Jürgen versucht sich in seinem Beruf und bietet Unterricht in Computerprogrammen für Deutsche an, denn Spanisch können weder er noch Barbara nach einem halben Jahr.
Aus der Natur schöpfen liegt nahe auf La Palma. Die einen tun's mit Obst und Gemüse, die anderen mit Kräutern. Tim beispielsweise. Er baut Kräuter der Insel an. Aus Zitronengras, Lavendel und Rosmarin destilliert er schonend mit Wasserdampf ätherische Öle und verkauft die Heiltinkturen und Essenzen im eigenen abgelegenen Häuschen – überwiegend an Deutsche. Während Palmeros zunehmend den Glauben an die Pharmazie gefunden und den an ihren Kräutergarten verloren haben, boomt die Naturbranche bei deutschen Einwanderern und Touristen. Eine Biokostecke gibt's im kleinsten Supermarkt, mehrere Naturkostläden und Vollkornbäckereien lassen es an nichts fehlen, was der alternative Mensch braucht.
Alternativ und dennoch handfest und im großen Stil ist der Pueblo Parque, mit dem ein Gutverdienender seinen Abschied vor sechs Jahren aus Deutschland besiegelt hat. Ein Idealist, der für sein kleines Naturparadies draufzahlt und vermögend genug ist, es sich zu leisten. Die Hommage an alles, was La Palma an Pflanze und Tier, Handwerk und Geschichte bietet, hat er, bisweilen nah am Kitsch, auf ein ehemaliges verrottetes Avocadofeld plaziert und 6.000 verschiedene Zier- und Nutzpflanzen gesetzt, die ihr biologisches Gleichgewicht ohne chemische Zusätze selbst regulieren. Achtzehn Deutsche sind bei ihm beschäftigt, in mehreren Hütten können die deutsche Vollkornbäckerin, der Silberschmied, zwei einheimische Kunsthandwerker und eine belgische Naturkosmetikerin mietfrei den Besuchern des Parks ihre Produkte feilbieten. Sie tragen dazu bei, daß das ganze Ensemble wie eine Arche Noah erscheint.
Die Sintflut Deutschland hat sie früher oder später alle hierhergespült, Junge und Rentner, Betuchte und Mittellose, Menschen, die an die Kräfte des Vulkans glauben oder an ihrer Hände Arbeit. Aber nicht mehr an ihr persönliches Glück in Zwickau oder Berlin. Einer zieht den anderen nach. Die Milde des Klimas trägt zur Infrastruktur bei, damit immer mehr Deutsche sich hier zu Hause fühlen ohne die Nachteile des schlechten Wetters oder der Ellbogengesellschaft. Und es sind tatsächlich überwiegend klimatische und gesellschaftliche Gründe, warum sie eine kanarische Insel für ihr weiteres Leben wählten. Manche hatten vorher auf Teneriffa oder Gran Canaria gelebt, wo ihnen das zwischenmenschliche Klima schon wieder zu rauh wurde. Konkurrenz, Egoismus und Masse Mensch wollen sie nicht mehr ertragen müssen. Federn lassen mußten sie alle, aber für anhaltende Streßerscheinungen und Konflikte bieten selbstverständlich schon Psychoseminare Hilfe an.
Ob es allerdings Zufall ist, daß sich hier eine Menge esoterisch Angehauchter ein Stelldichein geben oder ob die Heterogenität der Deutschen einfach auch fern der Heimat über 50 Prozent hervorbringen, die an überirdische Einflüsse oder Energien aus der Materie glauben, bleibt dahingestellt. Hier können sich jedenfalls selbst die stursten Materialisten dem Zauber des Sternenzeltes nicht entziehen.
Die Deutschen haben sich einen kommunikativen Mikrokosmos auf La Palma geschaffen, und wenn das zweisprachige Insel-Anzeigenblatt auch oft einsprachige Inserate aufweist, so zeigt sich nicht nur dort, daß es in vielen Bereichen ein Nebeneinander von deutschem und palmerischem Leben gibt.
Man bleibt eben doch lieber unter sich, nicht nur, weil man sich mit der Sprache schwertut, die auch nach Jahren Aufenthalt noch nicht so recht gesprochen wird. Man hat aneinander eben alles, was man braucht. Verhüte der Vulkan, daß der bereits für Italien geltende Spruch auch für die Isla bonita gültig wird: La Palma ist ja wunderschön, nur die Palmeros...
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