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„Ausbeutung einer Notlage“

60 Mark pro Quadratmeter: Erstmals wurde ein Hamburger Vermieter wegen Mietpreisüberhöhung zu einer Geldbuße verurteilt  ■ Von Heike Haarhoff

„Was Sie gemacht haben, ist eine unglaubliche Sauerei. Sie sind jemand, der die finanzielle Notlage von Asylbewerbern und Sozialhilfeempfängern ausnutzt. Sie bereichern sich an den Ärmsten der Armen.“ Strafrichter Ulf Panzer ließ seiner Wut über die Praktiken des Vermieters Hans-Jürgen F. gestern im Amtsgericht Harburg freien Lauf. Dann verurteilte er den 56jährigen wegen „vorsätzlicher Mietpreisüberhöhung“ zu einer Geldbuße von 7500 Mark (Az. 619-231/96).

Erstmals in Hamburg wurde damit ein Streit um drastisch überhöhte Mieten als Strafverfahren vor Gericht ausgetragen. Die Staatsanwaltschaft hatte Hans-Jürgen F. wegen „Mietwuchers“ angeklagt. Er habe die „Zwangslage“ des damals 24jährigen, arbeits- und wohnungslosen Umschülers Thomas F. „ausgebeutet“. Diesem hatte er im September 1995 ein acht Quadratmeter kleines Loch in dem vergammelten Haus Winsener Straße 44 für monatlich 480 Mark (60 DM/qm!) vermietet. Fürs Duschen im Gemeinschaftsbadezimmer mußte der Umschüler noch extra bezahlen.

Daß Vermieter F. „nur“ zu einer Geldbuße verurteilt wurde, also einer Ordnungswidrigkeit nach dem Wirtschaftsstrafgesetz und nicht wegen des Straftatbestands des „Mietwuchers“, habe einen Grund, bedauerte der Richter: Die „Ausbeutung der Notlage“ des Mieters habe dem Vermieter nicht nachgewiesen werden können. „Eigentlich“, zürnte Panzer, „hätte ich die Geldbuße versechzehnfachen müssen“. Denn Hans-Jürgen F., der die Vorwürfe bestritt und sich gestern nicht mal an die Größe des Zimmers erinnern wollte, spiele bloß „den Unschuldigen“. Tatsächlich aber „verschleiern, vertuschen und betrügen Sie“.

Hiebe hagelte es auch gegen Vermieter-Anwalt Büllesfeld: „Fast zynisch“ sei es, den Wohnungsmangel in Hamburg in Frage zu stellen. Einstecken mußte auch die Staatsanwaltschaft: „Ohne die Presseberichte“, so Panzer (taz vom 30.1.1996), „wäre hier doch nicht ermittelt worden“. Überhaupt gebe es „Staatsanwälte, die lieber Pornos lesen“ anstatt wegen Mietwuchers zu ermitteln.

Mieter-Anwalt Ernst Medecke war trotz der Milde zufrieden, daß es „immerhin überhaupt ein Urteil“ gegeben hat. Bußgelder wegen überhöhter Miete könnten zwar auch die Bezirksämter verhängen, doch sei ihm „kein Fall bekannt“, in dem diese je bezahlt worden seien. Die meisten Verfahren würden eingestellt (siehe Text links).

Der Streit zwischen Mieter und Vermieter ist damit freilich noch nicht beendet: Der Umschüler wirft Hans-Jürgen F. vor, ihn nach den Presseberichten im Februar 1996 geschlagen, gewürgt und körperlich mißhandelt zu haben. Dieser Prozeß findet Anfang Juni statt.

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