: Rechte berufen sich auf Rosa Luxemburg
In der Landtagssitzung von Sachsen-Anhalt forderte der DVU-Alterspräsident Rudi Wiechmann gestern die „Freiheit der Andersdenkenden“ ein und überläßt die Tiraden seinem Fraktionsvorsitzenden Helmut Wolf ■ Aus Magdeburg Toralf Staud
„Ich bin kein Marxist“, sagt Rudi Wiechmann zu Beginn seiner Rede. Das glaubt dem Abgeordneten der Deutschen Volksunion (DVU), der als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt leitet, nun wirklich jeder. Trotzdem wolle er als erstes Rosa Luxemburg zitieren, die ja gesagt habe, Freiheit sei immer die Freiheit der Andersdenkenden, erklärt Wiechmann.
Ein paar PDS-Abgeordnete schauen desorientiert. Wäre Wiechmann ein geübter Redner, ließe er jetzt eine Kunstpause und damit den Überraschungseffekt wirken. Doch für Rudi Wiechmann ist dies die erste wirklich große Rede seines Lebens. So liest er mit monotoner Stimme weiter, konzentriert sich, so gut es geht, auf sein Manuskript, um sich bloß nicht zu verhaspeln. Er bittet die anderen Parteien um einen „fairen und toleranten Umgang“, warnt vor „persönlichen Verunglimpfungen“. „Was hilft es uns, wenn mit Wortgewalt oder Verweigerungshaltung Ausgrenzungen erfolgen, die vom Volk nicht gewollt sind?“ – SPD, CDU und PDS antworten mit eisigem Schweigen. Nur Wiechmanns fünfzehn DVU- Fraktionskollegen klatschen und klopfen auf ihre Tische.
Die DVUler sind am Morgen mit einem Bus unter Polizeischutz in den Landtag gebracht worden — weitgehend unbemerkt von dem Häuflein Jugendlicher, das davor unter dem Motto „Wir wollen keinen Frey-Staat – Keine Plattform den Faschisten“ demonstrierte. Die zwei Stunden bis zum Beginn der Landtagssitzung warteten die DVUler in einem Versammlungsraum, belauert von einem Pulk Kameraleute und Fotografen vor der Tür. Sogar auf dem Gang zur Toilette, wohin der Alterspräsident zwanzig Minuten vor der Sitzung verschwindet, wird Wiechmann gefilmt. Fragen wehrt er genervt ab: „Lassen Sie mich doch in Ruhe arbeiten.“
Als Wiechmann dann redet, sitzt Ministerpräsident Reinhard Höppner in der dritten Reihe der SPD-Fraktion, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet als bete er, daß alles bald zu Ende ist. Er hatte sich vorab um das Ansehen Sachsen- Anhalts gesorgt, wenn rechtsradikale Parolen vom Podium tönen. Die PDS hatte angekündigt, den Saal zu verlassen, falls Wiechmann eine menschenverachtende Ansprache vortrage. Doch der Alterspräsident hält sich zurück. Auf der Pressetribüne macht sich Enttäuschung breit. Die ersten Kameras werden eingepackt.
Eine gute Stunde später kommt es doch noch zum Eklat. Nachdem der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schaefer zum neuen Landtagspräsidenten gewählt ist und die Tagungsleitung übernommen hat, meldet sich PDS-Fraktionschefin Petra Sitte, um „etwas klarzustellen, das keinen Aufschub duldet“. Sie greift die DVU für „menschenverachtende Parolen, sozialchauvinistischen Populismus und geschichtsrevisionistische Positionen“ an. Sie zitiert Wiechmann aus dem Stern, wo er gesagt habe, multikulturell bedeute für ihn multikriminell. Genüßlich erinnert Sitte daran, daß Wiechmann in der DDR in der Blockpartei LDPD (liberaldemokratische Partei Deutschlands) mitgemacht habe und über die FDP bei der DVU gelandet sei. Sitte geißelt seine Rede als „taktisches Manöver“ und kündigt an, die DVU zu „entlarven“.
DVU-Fraktionschef Helmut Wolf tritt ans Rednerpult und geifert zurück. Das „rote Bündnis“ aus SPD und PDS habe bei der Wahl „den Volkszorn in Empfang“ nehmen müssen. „Unsere DVU hat die Mißstände sauber benannt.“ Gemurmel und Gelächter bei SPD und PDS. Breitbeinig steht Wolf, die linke Hand in die Tasche seines grauen Anzugs gesteckt. Er meint, die SPD habe sich „in Multi-Kulti verfranst“, in die „bolschewistische Ecke verrannt“. Zwei Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion verlassen den Saal. PDS-Fraktionsgeschäftsführer Wulf Gallert bremst seine Leute mit beschwichtigenden Handbewegungen.
Wolf motzt weiter über den Euro-Wahn der deutschen Regierung, die Milliardentransfers ins Ausland. Ganz so wie schon im Wahlkampf. Als er das „Höppner- Regime“ beschimpft, das „nur quatschen und nicht handeln“ könne, stehen weitere SPD-Leute auf. Höppner faßt sich an die Stirn. Auch die ersten PDSler gehen. „Die DVU wird die Rückkehr der Demokratie und die Herrschaft des Volkes erzwingen“, ruft Helmut Wolf. Seine Partei werde die Etablierten zwingen, zu erklären, was sie „für die Landsleute“ getan haben, droht er, „wenn nötig auch nachts am Telefon“.
Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei. Als nach der Wahl der beiden Landtagsvizepräsidenten die konstituierende Sitzung zu Ende geht, warten am Ausgang des Saals die Kameras. Jetzt will Wolf überhaupt nichts mehr sagen. Auch Wiechmann und die anderen DVU-Leute verstecken sich hinter ihren medienwirksamen Bodyguards.
Direkt vor den Rechten geht Steffen Gebhardt, ein junger, langhaariger PDS-Abgeordneter. Er trägt seinen Kommentar auf seinem schwarzen T-Shirt: „Nazis, verpißt euch.“
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