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Dienst am kriminellen Inländer

Das Magdeburger Jugendkommissariat versucht, mit Sozialarbeit die Karrieren krimineller Kids zu wenden. Daß die oft rechts sind, ignorieren die Betreuer allerdings  ■ Von Constanze v. Bullion

Auf die Kontakte kommt es an. Auf gute Beziehungen, „Connections“ eben. „Ich habe Connections ausreichend, bis hin zur Mafia“, verrät der junge Mann im Verschwörerton, lümmelt sich lässig übers Sofa und knabbert am Ohr seiner Begleiterin. Im Jugendkommissariat der zentralen Polizeidienststelle Magdeburg macht sich wohnliche Ikea-Atmosphäre breit. André Klester* und seine Freundin Maja* erzählen unbekümmert von ihren Heldentaten. Um „den geklauten Kühlschrank“ geht es da und um „Racheakte“ ihrer Kumpels und um die „Glatzen und Russen, die uns beschützen“.

Wer sich nicht auskennt in Magdeburgs Jugendszene, wer nicht durchblickt bei den Querelen zwischen Skins und Punks und Polizei, verliert bei Andrés Geschichte schnell den Faden. Der Sozialarbeiter immerhin, der dem jungen Mann im schwarzrotgoldenen T-Shirt gegenübersitzt, kommt gleich zur Sache. „Zu Recht beschuldigt?“ fragt er leise. André soll mal wieder Nachbars Wohnung ausgeräumt haben. Eine Stunde hat man ihn in den kahlen Amtsräumen der Kripo Magdeburg verhört. Gleich danach ist er mit Maja hochgestapft, ins gemütlichere Dachgeschoß der Polizeizentrale – um zu retten, was zu retten ist. „Zu Unrecht beschuldigt“, sagt André und starrt zerknirscht auf die Tischkante. Er ist nicht zum erstenmal hier.

Ob sie Kellertüren eintreten, auf Handtaschenjagd gehen oder blindlings zuschlagen: Für jugendliche Straftäter hat die Magdeburger Polizei ein eigenes Kommissariat eingerichtet. Vierzig Kriminalisten arbeiten mit zehn Pädagogen unter einem Dach zusammen, um schwierigen Landeskindern „Hilfen zur sozialen Integration anzubieten“. Wer einmal Mist baut oder mehrfach auffällt, soll nicht nur vor den Kadi müssen. Vielmehr will die Polizei die Monate bis zur Verhandlung nutzen, um Konflikte im sozialen Umfeld zu lösen. Gleich nach dem Verhör kann ein Täter mit seinem Betreuer im Haus sprechen. Der vermittelt bei Eltern oder Behörden und soll verhindern, daß sein Schützling gleich das nächste Ding dreht.

Das klingt unspektakulär, ist aber ein ehrgeiziges Modellprojekt. Bei den Klienten des Jugendkommissariats sei die Rückfallquote „signifikant geringer“ als im Bundesschnitt, heißt es selbstbewußt in Sachsen-Anhalts Innenministerium, das sich den Versuch bislang 1,3 Millionen Mark im Jahr kosten ließ. Mit Mitternachtsfußball, Motorradbastelkursen und Hooligantreffs habe sich die polizeiliche Sozialarbeit „optimal bewährt“, versichert auch Beratungsstellenleiter Rainer Bode. Das Modell soll auf ganz Sachsen-Anhalt ausgeweitet werden.

Ein Wundermittel gegen Halbstarke? Wohl kaum. 1997 ging in Magdeburg die Jugendkriminalität zwar leicht zurück. Doch noch immer sind drei Viertel der Straßenräuber und 64 Prozent der Autoknacker unter 21 Jahren. Daß rechtsextreme Straftaten deutlich zunehmen, erwähnen die Jugendbetreuer gar nicht erst, für Politisches sei der Staatsschutz zuständig, heißt es lapidar. Über die ganz haarigen Themen sollen andere mit den Haarlosen reden, auch wenn „Keller abräumen“, „Zecken klatschen“ und „Ausländer hetzen“ bei vielen Gästen zusammengehört.

André Klester jedenfalls ist mächtig stolz, ein krimineller Deutscher zu sein. Er versteht sich nicht als „Glatze“, sondern als „weißer Arbeiter-Skinhead, der im Bergwerk arbeitet“. Nach Schwerstarbeit sehen die Pranken dieses Lehrersohns indes nicht aus. Die Qualen seiner Glaserlehre hat André kürzlich hinter sich gebracht; „wegen der Schulter“ habe er alles hingeschmissen, läßt er seinen Betreuer wissen. Bernd Schwarz, ein engagierter Typ mit väterlicher Kummermiene, zeigt wenig Rührung. „Kein Geld?“ fragt er nur. „Wie wär's mit einer Berufsberatung?“ Der 19jährige winkt gelangweilt ab.

Nein, André gibt sich keine Mühe, die Mär vom lieben Jungen mit dem schweren Leben zu erzählen. Vier Jahre kennt er Bernd Schwarz, schon früher habe er „bißchen viel Scheiße gebaut“. Keller hatte André aufgebrochen, Pillen vertickt und im Kaufhaus geklaut. Nichts Ungewöhnliches eigentlich, bis zu der Sache am Autoscooter. Da brach plötzlich „Streit durch irgendwelche Weiber“ aus, „zwischen 50 Skins und den Albanern“. Sekunden später hat André „diesem Kunden in die Fresse getreten“. Daß der Albaner am Boden lag, als er ihm Kiefer, Nase und Rippen zertrampelte, konnte den damals 15jährigen sowenig beeindrucken wie die Anzeige wegen schwerer Körperverletzung. Geärgert hat ihn nur, daß er dafür „überhaupt nix gekriegt“ hat. Eine handfeste Strafe hätte ihn wenigstens in der Szene geadelt.

Wer André so zuhört bei seinem Gedröhne von der rechten Front, fragt sich leise, wie man so einen „integrieren“ soll. Am liebsten wäre er ein allseits gefürchteter Vorstadtheld, doch für einen Rambo fehlt ihm der Mumm und für Al Capone das Hirn. Seine jämmerlichen Auftritte immerhin beflügeln den Ehrgeiz des Betreuers. Bernd Schwarz ist damals zu seinem Schützling nach Hause gefahren. An Vatis Hausbar haben die beiden gesessen, haben Kassetten gehört und mit Andrés Adoptivvater geplaudert. Der hatte mal wieder einen sitzen, aber als Schwarz André die Lehre vermittelte und er „sich unheimlich gut entwickelte“, erzählt der Sozialpädagoge, habe er sich „schon gefreut“.

„Akzeptieren statt ausgrenzen“ heißt die Devise, mit der das Jugendkommissariat Aussteiger einfangen will. Statt sie „vorschnell zu stigmatisieren“, wird „Verständnis für ihre Probleme“ signalisiert, heißt es im kürzlich erschienenen Jahresbericht 1997. Gut ausgerüstet mit Handys und Dienstwagen, sollen die Betreuer präsent sein, wenn's brennt. „Wenn die Jugendlichen verstehen, daß wir nicht werten, sondern sie annehmen“, meint Bernd Schwarz, „fassen sie Vertrauen.“

Für Euphorie sieht der Sozialpädagoge allerdings keinen Anlaß. Nur zwei Prozent der Tatverdächtigen lassen sich auf eine langfristige Betreuung ein, die große Mehrheit schaut ein- bis zweimal vorbei, macht ein nettes Gesicht und taucht ab. Da hilft es wenig, wenn die Betreuer versichern, daß sie zwar von der Polizei bezahlt werden, den Beamten gegenüber aber zum Schweigen verpflichtet sind. „Unsere Sozialpädagogen erfahren vieles, was die Kripo interessieren könnte, aber danach fragen wir gar nicht“, beteuert Kommissariatsleiter Dieter Römer, „sonst sind wir bei den Jugendlichen unten durch.“

André und Maja machen sich über Diskretion keine Sorgen mehr. Schwarz „sagt nicht gleich alles weiter“, glaubt André, „auch wenn ich ihm alles erzähle“. Alles, das sind die Geschichten vom Kokaindeal und dem vermöbelten Vater, vom „gefundenen Kühlschrank“ und den Racheschwüren derer, die ihn wiederhaben wollen. Ob er nach dem Gegeneinbruch seiner Kumpels eine Entschuldigung akzeptieren würde, fragt sein Betreuer, womöglich könnte ein privater Täter-Opfer-Ausgleich eine Klage verhindern? André schüttelt den Kopf. „Würde ich nicht akzeptieren, weil der Kunde mir 150 Mark schuldet.“ Maja verdreht die Augen.

Die zierliche Person, die neben André auf dem Sofa herumrutscht, findet die Heldentaten ihres Freundes offenbar nicht mehr lustig. Klar war sie dabei, als André in der Disko „Neger-Streß“ machte, weil er glaubte, ein Gast habe sie „bis zum Ende belästigt“. Klar ist sie mitgefahren, als die Clique den vermeintlichen Übeltäter zusammenschlug. Maja ist irgendwie auch stolz, daß sie es ganz allein zu einer Klage wegen schwerer Körperverletzung gebracht hat. Ein „braves Schulmädchen“ war sie noch, als eine aus ihrer Klasse mal eine große Klappe riskiert hatte. Die mußte, erzählt sie, „mal kurz an meinem Schuh nuckeln, und dann hat sie geblutet“.

Inzwischen hat die 15jährige keine Lust mehr auf die Besuche der Bullen und das ganze Bier, das André in sich hineinkippt. Jetzt will sie mit Frau Fiedler reden. Die sitzt einen Stock tiefer, in der Betreuungsstelle für Opfer sexueller Gewalt, und hat kapiert, warum Maja von ihrer Mutter abgehauen ist, sie weiß, daß ihr Vater wegen sexuellen Mißbrauchs in U-Haft sitzt. Im Jugendamt soll sie Bescheid sagen, daß nach der 15jährigen nicht mehr gesucht werden muß. Und damit Frau Fiedler das darf, muß Maja einen Zettel unterschreiben.

Per „Schweigepflichtentbindung“ werden die Betreuer ermächtigt, Informationen über ihre Kids an Polizei oder Jugendgerichtshilfe weiterzugeben. Auch die Staatsanwaltschaft kann so erfahren, was in der Beratung gebeichtet wurde, ein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht haben die Sozialarbeiter nicht. Daß die Minderjährigen nicht wissen, was an wen weitergeleitet wird, findet man in Magdeburg unproblematisch. Die Intervention zwischen Jugend-, Polizei- und Justizbelangen sichere, so der Bericht des Jugendkommissariats, „eine deutliche Kompetenzerweiterung in präventiver Hinsicht“.

Die Streetworker der Stadt hören solche Werbesprüche weniger gern. Titus Simon, langjähriger Jugendhelfer und Professor für Sozialpädagogik in Magdeburg, ist „grundsätzlich dafür, Polizei- und Sozialarbeit auseinanderzuhalten“. Die polizeilichen Sportprojekte, die sich rund ums Jugendkommisariat angesiedelt haben, konkurrierten teilweise mit anderen Projekten. Und unter den knapp dreißig ABM-Kräften, die dort beschäftigt sind, seien „so gut wie keine professionellen Leute“. Im übrigen, meint Simon, berge auch polizeiliche Sozialarbeit Gefahr, „daß durch die Nähe zu den Jugendlichen blinde Flecken entstehen“.

Blind ist man im Jugendkommissariat vor allem auf dem rechten Auge. Die extremistische Ausrichtung seiner Jungs sei „ganz gering“, behauptet Rainer Bode. „Viele wissen gar nicht, was rechts oder links ist“, versichert Kommissariatsleiter Römer. Sogar Bernd Schwarz kann „zum Teil akzeptable Werte wie Sauberkeit und Ordnung“ bei den Glatzen ausmachen. Er immerhin gibt zu, daß er eigentlich kapituliert hat. „Ich kann mit denen über alles reden, nur nicht über Politik“, sagt er. Rechte bekämen so wenig Gegenwind, „daß die gar nicht glauben, etwas Strafwürdiges getan zu haben“.

Kein bißchen kleinlaut wollen die beiden Stammgäste des Jugendkommissariats wirken, als sie die Treppen der Polizeizentrale hinunterstiefeln. Maja möchte zwar „auf keinen Fall mehr Scheiße bauen“, und auch André weiß, daß er nach dem jüngsten Einbruch „die Bälle flach halten“ muß. Ansonsten aber werden weiter große Töne gespuckt. Der Richter könne „ruhig mal ein paar Tage Knast rauswerfen“, tönt André. Davor allerdings werden ihn womöglich wieder seine „Connections“ zur Polizei schützen. „Wenn ich mal wieder Geld brauche, verspricht er zum Abschied, „dann mache ich's natürlich wieder. Der Staat will's doch nicht anders.“

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