piwik no script img

Der Gegner: Regen

■ Das umstrittene Berliner Gelöbnis fand in Kasernenhof-Atmosphäre statt. Die Polizei wirkte martialischer als die Rekruten. Die Eskalation blieb aus

Berlin (taz) – „Ich finde das in Ordnung, wenn die demonstrieren, auch mit Trillerpfeifen, wenn die der Meinung sind.“ Tobias Brinkmann ist einer der 332 Rekruten, die gestern vor dem Berliner Rathaus ihren Treueschwur auf die Verfassung ablegen sollten. „Aber ich habe Angst, daß auch Tomaten fliegen. Und wir haben doch zwei Wochen geübt, eine Stunde stillzustehen, da will man das dann auch durchziehen.“

Doch nicht Tomatensaft traf Tobias Brinkmann, als er gestern seinem obersten Dienstherrn, Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU), gegenübertrat. Kaum hob Rühe zu seiner Ansprache vor dem „Jägerbataillon 1 Berlin“ und dem „IV. Luftwaffenausbildungsregiment 1“ an, brach ein Regenschauer los. Und plötzlich wirkt die schneidige Frisur des Bundesverteidigungsministers kläglich, tropft Wasser aus seinem Scheitel. Die Szene hat Symbolcharakter: Auf alles schienen die Organisatoren bei Armee und Regierung vorbereitet, als sie das umstrittene Renommierprojekt durchzogen – nur nicht damit, daß der Minister im Regen steht.

Ein Gelöbnis in aller Öffentlichkeit sollte es sein, doch das offene Areal vor dem Roten Rathaus ist an diesem Mittwoch zu einem Kasernenhofgeviert geworden. Flankiert von den Presse- und Zuschauertribünen gleicht die Bühne für die Ehrengäste einem Gefechtsstand: Olivgrüne Plastikplanen und militärische Tarnnetze aus Kunststoffblättern bestimmen das Ambiente.

„An der Verbundenheit der Stadt mit der Bundeswehr können lautstarke Minderheiten nichts ändern“, hatte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) die Soldaten begrüßt. So massiv war die Polizeipräsenz und so weiträumig die Absperrung, daß vom Paradeplatz aus keine der rund 1.500 Demonstranten überhaupt nur zu sehen waren. Wann immer Diepgen oder Rühe in ihren Reden eine kunstvolle Pause setzten, schallten Trillerpfeifen, Trompeten und Sprechchöre bis zum Roten Rathaus.

Zum Gelöbnis zugelassen waren nur geladene Gäste, auch wenn freundliche Soldaten Infobroschüren verteilten, in denen zu lesen war: „Die anwesenden Bürger üben stellvertretend für das deutsche Volk eine gesellschaftliche Kontrolle aus.“ Welche Bürger gestern die gesellschaftliche Kontrolle ausgeübt haben, war zwischen Alexanderplatz und dem Palast der Republik nicht zu übersehen: Die Polizei hatte über die Berliner Mitte eine Art Belagerungszustand verhängt. So war die Szenerie nicht frei von Ironie: Die von ihren Gegnern in den Reihen der Demonstranten als militärisch geschmähten Rekruten wirkten in ihren pittoresken Schmuckuniformen eher harmlos – während die Polizeikräfte mit Brustpanzer, Schienenbeinschutz und Visierhelmen aufgezogen waren. Derart massiv war das Polizeiaufgebot, daß für die Einsatzkräfte ein polizeigrüner Versorgungskiosk Stellung bezogen hatte. Besondere Spezialität im Süßigkeitenregal: Für 30 Pfennig gab es Handschellen aus Weingummi.

Der Streit um das öffentliche Gelöbnis hatte sich vor allem an der Frage entzündet, welche Rolle die Bundeswehr in einer künftigen „Berliner Republik“ spielen soll. Verteidigungsminister Rühe wollte den Ort der Veranstaltung im Zentrum der Hauptstadt ausdrücklich auch symbolisch verstanden wissen. „Die Bundeswehr gehört in unsere Mitte“, sagte er in seiner Ansprache. Berlin gehöre zu den größten Bundeswehrstandorten in Deutschland.

Die Hoffnungen des Ministers und die Angst der Demonstranten beziehen sich auf dieselbe Vision: die Einheit von Hauptstadt, Nation und Armee. Doch offenbar ist die Republik davon noch ein Stück entfernt. Selbst die geladenen Gäste waren sich uneins, ob man aufzustehen hat, wenn die schwarzrotgoldene Fahne auf den Platz getragen wird. Barbara Junge, Patrik Schwarz

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen