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Kein Überblick

■ S-Bahn fuhr los, Kinderkarre blieb stecken: Prozeß gegen Bahnangestellten

Eine Stimme erschallt aus dem Off: „Zurückbleiben bitte.“ Die S-Bahn-Türen schließen selbsttätig, der Zug fährt los. Das Abfahrtsignal darf erst ertönen, wenn alle Fahrgäste ein- und ausgestiegen sind. Am 25. Mai vergangenen Jahres indes gab der Bahnangestellte Gerd H. das Zeichen zu früh. Dafür muß er sich seit gestern vor dem Amtsgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten.

Denn eine Frau hatte das S-Bahnabteil am Dammtorbahnhof schon verlassen, der Kinderwagen mit ihrer Tochter jedoch noch nicht ganz – er steckte in der Tür fest, als der Zug losfuhr. Panisch hatte die Mutter noch versucht, ihre Tochter aus der Karre zu zerren, und war neben dem Zug hergelaufen, bis sie stolperte und zu Boden fiel. Darauf aufmerksam geworden, stoppte der Fahrer die Bahn. Die Mutter erlitt einen Schock.

„Ich konnte den Teil des Zuges auf dem Monitor nicht sehen“, rechtfertigte gestern Gerd H., daß er das Abfahrtsignal gab. Er hatte den Zug nicht vom Gleis aus, sondern in der „Zentralen Zugabfertigung“ in Altona per Bildschirm überwacht. „Jeder Zugabfertiger hat vier Monitore. Darauf kann er den gesamten Zug überblicken“, hält die Sprecherin der Deutschen Bahn AG, Katrin Fech, dagegen. Bei der kleinsten Unsicherheit dürfe der Abfahrauftrag nicht ergehen. „Dieser Mitarbeiter hat unserer Ansicht nach gegen Vorschriften verstoßen“. Seit dem Unfall ist Gerd H. auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt worden.

Auf nur noch 15 Hamburger S-Bahnhöfen sind BeamtInnen zur Abfertigung direkt auf dem Gleis. Die 43 anderen Stationen werden zentral über Monitor überwacht – aus Kostengründen. Die Unfallquote habe sich seither nicht erhöht, versichert Fech. Derzeit plant die Bahn, ein ganz neues Kontrollsystem einzuführen: Wie bereits bei der U-Bahn, soll künftig auch bei der S-Bahn der Fahrer selbst vor dem Start den Bahnsteig überblicken.

Der Prozeß wird fortgesetzt.

Elke Spanner

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