: KZ-Motto dient als Werbeslogan
Das American Jewish Committee verurteilt die neue Nokia-Kampagne. Der Slogan „Jedem das Seine“ preist ein neues Funktelefon an. Die Firma übersah, daß der Spruch am Eingang des KZ Buchenwald stand ■ Aus Berlin Christian Haase
Wenn Wendy Kloke aus ihrem Büro am Potsdamer Platz in Berlin schaut, fällt ihr Blick auf zwei große Plakate. Handys in Rot, Blau, Orange und Silber sind nicht nur vor Klokes Büro zu sehen, sondern schmücken Werbetafeln, Prospekte und Zeitungsanzeigen in ganz Deutschland. Die Firma Nokia wirbt mit einer großangelegten Kampagne für ihr neues Funktelefonmodell mit auswechselbarer Plastikschale. Die Kampagne steht unter dem Motto: „Jedem das Seine“. Doch Wendy Kloke kennt den Spruch schon viel länger – und aus einem gänzlich anderen Kontext. „Jedem das Seine“ stand während des Dritten Reichs am Eingang des KZ Buchenwald. Kloke ist Sprecherin des American Jewish Committee (AJC) in Deutschland und fordert jetzt gegenüber der taz, daß Nokia die Kampagne umgehend stoppt: „Diese Werbung ist geschichtslos und verhöhnt die Opfer.“
Unterstützung für seine Forderung findet das AJC bei Ursula Härtl, der Sprecherin der Gedenkstätte Buchenwald. „Unter diesem Motto sind so viele gemeuchelt worden“, sagt sie. „Damit darf man einfach nicht werben.“ Das Motto aus der Nazizeit sei deplaziert. „Es diente dazu, die Häftlinge zu verhöhnen und ihnen weiszumachen, daß sie als Untermenschen keine andere Behandlung verdient hätten.“
Offenbar ist die Empörung über die Werbekampagne nicht auf Funktionäre beschränkt. Bei der Deutschland-Zentrale von Nokia in Düsseldorf bestätigt Sprecherin Marjut Kaituri: „Mehrere Anwohner aus Berlin haben angerufen und sich beschwert.“ Von der Kritik zeigt man sich bei dem international operierenden Unternehmen wenig beeindruckt. „Es ist schon ein bißchen problematisch“, so die Sprecherin, „aber es ist doch so lange her und nicht so gemeint.“ Die Außenwerbung werde vorerst nicht gestoppt, weil das „ganz schwer“ sei. Weder Nokia noch der Werbeagentur Gramm aus Düsseldorf, die die Kampagne entwickelt hat, sei aufgefallen, daß das Motto in Buchenwald verwendet wurde.
Ursula Härtl von der Gedenkstätte reagiert erstaunt auf soviel Naivität. „Der Spruch steht doch in jedem Geschichtsbuch“, sagt sie. „Viele Werbeagenturen rufen bei uns vorher an und fragen uns, wie belastet dieser Spruch sei.“ Nach dem Telefonat hätten bisher alle Firmen die Idee, den belasteten Slogan zu verwenden, wieder fallengelassen.
Der Satz „Jedem das Seine“ stammt ursprünglich aus der Antike. Im römischen Zivilrecht bezeichnete er das Recht am persönlichen Eigentum. Später übernahm Friedrich I. von Preußen den Slogan als persönlichen Wahlspruch. 1937 schweißten ihn die Nazis dann in das schmiedeeiserne Tor des KZ Buchenwald. Dort waren zwischen 1937 und 1945 mehr als 250.000 Menschen inhaftiert worden, mehr als 56.000 von ihnen kamen ums Leben. Wendy Kloke vom AJC: „Ich weigere mich, mir jeden Tag diese Plakate angucken zu müssen.“
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