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Das Ende des Butzemanns

Der Hamburger Kinderchor „Cantilene“ singt zeitgenössische Lieder – und sorgt damit beim Publikum für Verwunderung  ■ Von Birgit Strietzel

Nichts ist mit dem Butzemann. „Es tanzt ein Mi-Ma-Monsterchen in unserm Haus herum“, singen 30 Mädchen und Jungen in der Aula des Helene-Lange-Gymnasiums im Schanzenviertel. An einigen Liedstellen werden ihre Stimmen zu einem Flüstern, andere werden geschrien.

„Es rüttelt sich, es schüttelt sich, es wirft sein Schräubchen hinter sich“, geht der Text weiter. „Gruselig, nicht?“ fragt eine elfjährige Sängerin, während Chorleiter Jan Rainer Bruns kommandiert: „Locker den Kiefer. Und Einsatz!“

Probe beim Kinderchor „Cantilene“. Geübt wird „Draculand“ – ein Stück, das der Komponist Jens Marggraf eigens für die Hamburger Gruppe geschrieben hat. Es gehört zu einem Projekt des Arbeitskreises Musik in der Jugend (AMJ). Unter dem Motto „Komponisten schreiben für Kinder- und Jugendchöre“ versucht der, jungen SängerInnen „etwas ausgelassenes, verrücktes“ zu bieten.

Auswendig gelernte Textzeilen wechseln mit improvisierten ab. Viele Reime sind makaber – wie der von dem Mann mit grünen Haaren, der „so gerne Damen speist“; einige Stücke tragen Namen wie „Ich bin die liebe Mumie“.

Mit diesen Kompositionen fuhren die HamburgerInnen Anfang Mai zum Internationalen Kinderchorfestival nach Halle. Dort zeigte sich das Publikum erst einmal verwirrt. „Die Leute haben gedacht: Oh Gott, was ist denn das“, erzählt die 11jährige Judith. „Das war, weil das was Außergewöhnliches ist“, setzt ihre Freundin Daniela hinzu. Trotzdem, resümiert Judith zufrieden, fanden die meisten ZuhörerInnen das Stück „ganz toll. Im Publikum hat sich jemand fast totgelacht.“

Die anfänglichen Schwierigkeiten der Erwachsenen mit Marggrafs Lied führt Chorleiter Bruns nicht nur auf den Text, sondern auch die „Zufallsgeräusche“ zwischen den Gesangsstellen zurück. Da zischen die Mädchen und Jungen mit den Mündern und klappern mit den Zähnen. „Die Schnalzgeräusche und das Schimpfgeflüster haben die Kinder sich selbst ausgedacht“, erläutert Bruns. Das sei „vom Komponisten gewollt“, denn es „kommt auf die Stimmbildung“ an.

Also wird in der Schulaula gezischelt und gehaspelt, gewispert und gegrollt. Das ist „nicht so langweilig“ wie andere Stücke, findet der 11jährige Eugen. Und die 12jährige Sarah hat „viel gelernt, weil man solche Töne sonst nicht hört“. Und wenn die Strophe mit den Monstern sitzt, geht es weiter zur nächsten – der mit den Menschenfressern.

Cantilene tritt am 29. Juni bei den Schulmusiktagen wieder in Hamburg auf.

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