: „Das Surfen auf Ereignissen“
Rainer Langhans (RL), Johannes Goebel (JG) und Christoph Clermont (CC) im Gespräch über Individualisierung, Marx, Zuversicht, Kohl und ihr Buch ■ Moderation: Christa Ritter
Ritter: Ihr habt in eurem Buch „Die Tugend der Orientierungslosigkeit“ behauptet: Alles ist gut. Trotz Arbeits- und Perspektivlosigkeit hätten wir es mit einer jungen Generation voller Mut zu tun. Wie waren die Reaktionen?
JG: Erstaunlich positiv. Wir hatten mit heftigem Widerspruch gerechnet und sind auf einen breiten Konsens gestoßen.
Bei wem? Wer war der erste, der sich gemeldet hat?
JG: Die erste Einladung kam vom alternativen Kulturzentrum ZAK in Düsseldorf. Das Aufregende dort war, daß ohne viele Worte ein Generationenkonflikt im Publikum entbrannte. Auf der einen Seite standen die etablierten Alternativen mit dem alten Lied von den herrschenden Verhältnissen und auf der anderen sehr junge Menschen. Sie zeigten wenig Verständnis für die ihnen angedichtete Machtlosigkeit. Und regten sich ziemlich über die Alten und deren verbissenen Pessimismus auf.
Herr Langhans, ist die Lage wirklich so rosig?
RL: Ich finde schon. Das wird in eurem Buch treffend beschrieben. Im Gegenteil: Es geht mir der Optimismus oft nicht weit genug.
Warum so fröhlich? 68 ist gescheitert, der Kapitalismus hat sich behauptet, und die Aktien steigen. Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher.
RL: Wenn man nach innen schaut, sieht es wunderbar aus. Ich als esoterischer Faschist...
Was ist ein esoterischer Faschist?
RL: Nach innen schauen und das 68er-Projekt der äußeren Negation vergessen.
Alles schön und gut, aber was heißt das in der Praxis?
RL: Kommune war schon damals der Abschied von Materialismus. Der Blick richtet sich das erste Mal nach innen. Wir nannten es Happenings. Spaß, sexuelle Revolution. Es war das Surfen auf den Ereignissen.
Was hatte Spaß mit Marx zu tun?
RL: Die Ursache des Faschismus wurzelt in der autoritären Persönlichkeit, in der Sozialisation durch die Kleinfamilie. Der „Unternehmer in eigener Sache“ hingegen findet seinen eigene Biographie...
JG: ... genau das ist es: Denn der einzige Garant gegen den Faschismus ist die Individualisierung. Je zersplitterter die Gesellschaft, desto stabiler und immuner gegen totalitäre Strukturen ist sie auch. Und Realität ist ja, daß kein junger Mensch heute noch an die Instantbiographie seiner Eltern anknüpfen kann. Die alten Sicherheiten von linearer Erwerbsbiographie und Rente sind passé. Die Generation der 18- bis 35jährigen hat sich längst auf den Weg gemacht ihr Leben ständig neu zu erfinden.
RL: Letztlich haben wir gewonnen. Die sinnstiftenden Instanzen wie Familie, Kirche und Organisationen haben auf ganzer Linie an Bedeutung verloren. Und das sehr sanft und ohne Blutvergießen.
Aber die meisten aus ihrer Generation, Herr Langhans, sind ja nicht Ihrer Meinung.
RL: Wer versucht hat, mit der Knarre in der Hand die Produktionsverhältnisse zu verändern, hat sich irgendwann halt selbst ins Bein geschossen. Und das tut weh!
Also, Sie haben die Machtverhältnisse anders verändert?
Langhans: Machen Sie doch mal die Augen auf: Unsere Kinder sind doch wunderbar, sie haben doch alles begriffen.
JG: Die antiautoritäre Erziehung war sicher ein Erfolgsmodell, doch viele 68er stehen heute vor unsrer Generation wie der Hexenmeister, der nicht mehr klarkommt mit den Geistern, die er rief.
Was dabei rausgekommen ist, ist doch eine unpolitische Konsumgeneration.
RL: Nein, wie in eurem Buch sehr gut beschrieben, erscheint das zwar oft noch so. Dahinter steht jedoch eine neue Art zu leben. Es geht ja längst ein Ruck durch Deutschland...
CC: Selbstverständlich! Wir haben heute ein breites Spektrum von Leuten, die sich in den unterschiedlichsten Aktivitäten von der Unternehmensgründung bis zur Umweltinitiative jenseits der klassischen Institutionen auf den Weg gemacht haben, selbst etwas zu bewegen. Wenn heute ein Azubi seine Ausbildung abbricht, weil ihm das, was er tut, einfach nicht mehr entspricht und statt der vermeintlichen Sicherheit das Neue probiert, dann sind das die vielen Aufbrüche im kleinen, die unsere Gesellschaft mehr und mehr bestimmen. Denn wie gesagt, Geld war noch nie ein Garant für Glück und Wohlbefinden.
RL: Das müssen wir feiern. Das was wir damals wollten, ist heute längst Realität. Laßt uns eine große Feier machen, damit wir spüren, wie wahr das ist. Schröder braucht eine neue Partei: Nicht die der Perspektivlosen, sondern die der Zuversichtlichen. Wir werden uns diesen Sommer in Berlin zu der „Feier der Zuversicht“ versammeln. Wir machen da weiter, wo Kohl aufhört.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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