: HipHop vom ländlichen Glück
30.000 Landfrauen treffen sich an Pfingsten in Berlin, ihr Verband wird 100 Jahre alt. Mit von der Partie sind Carola Hoxbergen und ihre Nachbarinnen aus Wutzetz. Sie wollen nicht auf dem Dorf versauern ■ Von Constanze v. Bullion
Als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt. Da hockt sie zwischen bekleckerten Kuhbeinen, zwischen Bächen von Gülle und warmen Eutern, stemmt Futtereimer und Melkmaschinen und summt einen eigenartigen HipHop vor sich hin. Komm-na-komm-schon- komm, drei Stunden geht das so, als wollte sie nicht nur ihre Kühe, sondern auch die Fliegen einlullen, die durch den Stall surren. „Hier hat jede ihren eigenen Kopf“, erzählt Carola Hoxbergen und meint Agathe und die anderen, denen sie eben die Saugglocken angesetzt hat. Und während die Maschine schmatzt und nuckelt, lehnt die sehnige Frau mit dem eigensinnigen Haarschopf sich an den Türpfosten, wirft einen Blick über den Hof und lacht. Sie habe eben „dolles Glück“ gehabt im Leben. Weggehen von hier? – Kommt nicht in Frage.
Das Kaff ist klein und schwer idyllisch. Wutzetz liegt mitten in der brandenburgischen Prignitz. Ein paar Windkrafträder lassen hinterm Wald die Flügel kreisen, sonst erinnert hier fast nichts an die Gegenwart – und noch weniger an die Vergangenheit. Feten, Feuerwehrbälle und viele junge Leute gab es in dem Weiler, wo behäbige Backsteinhöfe ein schmuckes Kirchlein belagern und Bachstelzen über die Dorfstraße trippeln. Seit Jahren ist der Jugendclub dicht. Im „Konsum“ hängen Gardinen im Schaufenster, zu kaufen gibt es längst nichts mehr. Wer aus Wutzetz nicht wegkommt, wartet auf das Auto von Bo-Frost. Oder auf bessere Zeiten.
„Nach der Wende war das plötzlich wie tot“, erzählt die Landwirtin Carola Hoxbergen, die vor sechs Jahren hier einen Hof übernommen hat, „am schlimmsten kam es für die Frauen.“ Daß die Melkerinnen und Kraftfahrerinnen der LPG nicht nur als erste flogen, sondern bald auch die angetrunkenen Ehemänner auf dem Sofa sitzen hatten, war die erste Ernüchterung. Daß ihre Kinder sich verdrückten, war die zweite. „Wir sind ein Rentnerdorf geworden“, sagt Frau Hoxbergen, die mit ihren 42 Jahren zu den Jüngeren gehört und nicht zulassen will, „daß die Frauen so vor sich hin brutzeln“.
Sie hat sich organisiert. Hat einen Landfrauenverband im Havelland mit gegründet und sich in den Landesvorstand wählen lassen. Gut 1.000 Brandenburgerinnen sind dem Deutschen Landfrauenverband (DLV) inzwischen beigetreten, der mit über 550.000 Mitstreiterinnen zu den größten Frauenbünden der Republik gehört. Er berät Landbewohnerinnen in Sachen Rente und Versicherung, setzte 1995 eine unabhängige Alterssicherung für Landwirtinnen durch und versucht das Dorfleben wiederzubeleben. Gerade im Osten, meint Carola Hoxbergen, „sollen die Frauen aus der Isolation geholt werden“.
Eine Riesenfete wurde angesetzt, dieses Wochenende treffen sich rund 30.000 Landfrauen im Berliner Olympiastadion. Der Verband wird hundert Jahre alt, die Post ehrt seine Gründerin mit einer Briefmarke. Auch wenn Elisabet Boehm nicht gerade eine lupenreine Biographie vorzuweisen hat. Die ostpreußische Gutsfrau setzte sich für die Anerkennung hauswirtschaftlicher Arbeit und für die Ausbildung weiblicher Arbeitskräfte auf dem Land ein. 1898 gründete sie den ersten Verein, der ländliche Produzentinnen und städtische Kosumentinnen zusammenschloß. 1916 gründete Boehm den „Reichsverband landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine“.
Wes Geistes Kind dieser Bund war, verrät das Gründungsfoto. Sieben robuste Damen posieren auf einer Freitreppe, streng gescheitelt und mit den Perlen ihrer Großmütter um den Hals repräsentieren sie selbstbewußt ostelbischen Großgrundbesitz. Die Landfrauen waren preußisch, protestantisch – und deutschnational. Flammende Schriften gegen die „Überfremdung“ der deutschen Wirtschaft durch ausländische Getreideimporte hat Elisabet Boehm verfaßt, 1933 wechselte sie zu den Nazis. Ab jetzt gehörten ihre ährenschwingenden Maiden zum NS- Reichsnährstand und schwärmten von Blut und Boden und deutschem Lebensraum im Osten.
Aus letzterem ist bekanntlich nichts geworden, ab 1945 mußten die ostelbischen Gutstöchter ihre Ländereien räumen. Daß „die Heimat und alles“ verlorenging, kann man in der Jubiläumschronik nachlesen. Die Broschüre macht auch kein Hehl daraus, daß der 1948 neu gegründete Landfrauenverband Gelder aus dem Vermögen des NS-Reichsnährstands erbte, was ihm „spürbare finanzielle Erleichterung“ geschaffen habe. Immerhin: Die braunen Schatten der Vergangenheit hat man wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Was bleibt, ist ein solides Standesbewußtsein.
Marie-Luise Gräfin Leutrum von Ertingen, Adelheid Lindemann-Meyer zu Rahden, Juliane Freiin Heereman – wie das Who's who des deutschen Hochadels lesen sich die Namen der DLV-Chefinnen. Alles Zufall, meint Anne von Laufenberg-Beermann, die heute die Geschäfte führt. Sie sieht den Verband der Faltenrockträgerinnen nicht als Anhängsel des CDU-nahen Bauernverbandes, sondern als „politisch total gemischte“ Truppe, die sich seit der Wende gezielt um die Frauen in Ostdeutschland bemüht. „Wir hoffen, daß wir relativ zügig eine Brücke schlagen können“, sagt sie, „auch wenn in den neuen Ländern noch erhebliche politische Defizite in den Strukturen bestehen.“ Bei den Landfrauen hat zusammengefunden, was nie zusammengehörte. Aus dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD), einem realsozialistischen Gegenstück zu den westdeutschen Landfrauen, stammen etliche DLV-Funktionärinnen der neuen Länder. Karin Zube etwa, die Vorsitzende der Landfrauen im Havelland, leitete zehn Jahre lang den DDR-Frauenbund in Mecklenburg. „Da waren viele Arbeiten ähnlich“, meint die Agrarwissenschaftlerin, die nach der Wende zur Umwelberaterin umgeschult wurde – und im Oktober ihre ABM-Stelle bei den Landfrauen räumen muß, weil eine andere drankommt.
„Ein Leben lang hat man gearbeitet, und dann wird man einfach auf die Seite geschoben“, sagt Frau Zube, die nicht ohne Bitterkeit verfolgt, wie wenigen Brandenburger Landfrauen der geplante Schritt von der ABM in die Selbständigkeit gelingt. Dabei sind die Damen durchaus rührig. Trachtenkleider haben sie gesammelt und uriges Handwerk erforscht, ein Bauernhof wird zum Streichelzoo umgebaut, wo Weberinnen alte Techniken vorführen. Zur selbständigen Existenz, weiß Karin Zube, fehlt den Frauen allerdings das nötige Kleingeld.
Dann muß es eben ohne gehen, hat Frau Hoxbergen aus Wutzetz sich gedacht. Noch zu DDR-Zeiten hatte die gelernte Eisenbahnerin sich von „einem tollen Melker im Dorf“ anweisen lassen und in der LPG angefangen. „Das hat mir schon gelegen, auch wenn es schwere Arbeit war“, sagt die Frau, die auf ihre schnörkellos brandenburgische Art ins Schwärmen gerät, sobald man sie nach ihrem Beruf fragt. Carola Hoxbergen hatte eben „dolles Glück“ und einen Mann, mit dem zusammen sie 1991 günstige Kredite aufnehmen und einen Hof wiedereinrichten konnte. Doch am Ziel ist die Familie noch lange nicht.
„Das ist kein Haus, das ist eine Hütte“, schimpft Carola Hoxbergen über das 500 Jahre alte Wohnhaus, in dem sie mit ihrem Mann und den beiden halbwüchsigen Kindern lebt. Dabei raubt das Ambiente einem den Atem. Vor den Fenstern blühen die Lilien, drinnen in der niedrigen Stube ist es angenehm kühl. „Gut Gericht, froh Gesicht“ steht auf den weißblauen Kacheln über dem Herd aus Urgroßmutters Zeiten, doch die Frau, die in der Nudelsuppe rührt, findet die marode Idylle wenig romantisch. „Fußkalt und ewig feucht“ sei das Haus, sagt Carola Hoxbergens Mutter, die mittags. Sie freut sich auf den Tag, wenn endlich der alte Stall umgebaut ist, wenn die Familie nach nebenan zieht und „diese alte Bruchbude“ abgerissen wird.
Wer so viel Nüchternheit verstehen will, muß wissen, wie es sich anfühlt, jeden Morgen um fünf nach fünf aufzustehen, zum Melken zu gehen und einen Arbeitstag anzutreten, der selten kürzer als 16 Stunden ist. Sieben Pferde striegeln, 135 Rinder versorgen, Zäune um 102 Hektar Land bauen, Kälber zum Schlachter bringen und das Fleisch im Dorf verkaufen, da wolle sie abends „schon mal alle viere hängen lassen“. Einen einzigen Urlaub hat Carola Hoxbergen sich in sieben Jahren gegönnt und fuhr mit den Landfrauen nach Prag – für drei Tage. Länger hätte sie die Muße ohnehin nicht ausgehalten. Daß sie bei dem Geacker „mit Politik so gut wie gar nüscht zu tun“ hat, ist eigentlich kein Wunder. „Vor vier Jahren“, erzählt die Landwirtin, „habe ich CDU gewählt. Aber wenn jetzt eine sozialere Regierung drankommt, ist das in Ordnung.“ Carola Hoxbergen wartet nicht auf Wunder. Lieber packt sie zu, hier im Dorf, und wirbt Nachbarinnen für die Landfrauen. Mit denen zusammen hat sie den verwaisten Jugendclub wieder in Schuß gebracht. Geklönt, überlegt und beraten wird hier, „das Beste aus allem machen“ nennt Carola Hoxbergen das. Was „dolles Glück“ ist? Daß ihre Tochter den Hof übernehmen will. „Und daß morgen früh, wenn keiner zuschaut, die Sonne wieder aufgeht.“
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