: Weg vom Lagerfeuer
Und sie blühen doch! Die gesamtdeutsche Landschaft erlebt einen Aufschwung Folk. Dabei hat die Folk-Bewegung in Ost und West ganz Unterschiedliches erlebt ■ Von Christian Rath
„Vereint wirkt also dieses Paar, was einzeln keinem möglich war“, so sangen die Minnerocker von Ougenweide in den 70er Jahren in der Ballade „vom Blinden und dem Lahmen“. Etwas Ähnliches scheint sich auch in der deutsch- deutschen Folk-Szene nach 1990 zugetragen zu haben. Das Zusammenwachsen von Ost und West erfolgte nicht nur ohne hörbare Konflikte, es hat in der damals eher kränkelnden Folk-Landschaft offensichtlich auch erstaunliche Energien freigesetzt.
Sichtbarster Ausdruck dieser Folk-Renaissance ist das jährliche Tanz- und Folk-Fest im thüringischen Rudolstadt. Rund 60.000 überwiegend junge Leute kommen jeweils am ersten Juli-Wochenende ins drängend volle Zentrum des Saalestädtchens. Ein Veranstalterteam aus ost- und westdeutschen Alt-Folkies hatte ein etwas abgestandenes Folklore-Tanzfest übernommen und binnen weniger Jahre mit einer neuen Konzeption den großen Aufschwung bewirkt. Neben einem bunten und originellen Programm, bei dem es mehr auf Qualität als auf große Namen ankommt, werden jeweils ein Land und ein Instrument besonders gefeaturet. Heuer werden es Portugal und das Banjo sein. Inzwischen gilt Rudolstadt als eines der wichtigsten Festivals für Folk- und Weltmusik in Europa.
Angesteckt vom neuen Schwung gründete sich 1996 die Lobby-Organisation Pro Folk neu. „Die Folk-Szene muß weg vom Lagerfeuer und sich professionalisieren, nur so kann sie wieder breites Interesse gewinnen“, beschreibt Jo Meyer vom Pro-Folk-Vorstand das Ziel des Verbandes, der sich am letzen Wochenende zu seiner dritten Jahreskonferenz in der Berliner Werkstatt der Kulturen getroffen hatte. So organisiert man jährlich gemeinsam mit dem Mitteldeutschen Rundfunk einen auf den internationalen Markt zielenden „Folk-Förderpreis“.
Ein weiteres Zeichen des neuen deutschen Folk-Selbstbewußtseins ist Folker! – das Musikmagazin, modern gestylt wie etwa das WOM-Magazin. Der Gedanke an Wollpullis und Sandalen soll erst gar nicht mehr aufkommen. Folker! fiel aber nicht vom Himmel, sondern ist das Produkt einer Fusion des westdeutschen Folk- Michel (mit 20jähriger Geschichte) und des ostdeutschen Folksblatts (immerhin auch 16 Jahre alt).
Bruch mit dem Brauchtum
Von einer „Wiedervereinigung“ der Folk-Szenen zu sprechen verbietet allerdings die Logik, denn die Folk-Musik hat sich in Ost- und Westdeutschland bis zur Wende ziemlich eigenständig entwickelt. In Westdeutschland begann alles 1964 mit dem jährlichen Festival „Chanson Folklore International“ auf der Burg Waldeck im Hunsrück. Hier traf sich die erste Riege deutscher Liedermacher: Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, Walter Mossmann, aber auch Reinhard Mey. Obwohl mit der Burg Waldeck ausdrücklich ein Ort mit Bezug zur Wandervogel- Tradition der Jahrhundertwende gewählt worden war, beschäftigten sich eigentlich nur Hein & Oss Kröher sowie der früh verstorbene Jürgen Rohland mit überlieferten Volksliedern – vor allem politischen Liedern aus der deutschen 48er-Revolution. Beim letzten Waldeck-Festival 1968 wurde es dann „ungemütlich“, Teile des Publikums wollten nur noch diskutieren und hißten die Fahne des Vietcong auf der Bühne.
Vom Kampflied zur DDR-Alternativszene
Unpolitischere Volksweisen, Trink- und Liebeslieder wurden erst Mitte der 70er Jahre aufgegriffen. Vorreiter waren dabei Hannes Wader, das Duo Zupfgeigenhansel sowie die Gruppen Liederjan, Fiedelmichel und Elster Silberflug. Es war die Zeit der zahllosen Folk-Festivals, viele davon im Freien, die Hochzeit der Alternativbewegung. Doch die alten Haudegen des kämpferischen Liedes waren unzufrieden. „Eine Stimmung läuft durchs Land: weg vom Politischen, hin zum Privaten“, beschwerte sich Degenhardt damals.
Eine ähnliche Entwicklung gab es auch in Ostdeutschland, und doch war alles ganz anders. Was sich im Westen als Entpolitisierung darstellte – die Umorientierung vom politischen Lied hin zu einem alternativen „Lebensgefühl“ –, hatte in der DDR eher den Charakter einer Politisierung, einer Opposition durch Folk.
Alles begann 1966, als der kanadische Sänger Perry Friedmann in Ost-Berlin einen ersten Folk-Club gründete, der von offizieller Seite bald in „Oktoberklub“ umbenannt wurde. Die FDJ versuchte, die Folk-Welle als „Singebewegung“ zu integrieren. Bei offiziellen Feiern mußten die jungen Leute im Blauhemd antreten und linientreue Gesänge zum besten geben. Ansonsten boten die Gruppen aber auch einen gewissen Freiraum. Ab 1970 veranstaltete der Oktoberklub in Berlin das jährliche „Festival des politischen Liedes“.
Eine mehr oder weniger eigenständige Folk-Bewegung gab es erst ab 1976. In jenem Jahr fand in Leipzig, der wichtigsten Stadt des DDR-Folks, die erste „Folk- Werkstatt“ statt. Die Singeklubs verloren zu dieser Zeit spürbar an Attraktivität, weil die FunktionärInnen nach der Biermann-Ausbürgerung versuchten, die Freiräume enger zu machen. Die damals gegründeten Folk-Gruppen Folkländer, Wacholder und Liedehrlich (mit dem 1985 ausgebürgerten Stephan Krawczyk) sowie etwas später JAMS sollten in den folgenden Jahren tonangebend bleiben.
Wie im Westen sang man auch im DDR-Folk gerne Lieder der 48er-Revolution (etwa „Die Gedanken sind frei“). So konnten die spießige Obrigkeit angeklagt und hin und wieder sogar Auswanderungsgedanken thematisiert werden. Nach 1981 differenzierte sich die Szene aus. Wacholder machten Heine-Programme und beteiligten sich an der „Hammer-Rewüh“, einem happeningartigen Gesamtkunstwerk, das fast ein Jahr durch die DDR tourte. Die Folkländer sattelten angesichts der aufkommenden Volkstanzwelle auf Tanzmusik um.
Heute, acht Jahre nach der Vereinigung der beiden Folk-Landschaften, ist Folk zwar keine „Bewegung“ mehr, die Szene aber vital wie selten. Trotz hoher musikalischer Qualität fehlen allerdings noch etwas die neuen Stars und Hallenfüller. Den Durchbruch geschafft haben bisher vor allem irlandorientierte Gruppen wie Paddy goes to Holyhead oder Fiddler's Green. Und im alpinen Raum mit seinen noch lebendigen Wurzeln sind Gruppen wie die Hundsbuam oder das österreichische Schlagzeug/Akkordeon-Duo Attwenger erfolgreich, die Avantgarde der „neuen Volksmusik“.
Weltmusik mit europäischen Wurzeln
Am spannendsten sind aber Fusionprojekte, die weit in den Weltmusikbereich hineinreichen, wie etwa die Kölner Schäl Sick Brass Band mit ihrer persischen Sängerin. Gut durchgemischte Weltmusik machen auch Gruppen wie Hoelderlin Express aus Tübingen und U.L.M.A.N. aus Leipzig, aber dort sind die europäischen Wurzeln so stark, daß man schließlich doch lieber von Folk als von Weltmusik redet. Irgendwann wird für solche Musik wohl der Begriff „Europamusik“ erfunden werden. Die Gruppe JAMS überschrieb eine ihrer schönsten CDs mit dem Titel „Bastardmusik“. Doch über Kategorien und Fragen wie „Was ist Folk? – Was ist Volksmusik?“ diskutiert heute kaum noch jemand. Man freut sich einfach an der Lebendigkeit der Szene.
Nur eine Entwicklung trübt die Freude der Folk-FunktionärInnen: „Der Trend zu durchhörbaren Formatradios raubt unserer Musik immer mehr Sendeplätze“, klagt Pro-Folk-Chef Michael Kleff. Diese Sorge aber hat Folk mit allen anspruchsvolleren und eigenwilligeren Musikrichtungen gemeinsam.
Kontakte: Tanz- und Folk-Fest Rudolstadt, Markt 7, 07407 Rudolstadt
Pro Folk – Verband für Lied, Folk und Weltmusik in Deutschland, Danziger Str. 82, 10405 Berlin
„Folker! – das Musikmagazin“, Anna-Vandenhoeck-Ring 36, 37081 Göttingen, Einzelheft: 8 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen