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Neue Bilder braucht das Land!

Farbenvielfalt schmückt. Sie beweist Weltoffenheit und Modernität. Nun haben auch Werbeagenturen diese Signalwirkung für sich entdeckt und setzen gezielt auf multikulturelle Models: Da locken edle Wilde oder smarte Schwarze für Produkte. Von der neuen Unübersichtlichkeit, der neuen Farbenvielfalt handelt auch „Globalkolorit“. Der erste Sammelband in deutscher Sprache zum Thema Multikulturalismus und Populärkultur. Eine Buchbesprechung  ■ Von Daniel Bax

Wenn Werbeplaner träumen, kommt ihnen eine Wunschfigur in den Sinn: Tiger Woods. Denn Tiger Woods, der junge US- amerikanische Golfprofi und Sieger des Masters-Turniers von 1997, wirkt, als sei er den kühnsten Crossover-Marketingphantasien entsprungen. Nicht nur scheint der 22jährige Golf-Shooting-Star seinem Hauptsponsor, dem Sportartikelmulti Nike, wie kein anderer geeignet, den weißen Elitesport einer städtischen Jugend schmackhaft zu machen. Der Sohn einer Thailänderin und eines Afroamerikaners, die wiederum indianische, europäische und chinesische Vorfahren aufweisen, besitzt zudem jene ideale Mischung, derer ein Werbeträger der Zukunft offenbar bedarf.

Mit seinem Stammbaum versinnbildlicht Woods, wie die Village Voice formulierte, das „neue, rassenblinde Amerika“, indem er in seiner Person die ethnische Vielfalt der USA gleichermaßen zu repräsentieren und zu transzendieren scheint. Kein Wunder, daß das Time-Magazine Tiger Woods in die Riege der einflußreichsten Amerikaner des Jahres 1997 wählte. So weit, so gut. Die Tatsache allerdings, daß das gleiche Time Magazine, das heute einen Tiger Woods feiert, kürzlich erst für eine Coverillustration das Gesicht des mordverdächtigen Baseballstars O.J. Simpson grafisch nachdunkelte, sollte skeptisch stimmen ob der behaupteten Rassenblindheit Amerikas.

Von der neuen Unübersichtlichkeit, der neuen Farbenvielheit handelt „Globalkolorit“. Der erste Sammelband in deutscher Sprache zum Thema „Multikulturalismus und Populärkultur“, herausgegeben von Ruth Mayer und Mark Terkessidis. Der Reader ist ein Versuch, Ansätze postkolonialer Kritik für das Verständnis popkultureller Phänomene fruchtbar zu machen.

Auch wenn die Auswahl der Beiträge mehr zufällig zusammengewürfelt als bewußt gewählt wirkt, zieht sich doch ein roter Faden durch den Band. Es ist die Frage nach der ein- beziehungsweise ausschließenden Kraft von ethnischer und kultureller Differenz in einer Zeit, in der Differenz prinzipiell positiv begriffen wird. Tom Holert formuliert in seinem Beitrag, das Mixen der Kulturen habe den Status einer „Konsens-Kulturtechnik“ erlangt.

Daß mit dem Trend zum Multikultimix rassistische Kategorien immer unbedeutender werden, ist damit lange nicht gesagt. Mischung ist schließlich nicht gleich Mischung. Es kommt auf das richtige Mischungsverhältnis an. Wie das aussehen soll, verdeutlicht einmal mehr Time: In einer Sonderausgabe setzt das Magazin aus Porträtfotos von Immigranten verschiedener ethnischer Herkunft per Computer „das neue Gesicht Amerikas“ zusammen. Sarkastisch bemerkte der Medienkritiker Victor Burgin, das neue Gesicht Amerikas sehe genauso aus wie jenes einer weißen Frau, die vor kurzem von einem Mittelmeerurlaub heimgekehrt sei. Bei aller Kreolisierung Amerikas bleibt das weiße Gesicht dominant.

Dabei schmückt Farbenvielfalt. Sie beweist Weltoffenheit und Modernität. Rassistische Diskriminierungen sind damit aber auch in den genannten Ländern, die sich zu ihrer Einwanderung bekennen, noch lange nicht passé. Denn auch eine Ausweitung der Grenzen „nationaler Kultur“ produziert neue Grenzziehungen, die dann wieder kulturell-ethnisch markiert werden, nach der Devise: Wir sind Kosmopoliten, die anderen halten an ihrer überkommenen Kultur fest. Wir sind Individualisten, die anderen haben Identitätsprobleme. Oder aber auch: „Sie sind fötal, flüssig, schleimig und alle gleich, wir sind multikulturell“, wie der US-Politologe Michael Rogin die Aussage des Films „Independence Day“ analysiert.

Der Sammelband enthält hauptsächlich solche Beiträge, die das zunehmend multikulturelle Selbstbild westlicher Gesellschaften „von den Rändern her“ einer Prüfung unterziehen. Von Londoner Vororten, wo rassistische und antirassistische Graffiti vom Kampf um die Vorherrschaft im Viertel künden, bis ins staubige Grenzgebiet La Frontera zwischen den USA und Mexiko, zu dessen Ikone die tragisch verunglückte Mestizopopsängerin Selena aufstieg.

Bei allen Unterschieden, welche die jeweils beschriebenen Gesellschaften kennzeichnen, lassen sich doch Gemeinsamkeiten in der Situation von Minderheiten und Migranten erkennen. So beschreibt die australische Kulturwissenschaftlerin Ien Ang das Gefühl der Ambivalenz als das zentrale Moment der interkulturellen Kommunikation in einer selbsternannten multikulturellen Nation wie Australien. Im Wechselbad von negativer und positiver Stereotypisierung dominiert der Eindruck, objektiviert zu werden.

Sie erfährt sich selbst wie in der Betrachtung einer von der Regierung per Plakat propagierten Integrationskampagne: Sie ist die erwünschte andere. „Kein Flüchtling ohne Job und ohne Sprachkenntnisse, der von der Wohlfahrt lebt, sondern eine westlich geprägte, hochqualifizierte Akademikerin, die fast fließend Englisch spricht. Eine vorzeigbare und ganz eindeutig asiatische Frau, durchaus von ökonomischem und sozialem Nutzen für die Nation.“

In ihrer Analyse der Kleidungsstile indisch-asiatischer Jugendlicher in London spürt die britische Soziologin Marie Gillespie jenen feinen Unterschieden nach, die bei jungen Angloasiaten die Grenze zwischen elegant und bäurisch markieren. Es ist auch die Grenze zwischen Assimilierten und Underdogs. Dabei reflektiert die Geschmackshierarchie der Migrantenjugend die Werte der Mehrheitsgesellschaft: „Für Jugendliche in Southhall ist der coole Körper nur zu erzielen über die Distanz zu all jenen Stilen, die lokale Färbung oder Herkunft aufweisen“, stellt die Soziologin fest. Wer schon die falsche Hautfarbe und Herkunft hat, sollte wenigstens die richtigen Jeans tragen.

Ähnliches ließe sich über das obsessive Markenbewußtsein mancher türkischstämmiger Jugendlicher in der Bundesrepublik sagen. Wenn in Deutschland die multikulturelle Ära auch nur bedingt eingesetzt hat und die Metapher des Melting pot nie zum attraktiven Integrationsmodell taugte, so ist doch unübersehbar, daß das Ideal der Multikultur längst im Medienmainstream angekommen ist. Propagiert wird kulturelle und ethnische Vielfalt vor allem dort, wo sie der Verkaufsförderung dient: charmante Cappuccinoitaliener und edle, wilde US-Indianer in Werbespots, Ethnoklänge zu Eduscho-Werbung oder die smartiesbunte Viva-Welt deutscher Fernsehsender, die sich mit mehrfarbigen Moderatoren einen kosmopolitischen Anstrich geben. Schön bunt hier. In der Populärkultur nähert sich Deutschland dem multikulturellen Selbstverständnis anderer westlicher Staaten.

„Solange die anderen nicht in der Lage sind, ihre Situation zu verändern und starke eigene Bilder in Umlauf zu bringen, so lange werden sie dazu gezwungen, jenes hegemoniale Bild ihrer selbst in die eigene Identitätskonstruktion unterzubringen“, schreibt Mark Terkessidis zur Situation der Immigranten. An dieser Logik wird sich so schnell nichts ändern. Bleibt die Forderung: Neue Bilder braucht das Land.

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