: Naturschutzgebiet vor Gericht
■ Bevor das Bundesverwaltungsgericht über die A 20 entscheidet, muß die Schutzwürdigkeit der Wakenitzniederung geklärt werden
Berlin (taz) – Gestern mußten sich die Richter des Bundesverwaltungsgerichts mit der Frage auseinandersetzen, worin sich ein Bruchwald von einem Auenwald unterscheidet. Anfang des Jahres hatten sie den Bau der Ostseeautobahn A20 bei Lübeck gestoppt, weil die Asphaltpiste ein Schutzgebiet von möglicherweise europäischer Bedeutung durchschneiden würde und sie keine vollendeten Tatsachen zulassen wollten. Zwar liegt das entscheidende Gebiet, die Wakenitzniederung, nicht im ersten Bauabschnitt. „Aber es darf nicht so geplant werden, daß der Abschnitt absehbar zu einem Torso wird“, stellte der Vorsitzende Richter Gaentzsch klar.
Beim Prozeß gestern ging es jetzt um die Frage, ob der Bau weitergehen kann oder die Landesregierung in Kiel beim Planfeststellungsbeschluß gepfuscht hat und die A 20 neu geplant werden muß. Geklagt hatten der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Naturschutzbund. Auf der Anklagebank saßen Vertreter des Landes Schleswig- Holstein.
Die zentrale Frage ist, ob die Wakenitzniederung unter die europäische Richtlinie fällt, die erst jetzt mit sechs Jahren Verspätung in Deutschland umgesetzt wird. Diese sieht ein Verbundnetz von Lebensräumen vor. Giselher Kaule, Biologieprofessor aus Stuttgart, wertete das Gebiet als wenig schutzwürdig. Nur geringe Eschenauwaldbestände seien vorhanden, und die auch noch in schlechtem Zustand, meinte Kaule, der seine Kenntnisse ausschließlich aus Literaturstudien bezogen hat. Im Auftrag der Landesregierung hatte er zwei Gutachten erstellt, gestern war er als Sachverständiger geladen.
In einer unveröffentlichten Stellungnahme hat der Beirat für Naturschutz in Schleswig-Holstein dem Landesumweltminister dagegen einstimmig empfohlen, das Gebiet als FFH-Gebiet nach Brüssel zu melden. Es sei „unverzichtbar“ für den Gesamtplan. Und ebenso urteilte ein Vertreter des Bundesnaturschutzamtes in einem Brief an den BUND.
Doch als der Rechtsanwalt der Naturschutzverbände das Dokument zitieren wollte, forderte sein Kollege von der Gegenseite einen Maulkorb. Mit zitternder Hand hielt er eine Kopie eines Briefes in die Luft, den der Leiter des Bundesnaturschutzamtes an Verkehrsminister Wissmann geschrieben haben soll: „Darin steht, daß das Amt das Gebiet gar nicht untersucht hat.“ Die Richter ließen seinen Antrag auf Nichtbehandlung nicht zu und waren gestern zu Redaktionsschluß noch damit beschäftigt, sich selbst ein Bild von dem Torf- und Moorgebiet zu machen. Anne Barthel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen