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Revolutionäre Histörchen

In Nicaragua findet derzeit der Parteitag der Sandinisten statt. Ein Thema wollen die meisten ehemaligen RevolutionärInnen jedoch nicht diskutieren: die sexuelle Gewalt, die einige Comandantes bis hin zum charismatischen obersten Parteichef Daniel Ortega gegenüber Frauen ausübten  ■ Von Ralf Leonhard

Macht ist sexy und Revolution sowieso. Legionen von solidaritätsbewegten Frauen aus Europa und den USA können davon Histörchen erzählen. Kein Wunder, daß sich die Anführer der sandinistischen Revolution unwiderstehlich fühlten. Die einen, wie der damalige Innenminister Tomás Borge oder Parteisekretär Bayardo Arce, kultivierten einen Ruf als charmante Schwerenöter, die anderen zogen eine Aura der Unnahbarkeit vor. Zu denen gehörte FSLN-Chef Daniel Ortega.

Nur Insidern war bekannt, daß der frühere Staatspräsident Ortega jahrelang seine älteste Stieftochter mißbraucht haben soll, die inzwischen 30jährige Zoilamérica Narváez Murillo. Die Betroffene selbst ging mit dieser Anklage erst Anfang März 1998 an die Öffentlichkeit. Ortega habe sie seit ihrem elften Lebensjahr „wiederholt und Jahre hindurch sexuell angegriffen“. Der Beschuldigte hüllte sich in Schweigen und überließ die Verteidigung seiner Frau Rosario Murillo. Diese stand zu ihrem Ehemann und hielt den Vorwürfen der Tochter „die unbesudelte moralische Qualität“ ihres Ehemannes entgegen.

Nun ist Daniel Ortega noch immer der einzige der ehemaligen Revolutionskommandanten, der die Massen zu bewegen versteht. Eine Psychologin meint, für viele Frauen sei er gar eine Art Ersatzbräutigam, auf den alle möglichen Gefühle projiziert würden. Die Verteidigungsstrategie, hinter den Vorwürfen stecke eine Kampagne politischer Gegner, stieß also auf fruchtbaren Boden, und bald wäre Gras über die „Familienangelegenheit“ gewachsen – wenn nicht Cornelia Marschall gewesen wäre.

Die gebürtige Allgäuerin, seit langem in Nicaragua, hatte sich zunächst in einem privaten Brief mit Zoilamérica solidarisiert und ihr versichert, sie wisse, wie ihr zumute sei: „Nachdem ich die Zeitungsartikel über Deinen Fall gelesen hatte, war mir sofort klar, daß sie Dich mit denselben Tricks zum Schweigen bringen wollen, mit denen sie mich mundtot gemacht haben.“ Sie sei, so erklärte sie dann in einem offenen Brief an die Medien, vor einigen Jahren vom damaligen Innenminister Tomás Borge bedrängt worden, nachdem sie für eine deutsche Delegation gedolmetscht hatte. Obwohl sie ihn erfolgreich abgewehrt habe, sei er einige Tage später bei ihr zu Hause erschienen und habe ihr unter dem schadenfrohen Lächeln seiner Leibwächter verbale Avancen gemacht. Das war 1990, wenige Monate nach der Wahlschlappe der Sandinisten.

Ein Erlebnis, das das Leben der inzwischen 40jährigen viel entscheidender prägte, liegt weiter zurück. Mai 1981 auf dem abgelegenen Solentiname-Archipel im Nicaragua-See. Auf der Inselgruppe, berühmt geworden durch die Basisgemeinde des Dichterpriesters Ernesto Cardenal, wurde ein Fest gegeben. Leute vom Kulturministerium und Prominenz waren nach Solentiname gereist, Rum wurde literweise konsumiert. Auch Gastgeber Alejandro Guevara, der beleibte Regionalkommandant, war in prächtiger Stimmung, als er über Cornelia Marschall herfiel. Über das, was dann passierte, sagt sie nur: „Es erfüllt jedenfalls den Tatbestand der Vergewaltigung nach Paragraph 150 des nicaraguanischen Strafgesetzbuches.“ Die Zuschauer, darunter eine Schwester des Täters, zeigten sich amüsiert.

Cornelia Marschall war wenige Monate nach dem Sturz des Diktators Anastasio Somoza 1979 ins Land gekommen. Wie so viele hatte die junge Deutsche die humane Revolution mit dem christlichen Touch angezogen. An jenem Abend in Solentiname brach für sie eine Welt zusammen: Es war weder ein Konterrevolutionär noch ein Somoza-Anhänger, „der mich mißbraucht hatte, sondern ein Kader der FSLN, Vertreter einer Revolution, die ich liebte und für die ich mit Leib und Seele lebte. Ich wollte ihn anzeigen, aber mir wurde gesagt, ich solle das nicht tun, denn darunter würde das Ansehen der Revolution leiden. Ich habe ihn daraufhin nicht angezeigt, aber bestand darauf, daß innerhalb der Partei gegen ihn ein Verfahren eröffnet würde, denn es ging mir nicht in den Kopf, daß jemand, der den neuen Menschen schaffen wollte, sich einfach so sexuellen Mißbrauchs schuldig machte.“

Gegen Guevara wurde nichts unternommen, aber „gegen mich wurde eine Kampagne gestartet: nicht nur in Nicaragua, sondern sogar in Deutschland, wo in den Solidaritätskomitees verbreitet wurde, daß ich der FSLN enorm geschadet hätte und daß es besser wäre, auf Distanz zu mir zu gehen“. Selbst Ernesto Cardenal, der den Fall nur vom Hörensagen kannte, beklagte sich bei seinem Wuppertaler Verleger Hermann Schulz, Marschall sei exaltiert und störe mit ihren Behauptungen den Frieden in der Region Rio San Juan. Daher sei es geboten, sie dort abzuziehen.

Erst sechzehn Jahre später erfuhr sie von einer in der Parteizentrale beschäftigten Frau, die die Akte Guevara wegen anderer Vorwürfe studierte, daß in ihrem Fall „Guevara schuldig“ auf der Akte stehe. Doch darüber war sie damals genausowenig informiert worden wie über den Druck, der auf ihren nicaraguanischen Ehemann ausgeübt wurde. Wollte er Karriere machen, dann sollte er seine Frau zum Schweigen bringen. Daß daran ihre Ehe zerbrach, daß sie während der ersten Schwangerschaft mehrmals Gefahr lief, das Kind zu verlieren, und daß ihr auch in den Frauenverbänden die Türen verschlossen blieben, waren Konsequenzen ihres „Fehlverhaltens“.

Cornelia Marschall hätte sich denken können, daß ihre Enthüllungen noch heute hysterische Reaktionen auslösen würden. Alejandro Guevara ist vor einigen Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen – seine Witwe Nubia bezichtigt das einstige Opfer ihres Mannes jetzt der Leichenfledderei. Und Tomás Borge kann sich an keine Cornelia Marschall erinnern. Niemals, so versichert Borge in einem Brief, hätte er eine Frau gegen deren Willen geküßt. Das widerspreche seinen revolutionären Prinzipien. Er sei jedoch, das könne er nicht leugnen, ein sehr erfolgreicher Verführer.

Die US-Schriftstellerin Margaret Randall, die in den achtziger Jahren bei den Comandantes aus und ein ging, hat inzwischen erklärt, sie habe von Ortegas inzestuösen Beziehungen seit langem gewußt. Sie schäme sich jetzt für ihr politisch motiviertes Schweigen, schreibt sie und fordert, der Sache endlich auf den Grund zu gehen.

Das Gegenteil ist der Fall: Die Anschuldigungen Zoilaméricas wurden als politisches Manöver einer parteiinternen Strömung oder, wahlweise, einer von der CIA gesteuerten Gruppe enttarnt. Weder die Ethikkommission noch die Frauengruppe der Sandinistischen Versammlung wollte die Stieftochter des Parteichefs anhören. Zoilamérica und ihre Kinder werden von Morddrohungen verfolgt.

Die öffentliche Debatte über sexuellen Mißbrauch aber läßt auf sich warten. Für die einen ist Cornelia Marschall nur eine jener Ausländerinnen, die sich zu Revolutionszeiten den Comandantes an den Hals warfen. Die rege sich jetzt nur auf, weil sie nichts absahnen konnte. Tomás Borge anzuklagen sei keine Kunst. Schließlich wisse jeder über dessen Eskapaden Bescheid. Im übrigen, heißt es in der FSLN, sei eine Diskussion über Ortega auf dem Parteitag an diesem Wochenende nicht opportun. Es gehe nicht an, Ortega zu demontieren, solange kein Nachfolger für den immer noch charismatischen Parteichef in Sicht sei.

Einige Parteidissidenten hingegen wollen Daniel Ortega lieber heute als morgen loswerden, etwa die autonome Frauenbewegung, die den Fall Zoilamérica politisch auszunutzen gedenkt. Dabei aber kommt die Intervention von Cornelia Marschall überhaupt nicht gelegen, lenkt sie doch vom übergeordneten Ziel ab. So bekommt die Deutsche vorerst nur private Unterstützung von Frauen, denen ähnliches widerfahren ist: „Sie wollen offenbar abwarten, wie es mir ergeht, bevor sie auch an die Öffentlichkeit gehen“, mutmaßt Cornelia Marschall.

Zoilamérica Narváez hat sich inzwischen entschlossen, entgegen ersten Ankündigungen doch gerichtlich gegen ihren Stiefvater vorzugehen. Allerdings finden sich angesichts des gewaltigen Drucks wenige, die bereit sind, für sie auszusagen. Parteimitglieder, die ihr glauben, wurden zurückgepfiffen.

Cornelia Marschall will keinen Strafprozeß. Ihr würde eine öffentliche Entschuldigung genügen. Sie ist es leid, als frustrierte Geschichtenerzählerin dazustehen, der unterstellt wird, sie wolle der FSLN schaden. Doch alles spricht dafür, daß sie wieder den kürzeren zieht. Die Ethikkommission der FSLN windet sich und will den Fall gern loswerden. Und ihre Augenzeugen sind plötzlich unerreichbar oder wollen sich an nichts mehr erinnern. Anonyme Anrufer fordern Zoilamérica auf, das Land zu verlassen.

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