: Gedenken ohne Entschuldigung
■ Der Siemens-Konzern feiert heute seinen 100. Geburtstag in der Hamburger Handelskammer. Die Frage nach Entschädigungen für ehemalige ZwangsarbeiterInnen kommt da sehr ungelegen
Siemens feiert Geburtstag: Vor hundert Jahren eröffnete die „Telegraphen-Bau-Anstalt Siemens & Halske“ ihr erstes Büro in der Berliner Paulsstraße. Heute zählt allein die Siemens-Filiale in Hamburg 2500 MitarbeiterInnen. Zur Feier der Erfolgsgeschichte sind für heute 200 VIP-Gäste ins Hamburger Rathaus geladen, um der Festansprache der Ersten Bürgermeisters Ortwin Runde (SPD) zu lauschen.
Nicht eingeladen wurde Esther Bejarano, die im September 1943 vom KZ Auschwitz zur Zwangsarbeit für die Siemens-Werke ins FrauenKZ Ravensbrück gebracht wurde. Die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik, die seit 1960 in Hamburg lebt, erinnert sich: „Die Hallen waren nicht beheizt, wir arbeiteten oft mit eiskalten, steifen Händen. Wenn Frauen ihr Soll nicht erfüllten, schlugen SS-Aufseher sie brutal zusammen. Die Siemens-Leute haben sich nie eingemischt, wenn Frauen geschlagen oder erschossen wurden. Dabei hätte Siemens uns zumindest wärmere Kleidung oder ein wenig mehr zu essen geben können.“
Auch Siemens erinnert sich – dokumentiert auf einer Mosaikplatte, die der Konzern im vorigen Jahr in Berlin einweihte: „Wir gedenken der vielen Mitmenschen, die in den Jahren des Zweiten Weltkrieges gegen ihren Willen in unserem Unternehmen arbeiten mußten“. Doch alle Forderungen nach Entschädigung wehrt Siemens auch ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende noch immer ab. Rund ein Drittel der Beschäftigten, etwa 60.000 Kriegsgefangene, Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge, waren nach Schätzung des Hamburger Historikers Karl-Heinz Roth allein 1943 zur Zwangsarbeit bei Siemens & Halske und den Siemens-Schuchert-Werken verpflichtet. Konzernsprechers Eberhard Posner beteuert: „Siemens hat von den Zwangsarbeitern nicht profitiert. Wir sind dazu gezwungen worden.“
Für Ursula Krause-Schmitt, Historikerin im Studienkreis Deutscher Widerstand, ist dies „eine perfide Argumentation“. Sie betont die Vorreiterrolle des Unternehmens bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitern: „Schon 1939 haben die Siemensstädter Werke jüdische Zwangsarbeiter vom Berliner Arbeitsamt angefordert. 1942 wurde eigens eine KZ-Fabrik in Ravensbrück errichtet, ebenso zahlreiche Lager an vorhandenen Produktionsorten. Eine Erfindung von Siemens waren auch die sogenannten Judenabteilungen, in denen bewußt die Angst der Menschen vor der Deportation in die Vernichtungslager genutzt wurde. Siemens hat die gesamte Klaviatur der Zwangsarbeit hervorragend beherrscht.“
Esther Bejarano wurde wie 2200 andere jüdische Überlebende Anfang der 60er Jahre aus Mitteln eines Fonds entschädigt, den Siemens auf Druck der Jewish-Claims-Conference einrichtete. Für anderthalb Jahre Zwangsarbeit erhielt sie weniger als 1,50 Mark pro Tag – alle übrigen gingen leer aus. Weitere Entschädigungen und die Anerkennung eines Rechtsanspruchs lehnt Siemens ab.
Eine öffentliche Entschuldigung, die Menschen wie Bejarano wichtiger wäre als eine materielle Entschädigung, gab es bislang nicht. Gelegenheiten dazu böten sich zur Genüge – offizielle Geburtstagsfeiern zum Beispiel.
Peter Hahne / Dorothee Zilles
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