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Verpackungsabgabe auf den Müll der Geschichte

■ Das Bundesverfassungsgericht hält die Kasseler Verpackungsabgabe und die Sonderabfallabgaben mehrerer Länder für grundgesetzwidrig. Länder und Gemeinden müssen womöglich Millionen zurückzahlen

Karlsruhe (taz) – Die Industrie kann sich über die Schützenhilfe des Bundesverfassungsgerichts freuen. Kommunale Verpackungsabgaben nach Kasseler Muster wurden für verfassungswidrig erklärt – solange der Bund ein anderes Regelungskonzept verfolge. Auch die von mehreren Bundesländern erhobenen Sonderabfallabgaben wurden mit der gleichen Begründung für „nichtig“ erklärt. Das auf Bundesebene geltende „Kooperationsprinzip“ zwischen Staat und Industrie dürfe nicht durch strengere Länderregelungen unterlaufen werden, argumentierte das Gericht. Unmittelbar nach der Entscheidung verhängte Schleswig-Holstein eine Haushaltssperre. Begründung: auf das Land kämen Rückzahlungsforderungen in Höhe von 100 Millionen Mark zu.

Kassel war 1992 die erste Stadt Deutschlands, die eine kommunale Verpackungssteuer einführte. Belastet wurden nur Verpackungen von Waren, die zum sofortigen Verbrauch bestimmt sind. Ein Kaffeebecher wurde mit 40 Pfennig besteuert, ein Pappteller erbrachte 50 Pfennig. An den Grünen Punkt angeschlossene Firmen erhielten lange Zeit Steuerbefreiung. Andere Städte, etwa Frankfurt, kannten solche Schlupflöcher nicht. Insgesamt haben 41 von über 14.000 deutschen Kommunen derzeit eine kommunale Verpackungssteuer.

Die Kläger, der Boulettenbrater McDonald's und zwei Automatenaufsteller, hatten argumentiert, daß es den Städten nicht wirklich um die Einnahmen gegangen sei. Vielmehr hätte man die Form der kommunalen Steuer nur gewählt, weil ein örtliches Verbot von Einwegverpackungen nach Bundesrecht unzulässig gewesen wäre. Zumindest teilweise gab das Verfassungsgericht den Klägern recht. Zwar könne man mit Steuern durchaus auch Lenkungseffekte erzielen, diese dürften dann aber nicht im Widerspruch zu den Zielen des Bundesrechts stehen, argumentierte Karlsruhe. Im Kreislaufwirtschaftsgesetz des Bundes gelte aber das „Kooperationsprinzip“, und das sehe vor, daß sich Behörden und Unternehmen individuell auf ökologisch und ökonomisch sinnvolle Maßnahmen einigen. Entscheidendes Kriterium für die Richter: Nach Bundesrecht werde auch bei Verfehlung dieses Ziels auf Sanktionen verzichtet. Die zusätzliche Belastung mit einer kommunalen Verpackungsabgabe sei daher ein unzulässiger Eingriff in die „Berufsfreiheit“ von McDonald's und Co.

Umweltministerin Merkel begrüßte das Urteil erwartungsgemäß. Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Städtetag beklagten dagegen einen „Rückschritt“ und den Verlust des einzigen ökonomischen Instruments zur weiteren Abfallvermeidung.

Für verfassungswidrig wurden auch die Sonderabfallabgaben der Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erklärt. Hier hatten Chemiekonzerne wie BASF, Hoechst und Bayer mit ihren Verfassungsbeschwerden Erfolg. Beim Urteilsspruch war nur das schleswig- holsteinische in Kraft. Baden-Württemberg und Niedersachsen hatten ihre Gesetze bereits wieder abgeschafft, Hessen seine Regelung bis zum Jahr 2000 „ausgesetzt“. Standortprobleme der Industrie und die zunehmende Beseitigung von Sondermüll in Berg- und Zementwerken hatten den Rückzug ausgelöst.

Solche Probleme griff das Verfassungsgericht in seiner Begründung auf. Eine Sonderabfallabgabe begünstige die Verwertung „um jeden Preis“, die nicht immer die umweltverträglichste Lösung sein müsse. Auch hier hätten die Länder, so Karlsruhe, im Widerspruch zu einem Bundesgesetz gehandelt: Das Bundesimmissionsschutzgesetz verfolge wiederum das Kooperationsprinzip, „das jedem Betreiber Wahlfreiheiten sichert“.

Derartige Ökosteuern von Ländern und Kommunen sind damit allerdings nicht auf alle Zeiten verboten. Falls eine rot-grüne Bundesregierung nach den Wahlen die entsprechenden Bundesgesetze ändert, würden sich auch die Spielräume auf unterer Ebene wieder erweitern (Az.: 2 BvR 1876/91 u.a. sowie 1991/95 u.a. 2). Christian Rath

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