: Der letzte Auftritt der Lotti Huber
Sie war schrill, schräg und unangepaßt. Ihr gestriges Begräbnis hätte Lotti Huber bestimmt gefallen. Schon vor ihrem Tod hatte die Künstlerin ihren Freunden zugerufen: „Wenn ich tot bin, dann freut euch. Das Leben geht weiter“ ■ Aus Berlin Jens Rübsam
„Wenn ich tot bin“, hat Lotti Huber einmal gesagt, „dann freut euch. Das Leben geht weiter.“
Lotti Huber ist tot. Gestorben am vergangenen Sonntag, 85jährig. Zu Grabe getragen gestern auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin- Charlottenburg, so wie sie es gern gesehen hätte: nach jüdischem Ritual mit hebräischen Gesängen und Gebeten, ein wenig schrill und ein bißchen schräg, ja, das auch.
Ein schöner Freitagmorgen, das Wort sei erlaubt. Voll Sonne und voll Wärme. Die noch jungen Birken auf dem noch jungen Friedhof, angelegt erst Mitte der 50er Jahre, im leichten Wind. Trauernde im feinen Zwirn, Schwule in langen bunten Kleidern und in Lederhosen; Rosa von Praunheim, ihr Regisseur, im fröhlich-weißen Anzug und mit Cowboyhut. „Lotti, wir lieben Dich“ steht darauf in roter Schrift.
Kein Morgen zum Traurigsein, dieser Freitagmorgen. Kein Morgen für Tränen. Ein Morgen zum Dankesagen. Danke, daß es Lotti Huber gegeben hat. Bis zuletzt war sie die flapsige Göre, die freche Femme fatale, die Grotesk-Tänzerin geblieben, in Talkshows und auf der Bühne; bis zuletzt ist Lotti Huber ein Gesamtkunstwerk gewesen, in wallenden Gewändern und behangen mit tausend Klunkern, einsfünfzig klein. „Napoleon war klein, Jesus war klein, Friedrich der Große war klein“, pflegte sie stets zu sagen. Unwürdige Greisin genannt zu werden, daran hatte sie mächtig Spaß. Als schrullige Oma abgetan zu werden, darauf hätte sie „kacken“ können.
Nun ist sie zur Ruhe gekommen, ganz hinten auf dem Gottesacker, an der hohen Mauer, gar nicht weit weg von Hans Rosenthal, dem springenden Showmaster, von Ernst Deutsch, dem glühenden Schauspieler („Der Sohn“), und von Jeanette Wolf, der Stadtältesten von Berlin. Zuvor hatte sie ihren letzten großen Auftritt: das Begräbnis. Eine Inszenierung, passend zu Lotti Huber.
Eine Show, schon draußen vor dem Friedhof, an dem schweren Gittertor. Journalisten und zickige Kollegen wie die Schauspielerin Felicitas Boxer, in türkisfarbenem Kleid, „türkis wie der Himmel“. „Leute, tragt Türkis“, soll Lotti Huber immer gesagt haben. Sagt Frau Boxer. „Lotti hat sich nie selbst inszeniert“, sagt eine Dame. „Sie war schrill und schräg und bunt, aber nie auffallend wie sie.“ Frau Boxer wendet sich ab. „Sie haben eine Laufmasche“, schreit ihr jemand hinterher. Ganz sicher, Lotti Huber hätte an solch einer Szene ihre Freude gehabt. Auch an den Trauerreden. Kein Pathos – statt dessen weiche, leichte Worte. Wie die von Kantor Pasztor, der sie zitiert und ihr damit am besten gerecht wird. „Ich bin Zirkuspferd gewesen. Ein Musikant.“ Das hat sie immer wieder gesagt in den vergangenen 30 Jahren. Ihre Karriere hatte erst mit 60 begonnen. Mit Filmen wie „Affengeil“. Wegen Rassenschande war sie von den Nazis ins Konzentrationslager Lichtenburg deportiert worden. „Da habe ich unglaubliche Menschen getroffen, mit denen ich normalerweise nie in Berührung gekommen wäre“, sagte sie später. Ärzte und Schauspieler, viele intelligente Menschen. So war sie; auch dieser Zeit konnte Lotti Huber etwas Positives abgewinnen.
Weiche Worte wie die ihres Nachbarn Jörg Dauscher. „Einmal, da hat sie nachts um zwei bei mir angerufen. Schätzchen, bist du noch munter? Komm schnell rüber. Mir ist auf dem Klo ein Gedicht eingefallen.“ Er kam und hörte ihr zu. Einmal, sagt Dauscher, haben sie auch über den Tod geredet. „Wer von uns beiden wird wohl den anderen zu Grabe tragen?“ hat sie gefragt. Er, er war an Aids erkrankt. Sie, sie war fidel wie immer. „Ich bin gesund geworden. Ich trage sie nun zu Grabe.“ Das haben gestern 500 Freunde und Bekannte getan, aber auch viele, die sie nur kannten von ihren Shows her. „Lotti Huber war ein Unikat“, sagt Berlins Ex-Kultursenator Volker Hassemer am Grab. Das Übliche habe es in ihrem Leben nie gegeben. „Lotti war eine tolle Frau. Lotti war ein Vorbild“, sagt eine ältere Dame. „Im Alter frei und frech geworden.“ Sie wäre selbst gern eine Lotti Huber. „Aber nicht jede ältere Dame kann sich das erlauben.“
Geehrt wird Lotti Huber noch einmal am 27. Juni. Der 20. Berliner Christopher Street Day soll ihr gewidmet werden.
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