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Wenig Hoffnung auf Sklavenlohn

Bremer Landgericht verhandelt Klage von jüdischen Zwangsarbeiterinnen. Sie werden für ihre Ausbeutung im Dritten Reich voraussichtlich kein Geld bekommen, weil sie schon anderweitig entschädigt worden sind  ■ Von Joachim Fahrun

Bremen (taz) – Ehemalige ZwangsarbeiterInnen haben kaum eine Chance, für ihre Sklavenarbeit während der Nazi-Zeit Lohn zu erhalten. Das gilt zumindest dann, wenn sie schon auf eine andere Weise für ihre Leiden unter dem NS-Regime entschädigt worden sind. Diese Einschätzung der Rechtslage machte am Dienstag das Landgericht Bremen deutlich.

In mündlicher Verhandlung ging es um Forderungen von drei jüdischen Frauen im Alter zwischen 75 und 85 Jahren gegen die Bundesrepublik Deutschland. Voraussichtlich wird die Zivilkammer jedoch einer der Klägerinnen, die als rumänische Staatsangehörige noch kein Geld erhalten hatte, 15.000 Mark zusprechen. Das Urteil wird für Juni erwartet.

Die Vertreter der Klägerinnen wollen nicht gelten lassen, daß eine Entschädigung etwa für KZ-Haft mit einem Lohn für geleistete Arbeit gleichgesetzt wird. Klaus von Münchhausen, der Bremer Vertreter des Auschwitz-Komitees, verweist auf einen Präzedenzfall in der deutschen Rechtsgeschichte. Im IG-Farben-Gesetz hatte der Bundestag 1957 beschlossen, allen ZwangsarbeiterInnen des Chemie- Giganten mindestens 5.000 Mark Lohn nachzuzahlen, unabhängig davon, ob sie noch anderweitig entschädigt würden.

Der Anwalt der Bundesrepublik argumentiert dagegen, daß durch das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1953 sämtliche Ansprüche abschließend geregelt seien. Auch das Bremer Landgericht macht einen Unterschied zwischen solchen Opfern, die schon Leistungen gemäß des BEG erhalten haben und solchen, die bisher völlig leer ausgegangen sind. Zwei der Bremer Klägerinnen, die heute in Deutschland und Israel leben, erhalten bereits als ehemalige KZ- Häftlinge eine Rente. Allein die Frau, die bisher als Rumänin nicht in den Geltungsbereich des BEG fiel, hat nach Meinung der Bremer Richter einen „Wertersatzanspruch“. Ihr Anwalt hatte aber nur 15.000 Mark gefordert. Die beiden anderen Frauen verlangen den Lohn für zehn Monate Zwangsarbeit. Der Bremer Wirtschaftsprofessor Otto Steiger hatte in einem Gutachten nach heutigem Geld einen Stundenlohn von 13 Mark angesetzt und kam bei Zwölfstundentagen und Siebentagewochen auf 40.000 Mark.

Offizieller Sklavenhalter der drei Bremer Klägerinnen war zwischen August 1944 und April 1945 der Bremer Senator für das Bauwesen. Unterlagen aus dem Bremer Staatsarchiv belegen, daß die Behörde im August 1944 800 weibliche Häftlinge beim SS- Wirtschafts-Verwaltungshauptamt angefordert hatte. Sie sollten Trümmer wegschaffen und in der zerbombten Stadt Behelfswohnungen bauen. Die 500 Jüdinnen aus Ungarn und 300 aus Polen wurden an der Rampe in Auschwitz zum Arbeitseinsatz aussortiert. Bis zum 4. April 1945 schufteten die Frauen in Bremen, bewacht und gequält von SS-Wächtern. Bremen überwies vier Mark pro Frau und Tag an das KZ Neuengamme. Die Arbeiterinnen wurden bremischen Firmen zugeteilt, die ihrerseits den Senat bezahlten. Vor den herannahenden Briten wurden die Frauen ins KZ Bergen-Belsen transportiert. Dort starben viele kurz vor der Befreiung.

Seit 1990 verlangen überlebende Frauen den entgangenen Lohn von der Bundesrepublik Deutschland. Denn das Deutsche Reich, dessen Rechtsnachfolger die Bundesrepublik ist, hat als Vermittler der ZwangsarbeiterInnen die Leihgebühren von Firmen und Kommunen eingestrichen.

Die Bremer Klage war nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1997 möglich geworden. Demnach stehen nach dem Abschluß des Zwei-plus- Vier-Vertrages zwischen Deutschland und den Siegermächten einer individueller Entschädigung keine völkerrechtlichen Schranken entgegen. Bis dahin waren individuelle Zahlungen an NS-Opfer gemäß des Londoner Schuldenabkommens von 1953 gestundet, um den deutschen Wiederaufbau nicht zu gefährden.

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