: Schulpolitischer Populismus
■ Ausländerquote, Ausländerklassen, Sprachtests: Was Politiker in Wahlkampfzeiten fordern, ist entweder unpraktikabel - oder an den Schulen unter weniger martialischen Namen gängige Praxis
Mit Verwunderung haben Lehrergewerkschaft und Schulpolitiker gestern auf den Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) reagiert, den Ausländeranteil in Schulklassen auf 20 bis 30 Prozent zu begrenzen. „Was die CDU einführen will, ist bereits bestehende Rechtslage“, sagte die bündnisgrüne Abgeordnete Sybille Volkholz.
Zwar werden SchülerInnen deutscher und nichtdeutscher Herkunftssprache seit der Abschaffung der Ausländerregelklassen 1995 grundsätzlich gemeinsam unterrichtet. Haben SchülerInnen wegen mangelnder Sprachkenntnisse erhebliche Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen, erhalten sie zusätzlich vier bis acht Wochenstunden Förderunterricht. Nach dem geltenden Schulgesetz dürfen sie aber höchstens ein Viertel einer Klasse stellen. Gibt es in einer Jahrgangsstufe mehr SchülerInnen mit schlechten Deutschkenntnissen, dann werden Förderklassen gebildet.
Im Unterschied zu den früheren Ausländerklassen sollen sie die SchülerInnen darauf vorbereiten, innerhalb von höchstens zwei Schuljahren in eine Regelklasse zu wechseln. Wer zunächst die Förderklasse besuchen muß, entscheidet „die Schulleitung oder von ihr beauftragte Lehrkräfte“ innerhalb von ein bis zwei Wochen nach Schuljahresbeginn.
Nicht allein Diepgens Quotenverlangen, sondern auch die Forderung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger nach „Ausländerklassen“ und des SPD- Abgeordneten Peter Schuster nach einem „Sprachtest“ ist also unter weniger martialischen Namen in Berlins Schulen bereits gängige Praxis. „Was wollen die Herren denn dann?“ fragt daher Sanem Kleff, bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zuständig für multikulturelle Angelegenheiten. Offenbar solle die Quote im Klassenzimmer als Ersatz für eine Zuzugssperre in ganzen Bezirken herhalten. Schulpolitik werde als Mittel der Bevölkerungspolitik mißbraucht, um die Innenstadtbezirke „von Kosten für nichtdeutsche Sozialhilfeempfängern zu entlasten“.
Eine Quote für ganze Schulen sei ohnehin in der Praxis nicht umsetzbar, selbst wenn SchülerInnen per Bus in weiter entfernte Schulen gefahren würden. Bei der künftigen Bezirksfusion von Kreuzberg und Friedrichshain mit einem Anteil von 60 beziehungsweise 5 Prozent SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache würde es sich auf den ersten Blick zwar anbieten, SchülerInnen auf die jeweils andere Seite der Spree zu schicken. Weil aber deutsche Eltern aus Friedrichshain kaum zu bewegen seien, ihre Kinder nach Kreuzberg zu schicken, „müßte jede dritte Schule in Kreuzberg geschlossen und in Friedrichshain neu gebaut werden“.
Vor allem stößt sich Kleff daran, daß Diepgen und Böger ständig von „Ausländern“ reden, wo eigentlich nur SchülerInnen mit nichtdeutscher Herkunftssprache gemeint sein könnten. Nicht der Paß, sondern die Sprachkompetenz müsse den Ausschlag geben – schließlich könnten viele Aussiedler trotz ihres deutschen Passes kaum Deutsch, während umgekehrt viele Ausländer die Sprache perfekt beherrschten.
Einig waren sich bislang Koalition, Opposition und Gewerkschaften, daß der Senat mehr Geld für Sprachunterricht bereitstellen müsse. Diepgen hatte angekündigt, einen großen Teil der Gelder aus dem Innenstadtprogramm dafür zu verwenden. Jetzt hat aber Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) in einem internen Schreiben an Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) weitere Einsparungen unter anderem auch beim Förderunterricht verlangt. Schönbohm lehnt als Herr über den öffentlichen Dienst Stahmers Pläne zur Verlängerung der Lehrerarbeitszeit ab, weil sie ihm nicht weit genug gehen.
Der SPD-Abgeordnete Schuster forderte gestern erneut, die Debatte über die Lehrerarbeitszeit durch die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells zu „versachlichen“. Kurzfristig könne es nur darum gehen, den Unterricht für das kommende Schuljahr zu organisieren. Schönbohms Vorstoß sei daher kontraproduktiv: „Ich weiß nicht, wo der Mann lebt.“
Schönbohms Sprecher hingegen warf der Schulsenatorin vor, sie habe die Arbeitszeitverlängerung durch ihre schließlich gescheiterten Verhandlungen mit der GEW unnötig verschleppt. Zur Frage des Förderunterrichts wollte er sich jedoch nicht äußern. Der Innensenator sei allein für den Stellenrahmen, nicht aber für „inhaltliche Fragen“ zuständig. Ralph Bollmann
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