: So sehen sie das Ende der RAF:
■ Zwei ExterroristInnen, ein Exminister und ein Engagierter
Klaus Jünschke kam im Herbst 1971 zur RAF, im Juli 1972 wurde er verhaftet. Er bekam „lebenslänglich“, saß 16 Jahre: Dieses Schreiben ist theoretisch dürftig und menschlich arm. Das alte Tabu – kein Wort über die Opfer – wird nicht gebrochen. In dem Papier ist die Rede von Befreiung und Emanzipation. Befreiung von was denn? In einer Demokratie auf Gewalt zu setzen, ist ein verheerender Irrtum. Es gibt keine Legitimation für Gewalt, wir waren blind. Heute müßte die Linke Verantwortung für die noch Gefangenen übernehmen. Die RAF war Teil von ihr. Aber die Politik, auch die Grünen, hat kein Interesse.
Foto: M. Kerstgens
Monika Berberich, RAF-Mitglied der ersten Stunde: Diese Selbstauflösungs-Erklärung der RAF hat rein formalen Charakter. Der bewaffnete Kampf ist doch schon lange ad acta gelegt worden. Die Leute, die mit dem System nicht ihren Frieden gemacht haben, orientieren sich schon längst an den Fakten. Sie suchen schon lange nach anderen Wegen, wie man den Befreiungskampf voranbringen kann. Daß dieses Schreiben den Inhaftierten etwas bringen wird, glaube ich nicht. Ob jemand vorzeitig aus der Haft kommt, ist eine rein individuelle Frage, die nicht durch so ein formales Schreiben beeinflußt wird.
Foto: Marco Limberg/Xpress
Gerhart Baum (FDP), Staatssekretär im Herbst 1977 und Bundesinnenminister 1978 bis 1982: Man hätte manchem die Spitze nehmen können, wenn es nicht zu dieser Annahme der Kriegserklärung [durch den Staat; d. Red.] gekommen wäre. Wir haben den Terroristen den Gefallen getan, daß sie so eine unglaubliche Wirkung gehabt haben. Eine Handvoll von Rechtsbrechern hat wie nie zuvor oder danach in der Geschichte der Bundesrepublik unsere Gesellschaft erschüttert. Wenn man sieht, mit welcher stoischen Ruhe die Engländer die IRA ertrugen, und hier die Aufgeregtheit und den Abbau von Liberalität vergleicht... Man hätte früher über Motivation reden müssen, nicht mit den Mördern, aber mit denen, die noch erreichbar waren. (Deutschlandfunk)
Foto: Vario-press
Ralph Giordano, Schriftsteller: Die RAF hat nun also einen „Kampf“ aufgegeben, den sie von vornherein verloren hatte. Nur pflastern jetzt 32 Ermordete und 26 Tote aus den eigenen Reihen die blutige Strecke eines „Projektes“, das so inhuman war wie die Sprache, die es kreierte und die bis in den unbelehrten Absagetext prolongiert wird. Die RAF war nie etwas anderes als das deutsche Exekutionsschwert jener „Internationale der Einäugigen“, deren eine Fraktion auf dem linken, die andere auf dem rechten Auge blind war, verräterische Gleichheiten, ungeachtet unterschiedlicher Vorzeichen. Aber selbst der Offenbarungseid bringt Deutschland noch in Schwierigkeiten: kann nach ihrem Ende der rechte Terror doch nicht mehr gegen den linken aufgerechnet werden.
Foto: Frank Rogner/Netzhaut
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