: Die schnellste Pizza der Welt
■ Shirley Manson ist Sängerin, Sexsymbol, Exilschottin und demnächst - wahrscheinlich - auch noch Schauspielerin. Mit ihrer Band Garbage mischt sie fünf Teile Gegenwart mit ausgesuchten Samples aus der Vergange
taz: Wie kommt es, daß du immer wieder betonst, Garbage wäre nur eine temporäre Angelegenheit. Traust du dem derzeitigen Erfolg etwa nicht über den Weg?
Shirley Manson: Wir wissen nur zu gut, wie die heutige Plattenindustrie funktioniert. Es ist ein grausames Geschäft – der Musiker ist wie eine goldene Kuh, die so lange gemolken wird, bis sie umfällt. Zwar werden wir immer in der einen oder anderen Form Musik machen, aber ob wir auch als Band zusammen bleiben, Alben aufnehmen und auf Tour gehen, darauf haben wir keinen Einfluß. Von daher nehmen wir die ganze Sache auch nicht so furchtbar ernst, sondern versuchen einfach, soviel Spaß wie möglich zu haben.
Das klingt so, als würdest du das Pferd so lange reiten, wie es dich trägt...
Ganz genau. In Schottland nennen wir das „backing the bronco“.
Du bist das Sexsymbol der späten 90er. Dabei basiert dieser Ruf lediglich auf einem Interview, in dem du dich recht freizügig über deine sexuellen Phantasien geäußert hast. Bereust du das inzwischen?
Nein, ich habe das so gesagt, und dazu stehe ich auch.
Auch wenn du bis an dein Lebensende damit konfrontiert wirst?
Ich habe nun mal eine große Klappe, und es kümmert mich wenig, was die Leute von mir denken. Sobald du im Rampenlicht stehst, wirst du immer irgendwie mißverstanden oder falsch zitiert. Darüber hast du keinerlei Kontrolle. Worüber sollte ich mich also beschweren? Das Ganze war ein Interview unter dem Motto „die zehn Gebote der Liebe“. Ich fand das sehr lustig, und entsprechend fielen auch meine Antworten aus. Leider hat der Beitrag später für riesiges Aufsehen gesorgt. In Zukunft werde ich mich diesbezüglich wohl etwas zurückhalten...
Im Vergleich zu eurem 95er Debüt klingt „Version 2.0“ ausgesprochen poppig. Ist das eine bewußte Entwicklung?
Findest du? Das ist lustig. Unserer Meinung nach war das erste viel poppiger. Aber egal, wir lieben Popmusik, und das ist es, worum es uns geht. Insofern hast du uns gerade ein tolles Kompliment gemacht.
Und wie steht es um die starken Techno-Anleihen? Normalerweise sind Amerikaner doch recht zurückhaltend, wenn es um diese Musik geht.
Meiner Meinung nach leben sie diesbezüglich völlig hinterm Mond. Aber gerade deshalb setzen wir verstärkt auf elektronische Sounds – das Land, in dem wir diese Platte aufgenommen haben, hört momentan sehr viel Electronica. Das ist im Vergleich zum Rest der Welt zwar etwas spät, aber sie haben es doch noch geschafft, Dance und Techno für sich zu entdecken. Trotzdem wollten wir nicht einfach auf einen Trend springen, sondern ein Popalbum mit richtigen Songs aufnehmen. Wir kombinieren die besten Zutaten der Gegenwart mit Samples aus der Vergangenheit und verarbeiten das Ganze zu typischen Garbage-Songs.
Was Samples betrifft, so habt ihr einen erlesenen Geschmack – in „Push It“ zitiert ihr Brian Wilsons „Don't Worry Baby“, in „Special“ gar „Talk Of The Town“ von den Pretenders. War es nicht schwierig, die entsprechenden Freigaben zu bekommen?
Unsere Anwälte waren anfangs völlig hysterisch. Sie meinten, wir würden fürchterlichen Ärger bekommen, wenn wir darauf bestünden, diese Passagen zu verwenden. Aber das war uns egal, wir fanden sie so toll, daß wir sie unbedingt beibehalten wollten. Also habe ich Chrissie Hynde angerufen. Sie reagierte total cool und hat uns einfach ein kurzes Fax geschickt: „Hiermit erlaube ich der Rockband Garbage, meine Musik, meine Stimme oder auch meinen Hintern zu sampeln.“ Großartig! Sie ist eine meiner ganz großen Heldinnen.
Und wie hat Brian Wilson reagiert?
Wir haben ihm ein Tape mit dem entsprechenden Song geschickt und um seine Zustimmung gebeten. Die hat er sofort gegeben – es gefiel ihm sogar so gut, daß er das Tape unbedingt behalten wollte. Wir hoffen, ihn demnächst mal persönlich kennenzulernen. Er wohnt ja nur zwei Autostunden von hier – in Chicago.
Ist ein guter Musiker demnach vor allem ein geschickter Dieb?
Das war schon immer so. Nimm doch nur die Beatles, das waren die größten Diebe aller Zeiten, und sie haben auch ganz offen zugegeben, wie sehr sie sich bei Chuck Berry bedienten. Wenn wir jemanden zitieren, dann ist das durchaus auch ironisch gemeint – wir kämen gar nicht auf die Idee, fremdes Gedankengut als unser eigenes auszugeben. Dafür sind wir viel zu ehrlich. Wir reden sogar öffentlich darüber – wie ungeschickt!
Ihr habt in der Vergangenheit mit Remixern wie Todd Terry, Adrian Sherwood, Tricky und Danny Saber gearbeitet. Ist das ein Ansatz, den ihr mit diesem Album fortsetzt, oder habt ihr euch inzwischen genügend Fingergriffe abgeguckt?
Natürlich haben wir von ihnen gelernt und viele tolle Tips erhalten. Trotzdem werden wir auch weiterhin mit interessanten Produzenten arbeiten – zum Beispiel mit den Boom Boom Satellites aus Japan. Deren Remix zu „Push It“ ist der beste, den wir jemals hatten. Sie haben den Song in eine völlig neuen Richtung geführt. Jetzt klingt er unglaublich sexy und psychedelisch, der reinste Mutanten- Groove. So etwas finde ich einfach superspannend. Es ist ein völlig neuer Trip...
Du lebst in Edinburgh und arbeitest im Mittleren Westen der USA. Kommt dieses Pendeln zwischen zwei Welten nicht einem regelrechten Kulturschock gleich?
Nicht wirklich. Ich finde die Situation eigentlich sehr gesund. Sie ermöglicht mir eine klare Trennung zwischen meinem Privatleben und meinem Dasein als Rockstar. Madison ist so real, daß du automatisch auf dem Boden der Tatsachen bleibst und dich nicht in der Scheinwelt des Show-Biz verlierst.
Könntest du dir vorstellen, dich langfristig in Amerika niederzulassen?
Um Gottes Willen – niemals! Die Leute hier sind so fürchterlich verstockt und engstirnig, eben richtig provinziell. Dafür bin ich viel zu schottisch. Ich liebe mein Land. Es ist weitläufig, linksliberal und einfach wunderschön – vor allem das Klima!
Wie steht es mit Fanpost? Du bekommst doch bestimmt jede Menge Liebesbriefe und Geschenke?
Tonnenweise. Die Leute schicken mir alles mögliche, sogar Unterwäsche und Schuhe – und das sogar in den richtigen Größen! Keine Ahnung, woher sie die kennen. Ich käme aber nicht auf die Idee, sie tatsächlich zu tragen – das wäre mir viel zu peinlich. Außerdem ist ein Großteil der Unterwäsche einfach nicht mein Stil: Er ist viel zu spießig. Die verrücktesten Briefe erhält übrigens unser Gitarrist Duke. Auf den sind die Mädels besonders scharf, auch wenn er das nicht so wahrhaben will.
Stimmt es, daß du momentan eine Menge Filmangebote bekommst?
Ja, ich kann es kaum glauben. Es wird mir langsam fast schon unangenehm.
Und, könntest du dir vorstellen, in die Fußstapfen von Courtney Love zu treten und eine Filmkarriere einzuschlagen?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich will, obwohl es natürlich sehr reizvoll ist. Es müßten aber nicht gleich so große und vor allem prestigeträchtige Rollen sein wie Courtneys. Insgeheim würde ich auch viel lieber auf der Bühne stehen, als in einem Film mitzuwirken. Vor allem, weil ich als Teenager mal eine klassische Theaterausbildung erhalten habe, die ich später abbrach, um in einer Band zu singen.
Soll das heißen, du würdest die Kunst dem schnöden Kommerz vorziehen?
Sofort! Leider habe ich noch kein Angebot erhalten, das mich wirklich interessiert. Und ich werde nichts tun, zu dem ich nicht stehe. Also warte ich erst einmal ab – schließlich habe ich schreckliche Angst davor, eine schlechte Figur zu machen und folgenschwere Fehler zu begehen.
Gibt es einen Regisseur, dessen Angebot du bedenkenlos annehmen würdest?
Oh ja – Mike Leigh! Mike, ruf mich an! Ich werde es tun – alles, was du willst! Interview: Marcel Anders
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen