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Annäherungen an den Alltag

Die Ausstellung Schatten – Jüdische Kultur in Altona und Hamburg im Altonaer Museum erinnert an das Leben vor dem Untergang  ■ Von Hajo Schiff

Schöne alte Objekte, eine Videoinstallation und Teile einer historischen Wohnungseinrichtung: Eigentlich wäre es eine übliche stadtgeschichtliche Ausstellung. Aber es geht um die jüdische Kultur in Altona und Hamburg – und der Umgang damit ist bis heute alles andere als normal. Dreihundert Jahre lang gab es eine aktive jüdische Gemeinde in Altona, doch nach 1943 sind davon so gut wie keine Spuren erhalten. Auf drei ganz unterschiedliche Weisen versucht das Altonaer Museum jetzt in der Ausstellung „Schatten“ eine Erinnerung zu beleben, die über den materiellen Objekten nicht die Menschen vergißt.

Anknüpfend an die eigene Museumsgeschichte wird zuerst die Sammlung der Judaica gezeigt, ein Bestand, der von 1914 bis 1933 in einem eigenen Raum präsentiert wurde und später bis zum Museumsbrand 1980 ein Teil der Abteilung „Geistige und religiöse Freiheit in Altona“ war. Dieses Motto ist so verkehrt nicht, hatten es doch die Juden früherer Zeiten im dänischen Altona leichter als in der hanseatischen Kaufmannsstadt nebenan. Die bekannteste Persönlichkeit war sicher der Bankier Salomon Heine (1766 - 1838), dessen Sommerhaus sich in Ottensen befand. Dem an seinem Lebensende reichsten Mann Hamburgs hat diese Stadt trotz aller Spenden, Stiftungen und Verdienste um die Kultur das Hamburger Bürgerrecht stets verweigert. Im holsteinischen, später preußischen Altona haben dagegen jüdische Bürger durchaus auch politische Ämter ausgeübt.

Wertvolle Geräte, wenige Ansichten der alten Synagogen und einige Porträts geben jedoch vom damaligen Leben nur einen schwachen Abglanz. Dafür wird im verdunkelten Raum der Blick auf edel ausgeleuchtete Dinge gelenkt, deren Verwendung den meisten unbekannt war und ist. Dieser Aspekt wird noch dadurch betont, daß die Trachtenpuppen, die sonst in den Vitrinen des Raumes stehen, nicht ganz verdeckt sind: die Fremdheit jüdischer Kultur als Grund für Interesse und Ablehnung.

In der Installation der Künstlergruppe um Jens Huckeriede gibt sich der zweite Zugang ganz gegenwärtig. Bei der Erweiterung des Kinderhauses in der Wohlers Allee stieß diese eher zufällig auf die Tatsache, daß sich in dem Gebäude einst ein jüdisches Volksheim befunden hatte. Bei der Suche nach denjenigen, die einst als Kinder dort gespielt hatten und nun in alle Welt verstreut waren, wurde ein Mosaik jüdischen Lebens sichtbar. Besonders die in Israel lebende Miriam Gillis-Carlebach, Tochter des Altonaer und später Hamburger Oberrabbiners Joseph Carlebach, war bereit, in mehrfachen Besuchen von jüdischem Leben vor dem Untergang zu erzählen.

Seine Erkenntnisse begann Jens Huckeriede daraufhin nach außen zu vermitteln: So verwandelte er das Haus in der Wohlers Allee mit einer Ton-Licht-Schau in einen Erinnerungsort, und in einer stadtteilweiten Straßenbemalung erinnerte er an vergessene Orte jüdischen Lebens. Dabei wurde der Liedtext „An de Eck steiht n' Jung' mit 'n' Tüdelband ...“ zur Metapher zerbrochener Symbiose. Denn dieses urhamburger Lied war eine Erfindung des Trio Wolf, eine Gruppe jüdischer Coupletsänger.

In der Ausstellung wird diese „Umschreibungsaktion“ fotografisch repräsentiert, einige der Hintergrundaspekte werden inszeniert. Dazu zeigen zwölf Monitore den Film, den Jens Huckeriede von den orthodoxen Protesten gegen die Bebauung des jüdischen Friedhofs in Ottensen, dem heutigen Mercado, gemacht hat. Alle Wände des Raumes sind mit schattenhaften Zeichnungen von Menschen oder Videoprojektionen normaler Passanten versehen: Die Künstler mißtrauen der angeblichen Sprache musealer Objekte ebenso wie der massiv steinerner Monumente, ihnen geht es um die ständige Vergegenwärtigung von Geschichte durch lebende Menschen.

Wie wenig sich Menschen unterschiedlicher Glaubenspositionierung im Alltag tatsächlich unterscheiden, macht der dritte Teil der Ausstellung klar. Das meiste aus dem Nachlaß des jüdischen Privatgelehrten Max Salzberg unterscheidet sich kaum von den Dingen in den Schränken anderer Erblasser derselben Generation. Schachtelweise sauber aufbewahrte Bindfadenenden künden nicht nur in diesem Haushalt von Sparsamkeit und der Erfahrung schlechter Zeiten, nicht verbrauchte CARE-Pakete von der Angst, es könne alles noch schlimmer werden. Doch der Judenstern von 1941 im Nachttisch, 1993 gefunden, zeigt, was trotz mancher wiedergewonnenen Normalität nicht verdrängt und nicht vergessen werden konnte. Diese Schublade fordert ganz unheroisch auf, die Geschichte nicht zu den Akten zu legen, sondern stets neu zu vergegenwärtigen.

„Schatten – Jüdische Kultur in Altona und Hamburg“, Altonaer Museum, bis 27. September. Reiches Begleitprogramm mit Führungen und Seminaren. Katalogbuch im Verlag Dölling und Galitz, 34 Mark

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