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"Marokko wird verlieren"

■ Polisario-Chef Mohamed Abdel Aziz beurteilt die Chancen des Friedensprozesses für die Westsahara positiv, obwohl der Termin für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit verschoben ist

taz: Das Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara wurde schon wieder verschoben – vom Dezember 1998 auf April 1999. Schuld sind Meinungsverschiedenheiten zwischen der Polisario und Marokko bei der Erstellung des Wahlregisters. Wird die Frage, wer denn nun Sahraui ist und wer Marokkaner, den Friedensprozeß schon wieder zum Erliegen bringen wie bereits 1995?

Abdel Aziz: Eine Verschiebung um ein paar Monate ist nicht weiter tragisch. An ein Scheitern wie 1995 glaube ich nicht. Denn der UN-Sicherheitsrat nimmt die Frage des Westsahara-Referendums diesmal wesentlich ernster als früher. Nur deshalb wurde überhaupt ein so erfahrener Vermittler wie der ehemalige US-Außenminister James Baker eingesetzt. Nach einer so hochkarätigen Vermittlung würde der UN-Sicherheitsrat im Falle eines Scheiterns seine eigene Glaubwürdigkeit verspielen.

Mit welcher Zauberformel hat Baker den Friedensprozeß wieder in Gang gebracht?

Er hat die Polisario und Marokko ganz klar vor die Entscheidung gestellt, ob wir den UN-Friedensplan grundsätzlich akzeptieren oder nicht. Natürlich haben beide Seiten das bejaht. Baker ließ uns keine andere Wahl, als unter seiner Aufsicht in bilateralen Gesprächen die strittigen Punkte zu klären. Das Ergebnis war das Abkommen von Houston, wo wir uns auf einen genauen Fahrplan für den Friedensprozeß verständigten. Das heißt, die Wähleridentifizierung wiederaufzunehmen, die Flüchtlinge aus Algerien in die Westsahara zurückzuführen, die Kriegsgefangenen und politischen Gefangenen freizulassen und die Truppen in der Westsahara abzubauen. Am Ende steht das Referendum.

Läßt sich überhaupt feststellen, wer bereits zur Kolonialzeit nach Marokko auswanderte und heute zurück möchte und wer einfach Marokkaner ist?

Wir haben uns in Houston auf fünf Kriterien geeinigt. Wer auf die Wählerlisten will, muß mindestens eines davon erfüllen. Es gibt einen Zensus der spanischen Kolonialbehörden von 1974, in dem 74.000 Menschen aufgeführt sind. Sie gehören genauso dazu wie diejenigen, die nachweisen können, daß sie von jeher in der Westsahara gelebt haben und dennoch nicht von der Kolonialverwaltung erfaßt wurden. Hinzu kommen die Nachkommen beider Gruppen sowie die Menschen, die zur Kolonialzeit sechs Jahre ununterbrochen in unserem Land gelebt haben oder mit Unterbrechungen zwölf Jahre.

Wenn das so einfach ist, warum funktioniert es dann nicht?

Seit vergangenen Dezember wurden in den zehn UN-Büros in der Region 130.000 Menschen identifiziert. Die Marokkaner werden einsehen müssen, daß nicht alle 65.000, die sie gerne zusätzlich auf den Listen hätten, zum Schluß auch wählen können. Die marokkanische Regierung hat bereits 1995 versucht, diese Menschen bei der UNO anzumelden – ohne Erfolg. Bis auf 2.000 sind sie nicht im spanischen Zensus aufgeführt und gehören auch zu keinem der sahrauischen Stämme.

Marokko hält dennoch daran fest, die umstrittenen Personen für die Abstimmung registrieren zu lassen. Wenn das gelingt, könnte Marokko das Ergebnis des Referendums erheblich beeinflussen. Was wollen Sie tun?

Die Wähleridentifizierung ist keine Auseinandersetzung zwischen uns und Marokko, sondern zwischen Marokko und der internationalen Gemeinschaft. Die Marokkaner haben sich in Houston auf eine Reihe von Punkten festlegen lassen. Jetzt muß die UNO zeigen, ob sie den politischen Willen besitzt, dieses Abkommen auch durchzusetzen. Ob sie also bereit ist, die marokkanische Regierung dazu zu zwingen, einzuhalten, was sie unterschrieben hat.

Was passiert, falls das Referendum zugunsten eines Verbleibs der Westsahara bei Marokko ausgehen sollte?

Wenn die marokkanische Regierung nur die leiseste Hoffnung hätte, bei dem Referendum gewinnen zu können, würde sie bei der Wähleridentifizierung keine solchen Probleme machen. Die Marokkaner wissen ganz genau, daß sie ein freies Referendum haushoch verlieren werden. Deswegen versuchen sie es mit allen Mitteln hinauszuschieben und zu blockieren. Die Polisario wird jedenfalls das Ergebnis eines freien Referendums respektieren, auch wenn wir scheitern sollten und sich die Wähler zugunsten von Marokko entscheiden. In einem solchen Fall würden wir unsere Kämpfer demobilisieren und die Polisario auflösen. Wir wären froh, wenn Marokko auch eine so eindeutige Willensbezeugung abgegeben hätte. Interview: Reiner Wandler

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