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Die Entdeckung der Langsamkeit

Dreißig Jahre sind so gut wie nichts. Aber es war aufregend, schmerzhaft und schön. Über uns Frauen im Clinch mit uns selbst, den Männern, über Alice Schwarzer, über die unheimliche Stille und warum wir trotzdem gesiegt haben  ■ Von Christa Ritter

Stille, noch immer nichts als Stille, Jammern... Wer weiß, vielleicht wird sich das bald ändern... schon irgendwelche Zeichen gesichtet? Jaaaa: Draußen strahlt Kandidat Schröder manchmal schon offener und bemüht sich energisch-optimistisch von einem Auftritt zum nächsten zu tänzeln. Nicht unsympathisch. Wie geht's seiner Frau? Ab und zu trifft er sie abends zu Hause. Ob sie, wie er, während der Arbeit gelächelt hat? Und wenn ja, war ihr Lächeln echt? Wie geht es Hillu, wie geht es mir, den Frauen? Die Frauenbewegung hat verloren, und ihre „Galionsfigur“ tanzt auf den „alten“ Hochzeiten. Zu laut, zu schrill und zu dick. Derzeit findet man Alice Schwarzer bei einer der beiden neuen Frauenparteien, bei der „rechten“, nicht bei den jüngeren Powerfrauen. Außerdem streitet sie ab Mai für RTL jeden Sonntag als Moderatorin zusammen mit einem der alten Männer des Journalismus, mit Johannes Gross und mit Gästen. Und was machen wir? Na klar: Wir haben gewonnen. Nur wissen tun wir's noch nicht. Die „anderen“ Frauen entdecken die Langsamkeit...

Um mich, die anderen und diese eigenartigen Zeiten vielleicht ein bißchen besser zu verstehen, las ich die nicht autorisierte Schwarzer- Biographie von Bascha Mika. Die zweite Biographie der Duzfreundin habe ich lieber vermieden. Ihr Koautor Gert von Paczensky lief mir dann in der Zeit über den Weg: Sein Streitgespräch mit Bascha Mika war eigentlich deprimierend, fand ich. Dieses uralt-vermuffte, patriarchale Machtdenken von Mann... Auch ich als Frau hab's noch in den Knochen. Warum dauert es so lang, bis sich die Schleier der Illusionen endlich heben? Alles ist gut.

Vielleicht versuche ich mal eine Theorie. Zu 68 und den Folgen, Männern und Frauen, zu Alice. Sie stammt nicht von mir, paßt aber zu meinen eigenen Erfahrungen. Die taubstumme Adenauer-Ära drohte uns zu ersticken, deshalb riefen wir den großen Geist. Er kam 68 über uns: All you need is love. Die Himmel öffneten sich überall im Westen und verhießen: Es gibt mich, weil mein Herz brennt. Damit war, ohne daß wir es kapierten, ein für alle mal die alte Frauenrolle futsch. Denn der Geschlechtervertrag beruhte zum Schluß auf Enge, Herrschaft, Abhängigkeit, Besitz. Niemand würde von jetzt ab wirklich noch jemandes „Sklave“ sein können. Wir würden also zunehmend nicht mehr von außen, sondern aus uns selbst handeln? Mir kam das vor wie eine Erleuchtung.

Die Studenten an den Berliner Unis reagierten auf den neuen Geist unterschiedlich. Eine Hälfte war wohl schwer patriarchal geschädigt und hatte die Schrecken von Macht und Autorität entsprechend hart zu entsorgen. Sie ging auf die Barrikaden, mystifizierte und ideologisierte als SDS die „Mühseligen und Beladenen“ (Dutschke) und heizte gegen den Staat immer gewaltsamer auf. Die anderen Hälfte kam eher aus dem Künstlerischen. Diese „Spaßvögel“ der Bewegung ließen sich erst gar nicht auf das ungleiche Machtspiel mit dem Staat ein. Sie probten Kommune, weil sie schon visionierten, jede neue Politik fängt in einem selbst an. Encounter, lange Haare, Drogenversuche. A whiter shade of pale und Uschi Obermaier in der K1.

Der Kampf auf den Straßen wurde bald immer aussichtsloser, und die Verzweifelsten verschwanden langsam im Untergrund: RAF, Bewegung 2. Juni, K-Gruppen. Dagegen schauten die Kommunarden weiter nach innen: Hippiezeit, WGs, Beziehungskisten. Da gab es sexuelle Experimente, Zärtlichkeit und Tränen und Lachen – angetrieben von der Frage: Wer bin ich? Wir wissen, die harte Fraktion der Bewegung hat dann verloren. Aber sie fand ihr späteres Pendant in der Frauenbewegung, dem Schwanz- ab-Feminismus. Dort sammelten sich die Frauen, die ähnlich hart drauf waren wie die SDSler. Vielleicht fühlten auch sie sich von ihren Nazi-Eltern schwer geschädigt und mußten ihre Aggression draußen ausleben. Einerseits fühlte ich mich wie ein Hippie, andererseits erstickte ich fast an meinem aufgestauten Männerhaß. Das war durchaus auch lustvoll!

Die Frauenbewegung setzte also wie der SDS nicht auf die Erforschung eigener innere Mißstände, sondern auf den Wechsel äußerer Machtverhältnisse. Damit blieb sie „patriarchal“. Die Männer waren die Bösen, an allem schuld und hinderten mich an meinem Glück. Dieses Gefühl hat seinen Ursprung auch im autoritären Familienroman von Alice Schwarzer: kein Vater, aber ein idealisierter Großvater. Patriarchal-autoritär, „faschistisch“, selbst wenn er, wie Schwarzer sagt, sehr lieb war. Die sehr junge Mutter der unehelichen Tochter widersprach nicht, blieb in der Familie schwach, der Körper verachtet, ihre Weiblichkeit diffus.

Mikas Buch erzählt erhellende Episoden aus Schwarzers Zeit in Paris und später Berlin und Köln. Alice muß ihre Aggressionen abarbeiten: Schmeißt Mitarbeiterinnen von heute auf morgen raus, klaut sich die Emma-Gründung, kräht als Macho-Hahn unter der faszinierten Hühnerschar. Wehe, eine muckt auf, wehe, ist eine schwach, nie ist sie selbst an irgend etwas schuld, nie laufen die Tränen. Die Frau Alice Schwarzer scheint es wie ihre Mutter eigentlich gar nicht zu geben. Kann das wahr sein? Sie wirkt auf mich, wenn man mal die Maske der Kraft wegläßt, eher schwach und wie eine vom Wahn Getriebene, die vor sich selbst davonläuft. Ungerecht, zu hart? Heißt das, Alice Schwarzer privatisiert (so wie alle anderen Frauen?) nach wie vor ihre Gefühle, wie es die Frauenbewegung den Männern vorwarf? „Das Private ist politisch!“ Das fordert sie nur für den Mann?

Deshalb hat sie Charisma und eine enorme Kraft, hat viel bewegt und manches mobilisiert. Was blieb dabei auf der Strecke? Wer ist sie hinter der Pose der Kämpferin wirklich? Ihre Gefechte scheinen die „alten Männer“ zu lieben, das ist ihnen vertraut. Diese Frau respektieren sie. Die stellt ja das ganze Gewalt- und Kampfgeheul der Männer nicht wirklich in Frage. Paczensky in der Zeit: Man müsse über die „Heldin“ auch „Nettes sagen“. Er nimmt sie gar nicht ernst. „Ich sehe aber ihre finsteren Seiten auch nicht.“ Denn Alice signalisiert ihm, ich will keine Frau, ich will ein Mann sein.

Mir hat sie manchmal imponiert, hat mich oft abgestoßen, denn ich bin ihr eben in vielem gar nicht so unähnlich. Die Frage bleibt: Wie kann man das Nazi-Erbe loswerden und doch noch sein Herz finden? Oder ist das auch mir längst wirklich passiert. Und unsere Herzen haben gesiegt? Übrigens geht die zitierte These weiter: Die Experimente der Kommunarden wurden von allen später aufgegriffen und haben viel verändert. New Age, Therapie, Spiritualität, ein veränderter Politikbegriff. Dort wanderten die Frauen, die weniger frauenbewegt unterwegs waren, sanfter. Dort landete auch ich – nach einer ersten Phase feministischer Hetzjagd. 20 Jahre Münchner „Harem“. Mühsam, spannend, viel frau — wenig mann. Wer bin ich? Alice Schwarzer scheint sich mit diesem Problem einen längeren Atem zu gönnen, macht hier noch ein bißchen Emma, antichambriert dort bei Blüm, Augstein, Oberbürgermeister, Vorstandsetagen. Orden, Kreuze, Ehrungen. Hessischer Rundfunk, RTL. Nachts liegt sie – und das muß erst Bascha Mika outen – mit einer Frau im Bett. Kichernd oder heimlich weinend, weil sie sich, die Frauen und die Männer reingelegt hat? Ist also Alice Schwarzer eine „Selbst-Verräterin“?

Vielleicht weiß sie mehr, als sie zeigt, und das Gegenteil ist wahr, und nur meine „Harems“-Brille verhindert die klare Sicht. Möglicherweise ist die „feministische Posaune, die lauter war als die anderen“ (Paczensky), ja weiter als wir, endlich rundum zufrieden, und kein Mann gibt ihr den Blick frei auf Alice Schwarzer. Wie aber sieht unsere innere Landkarte aus, wie meine? Noch verbergen wir Frauen uns lieber, statt schon öffentlich selbstbewußte Gespräche zu üben. Weil wir „Pionierinnen“ uns selbst und den Männern noch nicht trauen? Sich auf die Suche zu machen, überhaupt nach dem Herzen zu fragen, soll das Schwerste der Welt sein, heißt es. Für Männer und Frauen. 30 Jahre sind nichts.

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