: Zu früh für einen Schlußstrich?
■ Bremens Vorreiterrolle bei der Diskussion um die Rehabilitierung von NS-Opfern hat seit Beginn der Großen Koalition gelitten / Bundesinitiative für materielle Entschädigung gefordert
Auf geteiltes Echo ist die Aufhebung der Unrechtsurteile aus der Zeit des Nationalsozialismus im Bundestag in Bremen gestoßen. „Nach der juristischen Rehabilitierung muß jetzt auch eine materielle Wiedergutmachung folgen“, forderte der Grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn und appellierte an den Senat, eine Bundesratsinitiative zu starten, an deren Ende eine Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht“ eingerichtet wird. Für Ludwig Baumann, zum Tode verurteilter und davongekommener Deserteur der Wehrmacht aus Bremen, wurde gestern dagegen „der Traum von später Gerechtigkeit erfüllt.“ Jahrelang hatte Baumann um seine Rehabilitierung gekämpft – genau wie zahlreiche andere Opfergruppen, unter ihnen Homosexuelle, Sinti und Roma, Zwangssterilisierte oder die Zeugen Jehovas.
Das Bundesland Bremen war lange Zeit Vorreiter bei der Rehabilitierung von Opfern des Nationalsozialismus. Bremen war das dritte Bundesland, das sogenannte „Härtefallregelungen“ einführte, um vergessene Opfer wenigstens mit Landesmitteln zu entschädigen. Im Bundesrat wurden mehrere Anträge zum Thema eingebracht, darunter auch der, Kriegsverbrechern keine Rente mehr auszuzahlen.
Doch nicht alles, was Bremen zu den Debatten beitrug, hatte positive Folgen. Der Bremer SPD-Politiker und Bundestagsabgeordnete Volker Kröning wurde von seiner Bundestagsfraktion 1996 im letzten Moment zurückgepfiffen: Als Berichterstatter seiner Fraktion zum Thema Rehabilitierung von Deserteuren hatte er sich so nahe an die Positionen von CDU-Rechtsausleger Norbert Geis heranverhandelt, daß dies eine Rehabilitierung aus Sicht der Opfergruppen unmöglich gemacht hätte.
Das Klima der Bremer Großen Koalition scheint zudem die Aktivitäten aus Bremen gedämpft zu haben. So hatte sich Bremen im Oktober 1996 bei einer Bundesrats-Abstimmung enthalten, als es um die Rehabilitierung der Militärjustiz-Opfer ging. Auch letzten Herbst nahm man leise Abschied von Aktivitäten: Am 4. September fand eine Anhörung der verschiedenen „vergessenen“ Opfergruppen in der Deputation für Arbeit statt. Danach wurde beschlossen, die Idee für eine Rehabilitierungs- und Entschädigungsstiftung weiter zu prüfen. Noch wird geprüft.
„Seitdem Scherf an der Regierung ist, habe ich den Eindruck, daß er kein Ohr mehr für das Thema hat“, sagt auch Jörg Hutter, der seit Jahr und Tag für die Rehabilitierung der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus eintritt und im Landesvorstand der Grünen sitzt. In Bremen sei die Verfolgung von Lesben und Schwulen immer noch eine Forschungslücke – nicht aufzuheben ohne Forschungsgelder und eine Stiftung.
Eine Meinung, der man in den Bremischen Behörden widerspricht. „Wir finden in solchen Fragen ein großes Interesse bei Henning Scherf“, meint Rolf Sauerwald aus der Justizbehörde. Auch, daß seit 1989 in Bremen 616 Menschen durch „Härtefallgelder“ entschädigt wurden, ist durchaus ein positives Zeichen. Doch selbst die Leiterin des zuständigen Vergabebeamtes, Kerstin Meier, räumt ein: Ein Bundesgesetz für materielle Wiedergutmachung tut immer noch Not.
Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Uwe Siefert erklärt die Zurückhaltung Bremens im Bundesrat mit der Realpolitik. Im Bundesministerium für Justiz werde bereits an einem Entwurf für materielle Wiedergutmachung gefeilt. Und Bremen habe eine Sonderrolle: „Es ist natürlich schwer, als Bittsteller, der man ohnehin ist, so et- was zu fordern.“ Christoph Dowe
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