: Dümmlicher Kotau
■ Eine "politische" Biographie stilisiert den Schauspieler Heinrich George zur Galionsfigur eines nicht nazistischen deutschen Patriotismus
Wer es in Deutschland bis zur Briefmarke bringt, hat die kleine Unsterblichkeit geschafft. Weil die Nobilitierung durch die Bundespost nebenbei auch eine politische Ehrenerklärung darstellt, ist das Andenken an Heinrich George spätestens seit 1993, als sein Porträt auf einer Eine-Mark-Briefmarke erschien, über alle Zweifel erhaben. So gesehen hätte es der „politischen Biographie“ gar nicht bedurft, mit der Werner Maser den 1883 als Heinrich Georg Schultz in Stettin geborenen Schauspieler noch ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod vor den Vorwürfen allzu großer Nähe zum Nationalsozialismus in Schutz nimmt.
Die Faktenlage ist schon länger klar. Anfänge als Schauspieler in der Provinz, dekorierter Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, Aufstieg zum Bühnen- und Filmstar der Weimarer Republik, zeitweiliger Karriereknick zu Beginn der Naziherrschaft wegen allzu großer Nähe zur KPD. Ein dümmlich-pathetischer Kotau vor den neuen Herren ebnet George den Weg zu höchstem Ruhm. Hitler befördert ihn 1937 zum „Staatsschauspieler“, 1938 zum Intendanten des Schiller Theaters. Dafür macht der Vielgeliebte den Nazis das Aushängeschild. Sein Mitwirken veredelt Propagandafilme wie „Jud Süß“ (1940) oder „Kolberg“ (1945). 1945 verhaftet der NKWD George, der sich bis zuletzt loyal zum Regime bekannt hat. Im September 1946 stirbt er im Sonderlager Sachsenhausen an den Folgen einer Notoperation.
Dem hat Werner Maser, emeritierter Professor für Geschichte und Hitler-Biograph, wenig Neues hinzuzufügen. Eine detaillierte Beschreibung der Suche nach dem von DDR-Behörden unkenntlich gemachten Grab, der Brief, mit dem ein Schauspieler seinen früheren Intendanten bei den Sowjets denunzierte, in Moskauer Archiven gefundene Protokolle von Verhören durch den sowjetischen Geheimdienst. Sowenig wie die gerade bekanntgewordene Rehabilitierung Georges durch den russischen Generalstaatsanwalt tragen diese „sensationellen Funde“ zur Klärung der Frage bei, weshalb George (und nicht nur er) seine immense Popularität so umstandslos in den Dienst der von ihm noch kurz zuvor abgelehnten Naziherren stellte.
Aber Werner Maser geht es ohnehin um etwas anderes. In „Heinrich George. Mensch aus Erde gemacht“ fungiert das „Genie“ als Repräsentant einer vom Nazismus nicht infizierten, aber staatstreuen Volksgemeinschaft „deutscher Patrioten“. Die noch im Vernichtungskrieg an der Ostfront ihre Pflicht gegenüber Führer, Volk und Vaterland verrichteten. Indem er George zur Galionsfigur einer Mentalität aufbaut und seine schrecklichen Verrenkungen vor den nazistischen Machthabern als Kalkül oder gar erzwungen hinstellt, versucht Maser eine ganze Generation von dem Vorwurf des Verlustes aller moralischen Maßstäbe freizusprechen.
Die Argumentation ist so krude wie plump. Georges zwölfjährige Loyalität zum „großen Volkskanzler“ Hitler etwa tut der Historiker mit der Erklärung ab, die Möglichkeit, aufzutreten, sei für den Schauspieler „lebensnotwendig“ gewesen. Zumal als „bekannter Sympathisant der Linken“ habe George alles dafür tun müssen, von den neuen Herren kein Spielverbot auferlegt zu bekommen. Schließlich sei George niemals Mitglied der NSDAP geworden, ein Faktum, das Maser zum Akt passiven Widerstandes befördert. Unerwähnt läßt er die Tatsache, daß weder Georges Intendantenkollegen noch die populären Stars aus Film und Theater es nötig hatten, in die Partei einzutreten.
Ähnlich verharmlosend verfährt Maser auch im Fall von Georges bekannter Kumpanei mit Hermann Göring, und über die bekannten Aufnahmen des angeregt applaudierenden Heinrich George bei Goebbels' Aufruf zum totalen Krieg 1943 heißt es, der Schauspieler habe sich nur die Gelegenheit für einen öffentlichen Auftritt nicht entgehen lassen wollen.
Nicht Georges Willfährigkeit gegenüber den Nazis gilt Maser als erklärungsbedürftig, sondern seine Sympathien für die Linke der Weimarer Republik. Die führt er nicht etwa auf die sozialen und politischen Defizite der Republik zurück, sondern auf Einflüsterungen Erwin Piscators. Der habe es verstanden, George „für sein Theater zu gewinnen und so weit zu beeinflußen, daß er als ,extremer Linker‘ vorgezeigt werden konnte – und jahrelang selbst nichts dagegen einzuwenden hatte“. Aus seiner antikommunistischen Logik erklärt Maser auch Georges Ende in Sachsenhausen. Der NKWD habe es bei der Inhaftierung Georges nicht in erster Linie auf den Repräsentanten des Naziregimes abgesehen, sondern auf den „abtrünnigen“ Kommunisten.
Der ehemalige Wehrmachtsleutnant Werner Maser hat als Mithäftling Heinrich Georges den „wahrscheinlich größten und bedeutendsten Schauspieler, den die deutschsprachige Welt je hervorgebracht hat“, übrigens noch selbst erlebt. Wobei des späteren Historikers Drang zur Heldenverehrung notorisch zu sein scheint: In den siebziger Jahren hatte er der verdutzten Öffentlichkeit auch einmal einen unehelichen Sohn Hitlers präsentiert. Nikolaus Merck
Werner Maser: „Heinrich George. Mensch aus Erde gemacht“. edition q, 462 Seiten, 44DM
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