: Der Euro kommt, Kohl geht
■ Der Bundestag stimmt mit großer Mehrheit für die Einführung des Euro, nur die PDS ist dagegen. Helmut Kohl sagt der europäischen Währung in seiner womöglich letzten großen Rede eine „Erfolgsstory“ wie die der D-Mark voraus
Bonn (taz) – Der vom Kanzler gern zitierte Mantel der Geschichte wehte gestern durch den Bundestag. Mit überwältigender Mehrheit votierte das Parlament mit 575 gegen 35 Stimmen für die Einführung des Euro zum 1. Januar 1999. Ein historischer Erfolg des Kanzlers: der Anfang einer neuen europäischen Politik. Zugleich der Anfang des Abschieds von der Kanzlerschaft: Die Würdigungen der politischen Leistung gerieten zum Nachruf auf Helmut Kohl – bewußt oder unbewußt.
Seine eigene, nachdenkliche Rede war keine Ausnahme. „Eine der wichtigsten Entscheidungen dieses Jahrhunderts“ nannte Kohl das Votum. Er sei sicher, daß die Zustimmung zum Euro binnen weniger Jahre ebensogroß sein werde wie die zur D-Mark. Mit der Einführung der D-Mark habe auch niemand ihre Erfolgsstory vorausgesehen. Zunächst hatte Kohl Hans-Dietrich Genscher, einen weiteren Europapionier, der mit seiner Euro-Werbung zum letzten Mal das Wort im Bundestag ergriff, gewürdigt.
Das erwartete Duell mit SPD-Kanzlerkandidat Schröder fiel aus. Schröder gab sich wenig aggressiv: Er kritisierte, daß die Bundesregierung die Ängste der Bevölkerung vor dem Euro nicht ernst genommen habe und forderte die Vereinbarung von Mindeststandards auf europäischer Ebene, „damit Sozialdumping ein Fremdwort ist“.
Schröder sowie der Chef der Bündnisgrünen, Joschka Fischer, hielten der Regierung vor, keine Volksabstimmung über den Euro durchgeführt zu haben. Dies ist zwar von der Verfassung nicht vorgesehen, die SPD hatte aber die Einführung der Volksabstimmung im Grundgesetz gefordert. Fischer sagte: „Wir hatten nicht den Mut, aber...“, und dabei richtete er sich an den Bundeskanzler, „...wir hätten gewonnen.“ Fischer betonte sein „klares Ja zum Euro“, forderte aber eine gemeinsame europäische Anstrengung zur Bekämpfung des Gerechtigkeitsdefizits angesichts 18 Millionen Arbeitsloser. Er frage sich, sagte Fischer, ob das konservative Lager überhaupt zur Integration geeignet sei. Dagegen spreche zum Beispiel die Weigerung der Bundesregierung, in Deutschland geborene Kinder von Ausländern einzubürgern, wie es sonst in Europa gang und gäbe sei.
Vor allem der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, brachte Wahlkampfakzente in die Debatte. Er hielt Schröder die Blockade der SPD gegen die von der Koalition geplante Steuerreform vor. Die Sozialdemokraten hätten bei der Modernisierung der Bundesrepublik versagt, schürten aber Ängste vor Veränderungen. Nach Schröders Rede sei er ganz sicher, daß er mit der Ablehnung einer Großen Koalition recht habe. Schäuble wurde von der Unionsfraktion mit demonstrativ langem Beifall gefeiert.
Als einzige Partei stimmte die PDS gegen die Europäische Währungsunion. Wer für den Euro stimme, organisiere „ein Europa des Dumpings“ und produziere Rassismus, sagte PDS-Chef Gregor Gysi. Als Bundeskanzler Kohl zum Rednerpult ging, stellten die Abgeordneten der PDS rotumrandete Schilder mit der Aufschrift „Euro – so nicht“ auf ihren Pulten auf. Die Schilder wurden von Saaldienern entfernt. Erst dann sprach der Kanzler.
Markus Franz Tagesthema Seite 3,
Interview mit dem Vizepräsidenten der Bundesbank, Johann Wilhelm Gaddum, Seite 9
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