: Gemetzelte Schwestern
Choral am Ende der Seife: Heute wird die Sat.1- Soap „Geliebte Schwestern“ abgedreht. Beim Abschlußdreh dabei war ■ Frank M. Ziegler
Sat.1 hat seine „Geliebten Schwestern“ gefeuert, und das im Wortsinne: In der Nacht vom 18. auf den 19.4. ließen die Pyrotechniker der Columbia- TriStar mit Explosionen, Rauch und platzenden Fensterscheiben das gesamte Akademische Hospital bis auf die Grundmauern niederbrennen. Ich war dabei. Alle haben geweint. Es war furchtbar! Ausgestrahlt wird das Endzeitdrama zwar erst am 13.Juni, aber die rund 1,6 Millionen Stammzuschauer kann ich jetzt schon beruhigen: Keine Angst, Eure Helden werden alle überleben, nur Eure Soap ist dann tot.
Am Drehort in der belgischen Kaserne Köln-Junkersdorf trommelt ein Typ mit Handy und Wollpullover die Crew zusammen: „Mittagessen!“ Es ist ein Uhr nachts. Die kurzfristig aufgestellte Heizöfen bollern verzweifelt gegen den Nachtfrost. Von wegen „Mittagessen“! Ha! Der bisher aufwendigste Dreh in der deutschen Dayly-Soap-Geschichte zieht sich von Samstag, 21 Uhr, bis Sonntag früh um sieben. Draußen regnet es in Strömen, gepinkelt wird auf „Dixie“-Klos, und der „Herr Ziegler“ von der Presse sitzt einmütig mit Dr. Werner Metz und Schwester Karen am Biertisch, verzehrt Fleischklößchen und stellt 21 Schauspielern die blöde Frage: „Und, was machen Sie denn jetzt?“
Schwester Micki (Mareike Fell) zuckt die Schultern: „Pff, was werd' ich schon machen? Is' halt vorbei. Nehm' ich halt den nächsten Job an.“ Professorentochter Raffaela Steinfeld (Ivonne Schönherr, 17) will „Maskenbildnerin“ werden, Kneipenbedienung Lara Zapf (Lilia Lehner) wird „vermutlich auf die Schauspielschule gehen“, und die biestige Verwaltungschefin Eva Schröder (Edda Fischer) fährt sich über die rußgeschwärzten Bäckchen: „Ich werd' ganz furchtbar weinen, wenn's vorbei ist!“
Schuld ist der schlechte Geschmack der Gucker
Wer hätte das von ihr gedacht? Bis zum 15. Mai werden die „Sterbenden Schwestern“ noch wie gewohnt jeden Werktag um 19 Uhr ausgestrahlt. Dann ändert Sat.1 seine Programmschiene. Die letzten zehn Folgen gibt es deshalb in fünf Zweierpacks: jeweils Samstags mittags von zwölf bis eins.
Ein „total bekloppter Sendeplatz“, meint Producer Dirk Eisfeld. Ich meine das auch. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte nach nur 250 Folgen der Mullbinden-Daily auch noch lange nicht Schluß sein müssen. Die Schuld daran darf man getrost dem schlechten Geschmack der Zuschauer geben: Nur eine Million Gucker mehr hätten die „Schwestern“ zum Überleben gebraucht, aber die Damen und Herren von der Zielgruppe guckten ja lieber „Verbotene Liebe“ und „Unter uns“, wo die Schauspieler wie Bretter durchs Bild laufen und die Dialoge inzwischen so dumm sind, daß man beim Zuhören einen Blutsturz kriegt.
Sie geben noch beim Untergehen ihr Letztes
Auch den Sat.1-Verantwortlichen ist die dauerhaft schlechte Quote ein Rätsel. Hatten sie doch seit letztem Herbst alles getan, um ihr tägliches OP-Spektakel noch aus dem Quoten-Koma zu hieven: neue Schauspieler, neue Autoren, neue Titelmusik – nur leider keine neuen Zuschauer. Das ist verdammt schade. Jetzt hocken die ganzen Damen und Herren Schwestern engumschlungen an den kargen Biertischen, frieren mit mir und kauen herumgereichte „Gummibärchengebisse“.
Es sind wirklich alle da, und alle bleiben bis Tagesanbruch hocken, wie mit Pattex festgepappt. Sogar diejenigen, die gar nicht drehen müssen. Sarah Bergen zum Beispiel, die die doofe Nina Hoffmann spielt: „Ich hab' schon letzte Woche meine letzte Szene abgedreht. Aber ich kann doch nicht wegbleiben, wenn meine armen Kollegen kollektiv in Lebensgefahr schweben!“ Die „armen Kollegen“ tun mir tatsächlich leid: Die geben noch beim Untergehen ihr Bestes, obwohl der Kampf um die Quote schon lange verloren ist.
Gerecht ist ihr Rauswurf bestimmt nicht, denn wo die Akteure von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auch noch nach Jahren ungestraft die darstellerische Präsenz einer Kiste Tulpenzwiebeln an den Tag legen dürfen, da hatte die Schwestern-Soap mittlerweile tatsächlich einen schauspielerischen Standard erreicht, bei dem das Zuschauen Spaß machte: Talentierte Leute, die für eine Daily zum Teil überraschend lebensnahe Dialoge auf die Mattscheibe brachten: „Mach mir mal noch 'n Pils!“ „Nee, oder?! Dann kotzt du doch!“
Gebracht hat es nichts. Die allerletzte Klappe fällt beim Nachdreh heute in der Studiokulisse in Köln-Hürth. 120 Menschen sind dann arbeitslos: Kameraleute, Beleuchter, Schauspieler...
Die Stimmung der Kaltgestellten beim Down-Nachtdreh in der eisigen Kasernenhalle ist trotz alledem gut: Barmann Felix Reikart (Samer Nassif) und Ex-Kneipenchef Paolo (Jonny Müller) legen um drei Uhr morgens noch eine Breakdance-Improvisation für die Kollegen hin, die sich gewaschen hat. Dr. Metz (Ulrich Drewes) kippt eine Flasche Weißwein („Ich hab' eh keinen Text mehr“) und singt dabei „She's allways a woman to me“ in sein Glas, und Lernschwester Anna legt zum Jubel der ganzen Mannschaft plötzlich mitgebrachte ABBA-CDs auf. Gemeinschaftliches Endzeitschunkeln zu „Dancing Queen“.
Sat.1 macht keine Daily mehr: „Wir sind geheilt“
Man kann nicht sagen, daß die Darsteller in dieser letzten Nacht ihrer Soap am Boden zerstört wirken. Samer „Felix“ Nassif: „Mir ist das noch nicht ganz klar, daß es jetzt vorbei sein soll. Wir waren so ein großartiges Team. Und diese Nacht gehört einfach noch einmal uns. Uns allen zusammen!“
Dann muß er raus in den Regen zum Außendreh: Komparsen rasen mit Feuerwehrwagen heran. Rauch dringt aus den Fenstern. In den Flammen eingeschlossen: Felix' Freundin Lara, die noch während des Dramas von Chefarzt Prof. Georg Steinfeld (Ludwig Schütze) operiert wird. Der hat gerade erst geheiratet, und seine Braut (die schöne dänische Kneipenchefin Bianca) steht draußen und wird hysterisch... Dramatisch, gell? Genaueres hier noch nicht. Wie gesagt: Alles wird gut!
Die „Schwestern“ sind nach „Die Wagenfelds“ (auch Sat.1), „Jede Menge Leben“ (ZDF) und „Alle zusammen, jeder für sich“ (RTL 2) die vierte deutsche Daily, die vorzeitig endete. Zumindest Sat.1 wird in Zukunft die Finger von ähnlichen Langzeitprojekten lassen: „Wir sind geheilt“, versichert der Programmchef.
Und wenn am 13. Juni der endgültig letzte Abspann der „Geliebten Schwestern“ über unsere Bildschirme flimmert, wird Steinfeld den schönen letzten Satz sagen: „Ich hätte nie gedacht, daß es so zu Ende geht.“ Der Rest ist dann – ganz realitätsnah – ein totverkündender Dauerpfeifton.
P.S.: Und nun gewinne ich noch eine Wette mit Dr. Metz alias Ulrich Drewes. Denn der letzte Satz dieses Artikels ist zwar sinnlos, aber dafür die Rosine aus meinem Interview mit ihm: „Doch schon!“
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