piwik no script img

Prozeß gegen einen deutschen Herrn

Heute beginnt in Turin in Abwesenheit des Angeklagten der Mordprozeß gegen den ehemaligen Mailänder Polizeichef Theodor Saevecke. Der überzeugte Nazi und SS-Mann machte nach dem Krieg in Deutschland Karriere beim BKA  ■ Von Eggert Blum

Mitten im Verkehrslärm am Piazzale Loreto in Mailand steht das Mahnmal für die 15 Erschossenen. Umberto Fogagnolo heißt einer, deren Namen eingemeißelt sind. Wie die anderen wurde er hier kurz vor 5 Uhr morgens am 10. August 1944 erschossen, sein Körper lag noch den ganzen Tag in der Sonne.

Sergio Fogagnolo war beim Tod seines Vaters zweieinhalb Jahre alt. Wenn heute der Prozeß vor dem Turiner Militärgericht beginnt, vertritt er als Nebenkläger die Nachkommen der Erschossenen. Angeklagt ist Theodor Saevecke, 87 Jahre, Regierungskriminalrat im Ruhestand, wohnhaft in Bad Rothenfelde bei Osnabrück. Vom 13.9. 1943 bis zur Gefangennahme durch US-amerikanische Truppen am 29.4. 1945 Chef der Sicherheitspolizei Mailand im Rang eines SS-Hauptsturmführers.

Saevecke behauptet, die Erschießung sei von der Wehrmacht befohlen worden – als Vergeltung für zwei zuvor von Partisanen getötete deutsche Soldaten. Er, Saevecke, habe gar beim Militärgericht gebeten, die Zahl der Opfer von 25 auf 15 zu reduzieren.

Doch weder im Bericht der Wehrmachtskommandantur Mailand noch in dem der Sicherheitspolizei Italien für den fraglichen Zeitraum findet sich irgendein Hinweis auf zwei getötete deutsche Soldaten, geschweige denn auf eine Militärgerichtsverhandlung. Beide Berichte geben hingegen übereinstimmend wieder, was tatsächlich geschehen war: Zwei Tage zuvor war in Mailand ein deutscher LKW in die Luft geflogen. Der Fahrer, der sein Gefährt nachts in einer Seitenstraße des Piazzale Loreto geparkt hatte, um sich dann in der Führerkabine schlafen zu legen, wurde nur leicht verletzt; die Bombensplitter töteten jedoch sechs – nach einer anderen Quelle neun – italienische Passanten und verletzten dreizehn weitere.

Drei Tage später ließ die Sicherheitspolizei in der Zeitung mitteilen, daß zur Abschreckung fünfzehn politische Gefangene erschossen worden waren – und zehn weitere beim nächsten Attentat an die Reihe kommen würden. Eine solche Hinrichtung unschuldiger Geiseln war aber selbst nach den Regeln der NS-Wehrmacht nur nach der vorausgegangegen Tötung deutscher Soldaten zu rechtfertigen. Geschossen haben Angehörige der Legion „Muti“, eines italienischen faschistischen Freikorps – den Auftrag aber gab nach übereinstimmenden Aussagen verschiedener Zeugen Theodor Saevecke.

Ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis über die Verbrechen Saeveckes während seiner 600 Tage im Amt, über die gefolterten, deportierten und erschossenen Arbeiter, Priester und Juden vor Gericht verhandelt wird. Jetzt ist es soweit, aber Saevecke kommt nicht. Ihn schützt das Grundgesetz: „Kein Deutscher darf ausgeliefert werden“ heißt es in Artikel 16. Und freiwillig nach Turin zu fahren, wo ihm Staatsanwalt Pier Paolo Rivello zugesichert hat, keinen Haftbefehl zu beantragen, kommt für Saevecke nicht in Frage. „Vor diesem Staatsanwalt würde kein Deutscher auftreten“, erklärt er italienischen Journalisten nach Zustellung der Anklageschrift, „daß der sich nicht schämt, mir so einen Brief zu schicken.“

In Saeveckes Augen haben Männer wie Hitler („ohne den Fehler mit den Juden hätte er den Krieg gewonnen“) oder Mussolini („den habe ich verehrt“) die Geschichte gemacht. „Ich“, sagt er, „bin doch nur ein kleiner Mann.“

Einer, der sich hochgearbeitet hat. Der Sohn eines Hamburger Feldwebels verläßt das Lübecker Gymnasium ein Jahr vor dem Abitur. Mit 16 Jahren wird er Führer in der rechtsextremen „Schill-Jugend“, mit 17 Eintritt in die SA, mit 18 in die NSDAP.

In Berlin erlebt der junge Kripoinspektor die Verschmelzung von Gestapo und Kriminalpolizei zur Sicherheitspolizei als Teil der SS. Im Mai 1942 reist er nach Libyen – als Verbindungsmann der SS zur italienischen Kolonialpolizei. Und als im November 1942 deutsche Truppen das französische Protektorat Tunesien besetzen, wird Saevecke Vizechef eines SS-Einsatzkommandos. Er treibt jüdische Zwangsarbeiter für die Wehrmacht ein, und er beteiligt sich daran, bis zum April 1943 von den jüdischen Gemeinden 50 Millionen Franc und 43 Kilogramm Gold zu erpressen. „Mit großem Erfolg“, wird Saevecke 1944 gelobt, habe er „die Judenfrage im tunesischen Raum bearbeitet“.

Zwanzig Jahre später, 1963, teilt das Bonner Innenministerium mit, es gebe keine Gründe, Saeveckes Tätigkeit in Tunesien „disziplinarrechtlich oder strafrechtlich“ zu überprüfen. Der Regierungskriminalrat Theodor Saevecke ist 1963 Leiter der Abteilung Hoch- und Landesverrat im Bundeskriminalamt und Vizechef der Sicherungsgruppe Bonn. Als solcher hat er gerade, im Auftrag von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, die illegalen Verhaftungen von Spiegel-Redakteuren organisiert. Daraufhin veröffentlicht das Nachrichtenmagazin Bruchstücke aus Saeveckes Vergangenheit.

In der lombardischen Metropole ist die Empörung groß: Der „Henker von Mailand“ lebt nicht nur, er hat seine Polizeikarriere sogar erfolgreich fortgesetzt! Das Bonner Bundesinnenministerium muß einen Beamten nach Mailand schicken, der eine lange Reihe von Zeugen anhört. Sie schildern den Polizeiterror vom September 1943 bis zur Befreiung im April 1945. Etwa der Angestellte Otello Vecchio, bei dem Ersatzteile für ein Funkgerät entdeckt worden waren. Er berichtet, daß Saevecke ihn mit einem Ochsenziemer blutig schlagen und dann nach Dachau deportieren ließ.

Oder der jüdische Flüchtling Erich Wachtor: Er wurde im August 1944 aufgespürt. Saevecke, so berichtet er, habe ihn zunächst mit einem jüdischen Spitzel konfrontiert und ihm dann, als er keine anderen versteckten Juden preisgeben wollte, von einem Untergebenen 26 Zähne ausreißen lassen.

Im besetzten Mailand hatte das Außenkommando der deutschen Sicherheitspolizei unter SS- Hauptsturmführer Theodor Saevecke vor allem die politischen Gegner in den Rüstungsfabriken sowie die Juden aufzuspüren und „unschädlich zu machen“. Der Mailänder Historiker Luigi Borgomaneri macht Theodor Saevecke für die Deportation von 992 Arbeitern und Partisanen aus Mailand und seiner zugehörigen Provinz verantwortlich; 232 mit Gewißheit, wahrscheinlich aber 500 von ihnen starben in den Lagern. Ebenso wie 1.200 Juden; sie wurden vom Mailänder Gefängnis San Vittore aus per Bahn in die Vernichtungslager nördlich der Alpen transportiert.

In seiner Dienststelle beschäftigte Saevecke einen Judenreferenten, der relativ selbständig, nach Eichmanns Weisungen, arbeitete, jedoch zugleich auch unmittelbar Theodor Saevecke unterstand. Bis zum Sommer 1944 arbeitete der Referent in der beschlagnahmten Villa eines jüdischen Flüchtlings – im gleichen Haus hatte Saevecke sein Privatdomizil bezogen. Trotzdem sah sich 1971 sich ein Dortmunder Staatsanwalt außerstande, Saeveckes Behauptung zu widerlegen, er habe „nicht gewußt, daß Juden, die im Bereich des Außenkommandos Mailand festgenommen worden seien, später getötet werden sollten. Er (Saevecke) sei auch der Meinung gewesen, daß Juden nur wegen strafbarer Handlungen in das Gefängnis eingeliefert worden seien.“

Auch in diesem Fall ist das Gegenteil zu beweisen: Im Staatsarchiv Mailand liegt ein von Saevecke handschriftlich unterzeichnetes Dokument. Darin bittet Saevecke die italienische Provinzialverwaltung, „die Vermögenswerte des Juden Reinach sicherzustellen. Reinach wurde von mir am 6. Dezember 1943 in die Evakuierungsmaßnahmen einbezogen.“ Der beinahe 89jährige stirbt am 7. Dezember im Viehwaggon nach Auschwitz.

Das Dortmunder Ermittlungsverfahren gegen Saevecke wurde 1971 eingestellt.

Die Zeugenanhörung 1963 hat nur eine Konsequenz für Saevecke: Er wird in eine andere Abteilung versetzt (und geht 1971 in den Ruhestand). Dabei gab es belastende Aussagen genug: Der Widerstandskämpfer Pierino Strada etwa gab zu Protokoll, Saevecke habe am 10. August 1944 gegen 4 Uhr morgens im Gefängnis San Vittore selbst die Namen der zu Erschießenden in eine Liste eingetragen. Ihn selbst, Pierino Strada, habe Saevecke ins KZ Mauthausen geschickt. Als die Turiner Staatsanwaltschaft 1997 das Mailänder Widerstandsarchiv auf den Kopf stellt, um Tonbandaufnahme und Niederschrift dieser Aussage zu finden, ist sie verschwunden. Einer klammheimlichen Aktensäuberung zum Opfer gefallen?

Auszuschließen ist dies nicht. Saevecke hatte in den 60er Jahren gewiß beste Beziehungen zum italienischen Geheimdienst. In dessen Sold stand damals auch Saeveckes Kollege aus italienischen Kriegstagen, der Sicherheitsdienstler und SS-Major Karl Hass. Und von 1949 bis 1951 arbeitete Saevecke, nach eigenen Angaben, in Berlin für die CIA. Der US-Geheimdienst könnte seinen Mann durchaus vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt haben. So wie der militärische US-Geheimdienst den ehemaligen Lyoner Gestapochef Klaus Barbie in Dienst gestellt und vor der französischen Justiz geschützt hatte.

Dazu würde passen, daß das Protokoll der Vernehmung Saeveckes durch die britischen Ermittler bis heute nicht aufgetaucht ist. Diese Ermittler hatten, wegen der Geiselerschießung auf der Piazza Loreto, auch Saeveckes Mitarbeiter befragt, und diese Verhörprotokolle liegen durchaus vor: Sie sind heute die wichtigsten Beweismittel des Turiner Staatsanwaltes Pier Paolo Rivello.

Der hat das entdeckt, was 1988 auch die Staatsanwaltschaft Dortmund hätte finden können, als sie begann, gegen Saevecke zu ermitteln, und sich alsbald beklagte, sie könne weder von der UNO in New York noch aus Großbritannien „irgendwelche Unterlagen zu dem Tatgeschehen am 10.8. 1944“ erlangen. Dabei hätte sie nur beim Archivar des gut zugänglichen Public Record Office in London anzufragen brauchen, wie es neun Jahre später der Turiner Amtskollege tat. So aber wurde das Ermittlungsverfahren 1989 eingestellt.

Theodor Saevecke hatte noch einmal acht Jahre Ruhe. Tatzeuge Pierino Strada ist in der Zwischenzeit gestorben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen