: Bonbons für die Parteipiraten
Seit 2.700 Studenten den Berliner Landesverband der FDP übernehmen wollen, ringt die Partei mit ihrer ungewohnten Popularität. Jetzt werden die ersten StudentInnen vor Prüfkommissionen zitiert. Ein Selbstversuch ■ Von Christian Domnitz
Berlin (taz) – Eigentlich hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt. Nun sitze ich mit Menschen an einem Tisch, an denen ich vorher naserümpfend vorbeigegangen wäre. Jochen und Frank heißen sie und gehören zum FDP-Bezirksvorstand im Prenzlauer Berg. Sie tragen kurze Haare und sind frisch rasiert. Ich bin es nicht. Stefan und Marcel haben wie ich einen Stoppelbart und studieren auch irgend etwas. Unsere drei Aufnahmeanträge liegen ausgefüllt auf dem Tisch.
41 Mitglieder hat die FDP im Prenzlauer Berg, mehr als dreihundert Studenten wollen plötzlich in den Bezirksverband aufgenommen werden. Wenn es so schwer ist, selbst eine politische Gruppe zu gründen, so die Idee des Studi-Projekts Absolute Mehrheit, dann besetzen wir eben eine bestehende Partei und drängen ihr unsere Ziele auf. Eine schwächliche Organisation wie die Berliner FDP biete sich für diesen Handstreich regelrecht an, sagte mir jemand. Kein Wunder, daß die FDP-Oberen Angst bekamen – und beschlossen, jeden Parteianwärter persönlich zu überprüfen.
„Wir wollen mit offenen Karten spielen“, sagt der gut rasierte Frank vom Bezirksvorstand. Nirgendwo in Berlin ist das Zahlenverhältnis zwischen Altliberalen und Neueinsteigern so kraß wie am Prenzlauer Berg. Das hiesige „FDP-Café“ ist eine Mischung aus Büro und Klubraum. Wie beim Kindergeburtstag liegen Bonbons herum. „In einer Partei kann man eine Menge machen. Wo wollt ihr mitarbeiten? Kommunalpolitik? Ausschußarbeit?“ Stefan und Marcel, die beiden mit Stoppelbart, drucksen herum. Verkehrspolitik würde ihn interessieren, sagt Marcel. Wirtschaft findet Stefan ganz faszinierend, und ich rette mich mit Bildungspolitik. Aus der Ecke kommen wir ja schließlich.
Konkretes hatte ich mir nicht vorgestellt, fällt mir auf. Nur die Idee fand ich ganz witzig. Eine Partei kapern – so etwas Schräges gab es noch nie. Also füllte ich den Zettel aus, den mir ein Kommilitone vor drei Monaten unter die Nase hielt. An der Uni war gerade Streik, und alle Studenten engagierten sich für irgend was. „Ich gehe jetzt auch in die FDP“, erzählte ich meinen Kumpels dann in der Mensa. Die fanden das gut.
Nun sitze ich dumm da und unterhalte mich mit Jochen und Frank über liberale Politik. „Viele sagen, wir wären eine ausgesprochene Wirtschaftspartei“, sagt Jochen. „Aber das stimmt nicht. Die Leute nageln uns auf dieses Thema fest.“ Frank sagt, daß die FDP bei einer verkehrspolitischen Initiative im Bezirk sogar mit der PDS zusammengearbeitet hätte. „Da ging es um die Radfahrer, die fahren doch immer auf dem Gehweg oder über rote Ampeln. Die sollen mal in die Straßenverkehrsordnung gucken!“ Vor einiger Zeit hätten die FDPler Infostände im Prenzlauer Berg aufgebaut, erzählt Jochen. „Dort beschimpfte man uns. Wir haben wohl alle eine masochistische Ader.“
Bei den letzten Kommunalwahlen erreichte die Partei im Bezirk nur ein Prozent. Im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt sie nicht, und in der Bezirksverordnetenversammlung ist sie Zuschauer. Der Landesverband ist zerstritten. „Bei uns gibt es zur Zeit drei Parteiflügel“, sagt Jochen. „Eigentlich vier“, korrigiert ihn Peter Gadow. Der ältere, gepflegte Mann gründete einst die Ost-FDP und saß dann fünf Jahre im Abgeordnetenhaus. „Wir sind so zerstritten, daß uns die Studenten eigentlich nicht schaden können.“ Er lacht und winkt ab. „Es ist doch eine Chance, daß jetzt so viele in unsere Partei wollen. Aber andere Mitglieder waren dagegen. Und so hatten wir auch darüber einen großen Streit.“ Marcel, Stefan und ich, wir grinsen. Jochen, Frank und Herr Gadow sagen, daß sie vom breiten Interesse der Studenten überrascht wären. „Da gibt es sogar einen, der freiwillig in die Sitzungen der Bezirksverordneten geht.“ Stefan und Marcel erscheinen statt dessen etwas müde.
In die Partei würde jeder aufgenommen, der sich irgendwie als liberal erweise, erklärt Herr Gadow. „Liberal ist für uns, wer einen großen Toleranzbegriff hat und wer daran glaubt, daß jeder einzelne sein Leben selbst in die Hände nehmen kann.“ Nur wenige der Studenten würden wohl abgelehnt, sagt Jochen. Doch bisher hätte nur ein Drittel die Einladung zum Gespräch angenommen. „Vielleicht liegt das ja an den Semesterferien.“ Marcel und Stefan sind schon gegangen. Ich setze mich auf mein Rad und fahre nach Hause. Auf dem Gehweg.
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