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Der Mann, der keinen Bammel hat

■ FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle fordert einen Kohl-Nachfolger. Das halten manche FDPler schon für mutig

Am Dienstag morgen, wenige Stunden bevor die Agenturen verkünden sollten, daß FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle in seinem neuen Buch, „Neuland“, das Ende der Ära Kohl für gekommen sieht, schien bei der FDP alles beim alten zu sein. Westerwelle präsentierte ein neues Wahlplakat, das wieder mal die Grünen attackiert. Anders als sonst klebte er nicht selbst. „Der kann das viel besser als ich“, sagte er und zeigte auf einen Mann mit Eimer und Pinsel. Daraufhin meinte ein Journalist: „Dann könnte er ja Generalsekretär werden.“

Westerwelle lächelte versonnen, und vielleicht dachte er dabei an die Bombe, die, verstärkt durch ein Stern-Interview, wenige Stunden später einschlagen würde. Er und austauschbar? Vor allem seine Parteifreunde würden diese Frage zur Zeit vehement mit „Nein“ beantworten. Überrascht hat er sie schon, ihr forscher Generalsekretär, aber ihnen auch aus der Seele gesprochen.

Vor allem der Vorschlag, Kohl solle schon während der nächsten Legislaturperiode den Stab an Fraktionschef Wolfgang Schäuble weiterreichen, hat es ihnen angetan. Endlich, sagen sich einige, traut sich mal wieder einer von uns, richtig auf die Pauke zu hauen, nachdem Genscher und erst recht Kinkel die FDP zum Kanzlerwahlverein degradiert hatten. Der innenpolitische Sprecher, Max Stadler, sagt anerkennend: „Sich negativ über Kohl zu äußern ist ein Tabu. Andere haben das bisher nicht gewagt.“ Stadler sagt auch: „Westerwelle gibt wieder, was ist.“

Offenbar hat der Generalsekretär den Mut seiner Parteifreunde angefeuert. Auch die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Cornelia Pieper sagt auf einmal öffentlich, daß Kohl für Schäuble Platz machen solle. Kaum jemand in der FDP, der nicht dieser Meinung wäre, wenngleich einige bezweifeln, daß Westerwelle der FDP mit seinen Äußerungen einen Gefallen getan hat. „Wir wissen ja alle, daß Westerwelle recht hat“, sagt Paul Friedhoff. „Aber jemanden, der einen Pickel auf der Nase hat, weist man ja auch nicht ständig darauf hin.“ Jetzt, wo die CDU ohnehin nicht gerade glänzend dastehe, sei das Timing für Westerwelles Aussagen „nicht optimal“. Und der Brandenburger Abgeordnete Jürgen Türk stellt die Frage, ob es strategisch klug war, den Kanzler zu düpieren und die CDU zu schwächen, „solange die SPD sich nicht so bewegt hat, wie wir das wollen“.

Ein bißchen Bammel haben einige schon, daß sich die FDP ins Abseits manövriert. Denn eine Koalition mit der SPD hält bei den Liberalen bis auf Jürgen Möllemann, der sich gestern für eine Koalitionsaussage zugunsten der SPD ausgesprochen hat, kaum jemand für möglich. Wie soll das funktionieren, fragt etwa Paul Friedhoff, wo doch die Sozialdemokraten angekündigt haben, nach einem Wahlsieg als erstes die Reformen der Koalition rückgängig machen zu wollen?

Am Dienstag hatten die Agenturen berichtet, Westerwelle habe eine Koalition mit der SPD auf Bundesebene nicht ausgeschlossen. In seinem Buch heißt es allerdings: „Sozial-liberal kann mit einer derzeit auf rot- grün eingeschworenen Bundes-SPD nicht funktionieren.“ Auf Nachfrage setzte sein Sprecher Hans-Rolf Goebel nach: „Auf Bundesebene wird es auf absehbare Zeit keine Koalition mit der SPD geben.“ Dennoch ist das Ziel erreicht: Die FDP scheint offener als bisher für eine Koalition mit der SPD zu sein, ohne sich von dem Koalitionspartner entsprechende Äußerungen vorwerfen lassen zu müssen.

Der Nutzen besteht allein darin, sich von dem angeschlagenen Partner distanzieren zu können. Einige in der FDP halten deshalb das Timing der Kritik an Kohl für ausgezeichnet. Soll bloß niemand glauben, Westerwelle habe die entsprechenden Passagen unabhängig von der aktuellen Lage geschrieben. Noch vor vierzehn Tagen hat er an seinem Buch gearbeitet.

Darüber hinaus werden Westerwelles bisher bekanntgewordenen Äußerungen als Signal verstanden, künftig stärker die inhaltliche Eigenständigkeit der FDP zu betonen. Das hat er so explizit zwar nicht gesagt, aber es reicht schon wenig, um die Sehnsucht vieler FDP-Mitglieder nach einer deutlicheren Abgrenzung von der Union zu beflügeln. So leide die Basis fürchterlich darunter, sagt etwa Max Stadler, zwar für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts einzutreten, im Bundestag aber aus Parteiräson praktisch gegen die eigenen Anträge stimmen zu müssen. Endlich will sich die Partei auch energischer für das Züricher Modell der kontrollierten Heroinabgabe einsetzen. Mit der Union läßt sich über solche Themen nicht diskutieren. Da wäre die Oppositionsrolle nur konsequent. Westerwelle bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, die FDP habe davor „keinen Bammel“. Auch dadurch soll die Eigenständigkeit der Partei gegenüber den Losern von der Union bewiesen werden. Allerdings käme das Ende der Koalition nur dem linken Flügel der Liberalen zupaß, der die FDP wieder zu einer Bürgerrechtspartei machen möchte. So sagt etwa die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Das könnte am ehesten gelingen, wenn sich die FDP in der Opposition wiederfände.“ Markus Franz

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