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Die Instrumentalisierung des Holocaust

■ Moshe Zuckermann untersucht, wie der Mord der Nazis an den europäischen Juden in den Kulturen Israels und Deutschlands als Bestandteil der jeweiligen Ideologie funktioniert

In Israel wie in Deutschland greift man regelmäßig auf Holocaust-Analogien zurück, wenn dies im öffentlichen Diskurs politisch opportun erscheint. So verglich beispielsweise der damalige israelische Ministerpräsidetn Begin 1981 das Gründungsmanifest der PLO mit Hitlers „Mein Kampf“, und der Herausgeber einer großen israelischen Tageszeitung meinte in einem Kommentar, Hitler sei, verglichen mit Arafat, ein „Lamm“ gewesen. Solcher Sprachgebrauch hat mit Erinnerung oder gar Gedenken wenig zu tun. Es sind vielmehr, so der israelische Historiker und Soziologe Moshe Zuckermann, Beispiele einer „heteronomen [d.h. fremdbestimmten; d.Red.] Instrumentalisierung“ der Vergangenheit. In seiner Veröffentlichung „Zweierlei Holocaust“ zeigt er, wie der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands Eingang in das Kollektivbewußtsein findet.

Die Unmöglichkeit, in der israelischen Gesellschaft des eigentlichen Wesens des Holocaust zu gedenken, ergibt sich, wie Zuckermann zeigt, aus dem Paradox, das den Umständen der israelischen Staatsgründung innewohnt. Die Legitimation der zionistischen Bestrebung bestand einerseits in der jüdischen Leidensgeschichte in der Diaspora, andererseits fußte das Identitätsangebot der „Neuen Juden“ aber auf der Verneinung jeglicher (vermeintlicher) Diaspora- Elemente. Die Gründung eines Staates wurde als emanzipatorischer Akt begriffen, zugleich waren der Holocaust und die Existenz des Staates miteinander verzahnt. So ist der Holocaust zwar Bestandteil der israelischen Kultur. Aber nicht als „konkrete Objektivation eines ideologisch geplanten, industriell organisierten und mit bürokratischer Stringenz durchgeführten Mechanismus zur systematischen Ausrottung eines Volkes“, sondern als Projektion auf vermeintliche Feinde Israels.

In der politischen Kultur Israels ist von den zwei möglichen Lehren nach Auschwitz, der universalistischen („so etwas darf nie wieder passieren“) und der partikularistischen („so etwas darf uns nie wieder passieren“), die zweite Version vorherrschend. Sie dient dazu, die Handlungen des – nach dem eigenen Selbstverständnis – jüdischen David gegen den arabischen Goliath, zum Beispiel die Repressionen der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, zu legitimieren. So ist der „Holocaust-Code“ in der israelischen Öffentlichkeit „kapitale Grundlage der israelischen militärischen Sicherheitsdoktrin“.

Die deutsche politische Kultur wird von dem Wunsch nach Entsorgung der Geschichte umgetrieben. Während auf staatlicher Ebene zwischen Israel und Deutschland eine „Materialisierung der Sühne“ betrieben wurde, zeigen im öffentlichen Diskurs der „Historikerstreit“ Mitte der achtziger Jahre, die Diskussionen während des zweiten Golfkrieges und die Debatte um die Stasivergangenheit in den letzten Jahren, wie Geschichte entsorgt werden soll. Erinnert sei hier an den Essay von Hans Magnus Enzensberger in der deutschen Golfkriegsdebatte 1991, in dem er Saddam Hussein als „Nachfolger Hitlers“ bezeichnet – ein Kapitel ist der Diskussion dieses Artikels gewidmet. Diese Art der Entrüstung über Hussein ermöglicht die Flucht vor einer Selbstreflexion. Als quasi unerwartetes Geschenk bezeichnete Jürgen Habermas die Vereinigung Deutschlands: Indem die Stasivergangenheit mit der Nazivergangenheit gleichgesetzt wurde, setzte man auf „Normalisierung“, die endlich vom Trauma eines Massenverbrechens befreien sollte. Die Dialektik solcher Normalisierung wurde freilich übersehen.

Die deutsche und israelische Kultur stehen dabei in komplementärer Wechselbeziehung zueinander. So behandeln denn auch die Kapitel des Buches abwechselnd die deutsche und die israelische Kultur, um dann in einen letzten Beitrag zu münden, in dem es um das Zusammentreffen von Günter Grass und Yoram Kaniuk kurz nach dem zweiten Golfkrieg geht. Die von Grass eingenommene Position der (deutschen) Friedensbewegung empfand Kaniuk als Absage an eine „jüdische“ Perspektive. Kaniuk wollte, so Zuckermann, auf eine Rollenverteilung von Opfer und Mörder nicht verzichten.

Zuckermann steht in der Tradition der Kritischen Theorie. Er thematisiert die kulturindustrielle Vermittlung und Manipulation von historischem Bewußtsein. Eine ideologiefreie Rezeption von Geschichte gibt es für ihn nicht. Freilich bleibt bei Zuckermann offen, wie denn ein angemessenes Erinnern an das Unfaßbare überhaupt aussehen kann und wo es zu verorten ist. Er sagt zwar, ein authentisches Gedenken der Opfer könne es nur im Privaten geben, da der Staat Erinnerung immer im eigenen repressiven Interesse betreibe, aber kann sich denn das Private unabhängig von staatlicher Ideologie herausbilden?

Moshe Zuckermann kennt beide Kulturen, die deutsche und die israelische, „von innen“. In Tel Aviv wurde er geboren, in Frankfurt hat er die Anfänge der Studentenbewegung erlebt, bevor er ab 1970 in Israel studierte. Er und sein Kollege Zvi Tauber haben die Texte der Frankfurter Schule auf hebräisch zugänglich gemacht.

Das Buch hat eine Vorgeschichte. Während des zweiten Golfkrieges wertete Moshe Zuckermann die israelische Presse aus und gab anschließend das Buch „Die Shoa im gasdichten Zimmer“ auf hebräisch heraus, in dem er skizziert, wie der Rückgriff auf die Vergangenheit einen „Angststrudel“ und „Holocaust-Taumel“ der Öffentlichkeit produzierte. Mehrfach darauf angesprochen, ob er das Buch nicht auch auf deutsch zugänglich machen wolle, stellte sich ihm zwangsläufig die Frage, von welchen deutschen Interessen eine solche Veröffentlichung instrumentalisiert werden könnte, und er befürchtete, sie würde Beifall von der „falschen“ Seite in nichtaufklärerischer Weise bekommen (s. Interview in der taz v. 13.7.1995). Herausgekommen bei dieser Überlegung ist der vorliegende neue Band. Nachdem das Kapitel „Geschichte, Angst und Ideologie“ bereits 1995 in dem Band „Antisemitismus und Gesellschaft“, herausgegeben von Michael Werz, erschien, werden Zuckermanns Thesen nun in einem breiteren Kontext zugänglich gemacht. Sein Buch ist nicht nur hilfreich bei der Auseinandersetzung über Aspekte deutsch-israelischer Beziehung. Es erweist sich als unverzichtbar für das Verstehen der israelischen Gesellschaft. Uta Klein

Moshe Zuckermann: „Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands“. Wallstein-Verlag 1998, 184 Seiten, 38 DM

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