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Der Möglichmacher

Jochen Sandig ist dreißig Jahre alt – und zeigt im Kraftfeld zwischen Politik, PR und Kultur, was alles geht  ■ Von Oliver Kranz

Er hat das Tacheles gegründet und die Tanzcompagnie von Sasha Waltz auf den Weg gebracht. Er entdeckte die heruntergekommenen Sophiensäle und machte sie in kürzester Zeit zu einer der ersten Adressen für freies Theater. Wenn im Jahr 2000 ein neues Team um den Regisseur Thomas Ostermeier versucht, die Schaubühne umzukrempeln, wird er wohl mit dabei sein. Jochen Sandig ist ein Kulturmanager par excellence – obwohl er das Wort nicht mag. Es klingt ihm zu sehr nach Nadelstreifen. Er selbst würde sich lieber als „Initiator“ bezeichnen. Auf die Arbeit kommt es an, betont er, und nicht auf die Bezeichnung. Sandig ist dreißig Jahre alt. Im Büro trägt er Jeans und alte Pullover, sein zotteliges Haar hat er zu einem Zopf zusammengebunden. Schon äußerlich will er signalisieren, daß er kein Yuppie ist, kein Besserwisser oder Absahner – sondern einfach ein ernsthafter „Kulturarbeiter“.

Stolz hinter der Bescheidenheit

Doch weder die 70er-Jahre-Terminologie noch seine Kleidung können darüber hinwegtäuschen, daß Sandig ein routinierter Aktivist der Berliner Kulturszene ist. Und zwar einer, der, aus der freien Szene kommend, mit allen nur denkbaren Schwierigkeiten vertraut ist, im Gespräch mit Politikern aber ebenso den richtigen Ton trifft wie bei Verhandlungen mit Vertretern der Wirtschaft. Wer ihn nach seinen Plänen fragt, bekommt druckreife Stellungnahmen zu hören. „Ich sehe meine Rolle mittlerweile eher im Hintergrund, gibt er im Interview zu Protokoll. Oder: „Die Künstler gehören ins Rampenlicht, ich bin nur der Möglichmacher.“ Hinter der ausgestellten Bescheidenheit klingt Stolz durch. Der Stolz, etwas erreicht zu haben. Das hat er auch.

In die Berliner Kulturszene ist der gebürtige Schwabe eher zufällig geraten. Eigentlich war er in die Stadt gekommen, um an der FU Psychologie und Philosophie zu studieren. Doch dann beteiligte er sich 1990 an der Besetzung einer Ruine an der Oranienburger Straße, und die Dynamik des Vorgangs riß ihn mit. Das Kunsthaus Tacheles wurde gegründet, und Jochen Sandig war „mit Haut und Haaren dabei“. Von seinen Eltern, die in der Friedensbewegung aktiv waren, hat er „den Glauben ans Unmögliche“ in die Wiege gelegt bekommen, wie er sagt, und im Tacheles sah er einen Ort, an dem es möglich war, „Utopien zu leben“.

Einige der Besetzer wollten das Haus jedoch zu einem Bollwerk gegen „Bullen“ und „Faschos“ ausbauen, zur Zentrale der Berliner Besetzerszene. Dem trat Jochen Sandig entgegen. Heute noch erzählt er gern, wie er am ersten Tag verhinderte, daß der Haupteingang des Tacheles zugemauert wurde. „Mir war klar, daß wir nur dann eine Chance haben würden, wenn wir sagten: Wir sind ein Haus mit offenen Türen.“ Und das sagte er auch den Journalisten, die ins Tacheles kamen. „Ich war der einzige, der damals begriffen hat, wie wichtig Medienarbeit ist.“ Ein Stratege. Als dann die zusammengewürfelte Besetzerschar den Tacheles-Verein gründete, wurde Jochen Sandig zum Vorsitzenden, ja, zu Stimme und Gesicht des Tacheles. Nach außen hin zumindest. Er gab Interviews, verhandelte mit Politikern und Investoren. Intern folgte das Haus jedoch seinen eigenen Gesetzen. „Niemand hat das Tacheles geleitet“, betont Sandig. „Es hat sich selbst gesteuert – irgendwie.“ Der Verein war basisdemokratisch organisiert. Für den „Möglichmacher“ Sandig wurden die Montagsplenen allmählich zur Last. „Ich wollte irgendwann nicht mehr nur reden, sondern etwas tun.“ Die Tacheles-Mitglieder begannen, ihm zu mißtrauen. Einige behaupteten sogar, er habe sich von den Investoren, die das Tacheles-Grundstück bebauen wollten, bestechen lassen. So erklärte er „im gegenseitigen Einvernehmen“ seinen Rücktritt.

Erfolgreich auf eigenes Risiko

Ein Jahr zuvor hatte er Sasha Waltz kennengelernt. Die Choreographin arbeitete 1993 im Tacheles an ihrer ersten „Travelogue“-Produktion. Jochen Sandig half ihr dabei. Am Ende waren die beiden ein Paar – und gründeten eine Tanzcompagnie: Sasha Waltz & Guests. Die Produktionen wurden nicht nur hierzulande bejubelt, sondern auch auf Tourneen durch Europa, Asien und Amerika. „Ein Teil unseres Erfolges hat damit zu tun, daß wir die Energien, die in so einer Beziehung entstehen, produktiv umsetzen konnten“, meint Sandig, „das ist fast so wie bei Christo und Jeanne-Claude.“ Tatsächlich wäre der rasche Erfolg von Sasha Waltz ohne Sandig wohl kaum möglich gewesen. Er hat sie dramaturgisch beraten, sich um Tourneen und Finanzen gekümmert.

Heute haben die beiden einen einjährigen Sohn. „László kommt mit auf Reisen, schreit wenig und lacht fast nur“, schwärmt Sandig. „Wenn man so lebt wie wir, ist es gut, etwas Konkretes zu haben. Wir schweben ja oft in den Wolken, und László ist die Erdung.“ So pendelt Sandig manchmal mehrmals täglich zwischen Büro, Sophiensälen und Wohnung.

Apropos Sophiensäle. Gefunden hat Sandig die Räume auf der Suche nach Probenmöglichkeiten für die Tanzcompagnie. Sie wurden vom Maxim-Gorki-Theater als Lager und Werkstatt genutzt. 1905 als Zentrale des Berliner Handwerkervereins erbaut, war das Haus in einem schlimmen Zustand: das Dach kaputt, die Dielen brüchig, der Putz löste sich von den Wänden, und der Eigentümer weigerte sich, die Räume langfristig zu vermieten. Auf eigenes Risiko und ohne öffentliche Unterstützung investierte Sandig trotzdem in diese mögliche Spielstätte und ließ den Saal provisorisch instand setzen. Im September 1996 wurden die Sophiensäle mit der Tanzpremiere „Allee der Kosmonauten“ von Sasha Waltz eröffnet. Ein sofortiger Erfolg: Das Haus war drei Wochen ausverkauft. „Ich hätte nie gedacht, daß es so schnell geht“, erklärt Jochen Sandig heute. „Aber mir war klar, daß es nach dem Prinzip ,Erst Handeln, dann verhandeln‘ laufen mußte. Beim Tacheles war es schließlich genauso.“

Mit den Erfolgen der ersten Spielzeit im Rücken begann Jochen Sandig, mit der Kulturverwaltung über Subventionen zu verhandeln. 150.000 Mark Spielstättenförderung wurden bewilligt. Im nächsten Jahr will er für die Sophiensäle zwei Millionen herausholen. Wenn er sie bekäme, könnte er endlich zwei Techniker einstellen und die Mitarbeiter angemessen bezahlen.

Ehrenamtlicher Spaß an der Aufbauarbeit

Einige von ihnen (er selbst eingeschlossen) arbeiten zur Zeit nämlich „ehrenamtlich“. 500.000 Mark würde er für Eigenproduktionen der Sophiensäle ausgeben. „Damit hätten wir bei der Programmplanung einen Gestaltungsspielraum und wären nicht mehr so abhängig von den Produktionen, die gerade auf dem Markt sind.“

Ein Theaterfunktionär mit festem Gehalt und geregelten Arbeitsabläufen möchte Jochen Sandig jedoch nicht werden. „Wenn es soweit ist, ziehe ich mich lieber zurück. Mir macht Aufbauarbeit Spaß, Dinge von Null neu zu schaffen.“ Das nächste Projekt ist denn auch die geplante Grundrenovierung der Schaubühne: „Das kann genauso spannend werden wie die Entstehung des Tacheles oder der Sophiensäle.“ Wobei es natürlich andersherum ist und die Entstehung des Tacheles und der Sophiensäle entfernt an die allererste Gründung der Schaubühne erinnern – vor 36 Jahren.

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