: Schutz vor drohender Beschneidung
■ Urteil: Nach ihrer Flucht vor Beschneidung darf eine Frau aus der Elfenbeinküste jetzt in Deutschland bleiben / Bei solchen Eingriffen bestehe „Gefahr für Leib und Leben“
Vor zwei Jahren ist Hélène K. buchstäblich um ihr Leben gelaufen. Aus der Hütte in der Elfenbeinküste, wo man ihr die Genitalien beschneiden wollte, floh sie in Todesangst – nach Deutschland. Sie wollte nicht verbluten oder an einer Infektion als Folge der „Operation“ sterben, wie sie es in ihrem Dorf mehrfach bei anderen jungen Frauen beobachtet hatte, berichtete sie dem Gericht. Jetzt erhielt die Afrikanerin auf dem Klageweg Schutz vor dem Schicksal Beschneidung. Sie wird geduldet und darf in Deutschland bleiben, urteilte das Oldenburger Verwaltungsgericht.
Richterin Gabriele Göken glaubte der heute 18jährigen von der Ethnie der Dan, daß sie nach der Entscheidung des Vaters, die Tochter beschneiden zu lassen, auch als Erwachsene in der Elfenbeinküste nirgends vor Verstümmelung sicher wäre. Bis mindestens zur Vollendung des 20. Lebensjahres drohe der heute 18jährigen die Zwangsbeschneidung – und angesichts der hygienischen Mißstände bei solchen Eingriffen „konkrete Gefahr für Leib und Leben“, begründete die Richterin das Urteil. Darin heißt es weiter, auch daß die junge Frau inzwischen Mutter eines zweijährigen Sohnes ist, mindere das Risiko einer Zwangsbeschneidung nicht. Es seien durchaus Fälle bekannt, in denen auch Mütter beschnitten wurden. Deshalb dürfe Hélène K. (nach §53 Abs. 6 des AuslG) nicht abgeschoben werden, hob die Richterin eine Abschiebungsandrohung des Asylbundesamtes auf, das einen Asylantrag zuvor abgelehnt hatte.
Auf politisches Asyl allerdings erkannte die Richterin, anders als zuvor ein Magdeburger Verwaltungsgericht, nicht. Die Magdeburger RichterInnen hatten das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als erstes – und bislang einziges – deutsches Gericht verpflichtet, eine Frau aus der Elfenbeinküste als Asylberechtigte anzuerkennen, weil diese als künftiges Stammesoberhaupt beschnitten werden sollte (Aktenzeichen 1A 185/95). Staatliche und damit politische Verfolgung liege bei Beschneidungen von Frauen jedoch nicht vor – auch wenn der Staat weder die Opfer dieser Verstümmelung schütze noch die Täter bestrafe – befanden dagegen die Oldenburger. Eine Verfolgung durch Dritte, etwa durch die Familienangehörigen, sei kein Grund für politisches Asyl. Die Hamburger Anwältin von Hélène K., Gabriela Lünsmann, sieht das anders. Sie erwägt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.
Das Gericht unterdessen ließ sich vom Einzelfall der Hélène K. überzeugen. Die junge Frau sei sehr direkt von Verstümmelung bedroht; sie habe dem Gericht glaubhaft geschildert, wie sie aus der Beschneidungshütte im Wald, wo bereits über 20 andere Mädchen untergebracht waren, geflüchtet war. Daß sie einer ivorischen Ethnie angehört, in der Frauen regelmäßig beschnitten werden, sei nur einer von mehreren Aspekten, die für ein Recht auf Duldung sprachen. Grundsätzlichen Schutz vor Abschiebung könne es allein wegen der in einem Land praktizierten Beschneidung von Frauen, wie sie WHO-Schätzungen zufolge 60 Prozent der weiblichen Bevölkerung in der westafrikanischen Republik betreffen, nicht geben.
Ähnlich wie die Magdeburger RichterInnen wertete allerdings auch das Oldenburger Gericht, daß es für Frauen aus der Elfenbeinküste, sofern sie erst einmal vor Beschneidung geflüchtet sind, keine sichere Zuflucht in ihrem Heimatland gibt – anders als mittlerweile im Senegal oder in Gambia. Im Falle von Hélène K. geht das Gericht davon aus, daß die Familie auf der Suche nach der abtrünnigen Tochter ist. „Die Wahrscheinlichkeit, aufgespürt und zwangsbeschnitten zu werden, ist deshalb größer als die Möglichkeit, sich dort auf Dauer der Verstümmelung zu entziehen“.
Im Falle einer anderen beschneidungsgefährdeten Ivorerin, die ebenfalls vor dem Oldenburger Verwaltungsgericht Klage gegen eine drohende Abschiebung eingereicht hatte, entschied das Gericht gegen das Anliegen der Frau. Die teilweise bereits beschnittene Frau sei in ihren Ausführungen nicht glaubhaft gewesen, hieß es zur Begründung. ede
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