piwik no script img

Diplomatie geht durch den Magen

Großbritanniens Regierungschef will in Jerusalem und Gaza den Nahost-Friedensprozeß wiederbeleben. Doch davor steht das israelische Protokoll  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Ein reibungsloses Bankett über die Bühne zu bringen, nach dem alle zufrieden und satt nach Hause gehen, scheint zwischen Briten und Israelis schlicht unmöglich. Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert boykottierte gestern das Staatsessen mit Premier Tony Blair. Außenminister Robin Cook war bei seinem Besuch im vergangenen Monat das Abendmahl sogar vorenthalten worden. Ministerpräsident Netanjahu, verärgert über Cooks Besuch in der Siedlung Har Homa, hatte gleich das Festmahl abgesagt. Olmert zeigte sich jetzt erbost darüber, daß ihm ein Gespräch mit dem britischen Premier vorenthalten wurde. Die Briten hatten darauf bestanden, daß die Visite beim Bürgermeister von Jerusalem nur dann stattfinden könne, wenn auch ein Besuch beim palästinensischen Repräsentanten in Jerusalem, Faisal Husseini, das Protokoll schmücke. Das aber wollte das Büro von Netanjahu um jeden Preis vermeiden. Olmert warf daraufhin seinem Intimfeind Netanjahu genüßlich vor, die Jurisdiktion Israels über ganz Jerusalem für ein protokollarisches Linsengericht verkauft zu haben.

Noch ein anderes protokollarisches Geplänkel hatte im Vorfeld des Besuchs von Blair für Alarmstimmung gesorgt. Ein palästinensischer Offizieller hatte voller Stolz vorzeitig kundgetan, daß Blair die Nacht in Gaza verbringen werde. Eine bislang einmalige Geste, die israelischen Protokollchefs zum Kampf um Blairs Schlafstatt herausforderte. Mit einem eindeutigen Punktsieg, der wiederum protokollarisch verschleiert wurde: Weil Blair früh am Morgen eine israelische Schule besuche, könne ihm ein unpassend frühes Aufstehen in Gaza nicht zugemutet werden, lautet die Erklärung. Blair will den Friedensprozeß wiederbeleben.

Was er in Nordirland gelernt habe, könne auch im Nahen Osten nicht falsch sein, sagte er in einem Kommentar, der gestern gleichzeitig in der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post und der arabischen al-Quds erschien. Neben Binsenweisheiten wie der, daß die Suche nach Frieden niemals leicht sei, beschrieb Blair auch die Rolle der Europäischen Union, deren Präsidentschaft Großbritannien derzeit innehat. Sie müsse „komplementär“ zur Rolle der USA sein. Die EU könne gerade auf wirtschaftlichem Gebiet dem Friedensprozeß einen neuen Impetus geben.

Netanjahu will den Gast mit einer „Charme-Offensive“ umgarnen. Sogar von einer Einladung in die Privatresidenz des Ministerpräsidenten ist die Rede. Dem Konflikt um die Siedlungspolitik aber dürfte Blair dennoch nicht ausweichen, auch wenn er sich taktischer verhält als sein Außenminister und erst einmal die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und das Grab von Jitzhak Rabin besucht.

Doch schon vor Blairs Ankunft holte gestern die blutige Realität den Nahen Osten wieder ein. Bei Hebron wurde ein israelischer Siedler von Palästinensern erschossen, zwei weitere wurden verletzt. In Jerusalem lieferten sich palästinensische Demonstranten und israelische Polizisten am Samstag eine Straßenschlacht, als die Polizei eine Demonstration zum „Tag des Gefangenen“ gewaltsam auflöste. Noch immer warten mehr als 3.000 palästinensische Gefangene auf ihre Freilassung. Nordirland wäre da ein schönes Vorbild. Aber Netanjahu ist eben nicht Blair.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen