: Die Bündnisgrünen zoffen sich um ihren Sprecher: Die Realos fürchten, daß allzu viel Bundeswehrkritik dem Regieren schadet. Die Linken glauben, Jürgen Trittin solle symbolisch für sie alle demontiert werden. Eine Einigung ist nicht in Sicht
Eigentlich wollte Jürgen Trittin heute schon im letzten Urlaub vor der heißen Phase des Wahlkampfs sein. Aber viel heißer als jetzt kann das Klima für den Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen kaum noch werden, und so sitzt er heute nachmittag auf einem Treffen der Fraktion in Bonn statt unter südlicher Sonne. Aus dem Streit über Äußerungen des Parteichefs zu Rekrutengelöbnissen ist ein grundsätzlicher Kampf der Strömungen geworden. „Joschka hat die Büchse aufgemacht“, meint die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer mit Blick auf die Rede des Fraktionssprechers am Freitag im Bundestag. „Danach hatte keine Seite die Lage mehr im Griff.“
Journalisten kamen übers Wochenende beim Mitschreiben der Beleidigungen kaum nach, mit denen sich manche Parteifreunde gegenseitig bedachten. Jetzt scheint die Gelegenheit günstig, persönliche Rechnungen zu begleichen. Mit seinen „radikalen Pöbeleien“ gefährde Trittin die Wahlchancen, meint der Bundestagsabgeordnete Manuel Kiper. Darüber muß sich letzterer tatsächlich Sorgen machen. Bei der Listenaufstellung in Niedersachsen unterlag er dem Vorstandssprecher im Kampf um den ersten möglichen Männerplatz und landete auf der wenig aussichtsreichen sechsten Position.
Der Abgeordnete Oswald Metzger wählte die Bild am Sonntag als Forum. Trittins „Vergleich der Bundeswehr mit der Wehrmacht“ sei „grotesk, unhistorisch, unpolitisch und auch unanständig gegenüber Mitgliedern der Bundeswehr“. Nun hatte der Vorstandssprecher in seiner Rede, die Stein des Anstoßes geworden war, diesen Vergleich gar nicht gezogen. Er hatte lediglich auf einer Protestveranstaltung gegen ein Rekrutengelöbnis in Berlin Verteidigungsminister Volker Rühe vorgeworfen, mit dem öffentlichen Zeremoniell die Bundeswehr in die Tradition der Wehrmacht zu stellen. Dabei wies er darauf hin, daß die Veranstaltung am Jahrestag des von SS und Gestapo verübten Massakers im tschechischen Dorf Lidice stattgefunden habe. Diesen Zusammenhang fanden auch politische Freunde von Jürgen Trittin geschmacklos – aber von einem Vergleich der Bundeswehr mit der Wehrmacht konnte keine Rede sein.
Es geht inzwischen jedoch weniger um Fakten als um Stimmungen. Dabei wollte die Fraktion noch in der letzten Woche neuen Familienkrach unbedingt vermeiden. Abgeordnete erzählen, alle hätten sich darauf verständigt, bei Angriffen aus dem Regierungslager sich nicht vom Vorstandssprecher zu distanzieren, sondern statt dessen in einem eigenen Entschließungsantrag die grundsätzliche Haltung der Partei zur Bundeswehr deutlich zu machen. Darin wurde die Kritik an Gelöbnissen auf öffentlichen Plätzen erneuert, die Bundeswehr aber auch als Parlamentsarmee gewürdigt.
Fraktionschef Joschka Fischer habe mit seiner Rede diese fraktionsinterne Vereinbarung gebrochen, meinen nun einige Abgeordnete. Er distanzierte sich im Parlament ausdrücklich von Jürgen Trittin und zeigte Verständnis dafür, daß die Regierungsparteien aus dessen umstrittenen Äußerungen politischen Nutzen ziehen wollten. Damit brachte Fischer die Linke in Harnisch. Mehrere Abgeordnete aus den eigenen Reihen stimmten danach nicht einmal mehr dem eigenen Entschließungsantrag zu.
„Weder Joschka noch Jürgen denken an die Partei“, wird in der Fraktion geklagt. „Es gibt eine Stufe, wo man nur noch an den eigenen Bauch denkt und dann unqualifiziert zurückhaut. Im Wahlkampf darf sich das keiner leisten.“ Es leisten sich aber immer mehr – strömungsübergreifend. Trittins Vorgänger Ludger Volmer heizt den Richtungskampf an. Der Parteilinke sieht in dem Streit einen Versuch der Realos, sich auf der ganzen Linie durchzusetzen, und meint: „Eine solche Partei zu wählen wäre ungefähr so interessant wie, Pfarrer Hintze beim Stopfen von schwarzen Socken zuzuschauen.“ Ausdrücklich dankt der Abgeordnete dem Parteichef, „daß er immer wieder den Mut hatte, trotz der öffentlichen Anfeindungen notwendige Gegenakzente zum Anpassungskurs der Fraktion zu setzen, wenn auch manchmal etwas schrill“.
Etwas schrill: Das beschreibt einen Teil des Problems. Jürgen Trittin hat es stets als seine Aufgabe verstanden, die Teile der Partei und der Wählerschaft zu integrieren, die sich durch den realpolitischen Kurs abgestoßen fühlen, für den Fraktionschef Fischer steht. Allerdings neigt der Parteichef bei seinen Bemühungen zu Wortradikalismus. So entsteht am Ende gelegentlich auch dann der Eindruck, die Linke habe eine Niederlage erlitten, wenn tatsächlich nur eine Formulierung abgeschwächt worden ist.
Der Zeitpunkt des neuen Familienkrachs, der jetzt so grobschlächtig und medienwirksam ausgetragen wird, ist kein Zufall. Angesichts dessen, daß die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene in greifbare Nähe gerückt zu sein scheint, wächst auf allen Seiten die Nervosität. Die Realpolitiker fürchten, daß allzu starre Prinzipientreue des linken Flügels eine Koalitionsvereinbarung mit der SPD verhindern könnte oder, nach Zustandekommen einer Regierung, das Bündnis beim ersten Konflikt auseinanderbricht. Das Risiko ist im Bereich der Außen-und Sicherheitspolitik besonders groß, weil in diesem Zusammenhang nicht nur innenpolitische, sondern auch internationale Rücksichten zu nehmen sind.
Die Linken sehen für sich die Gefahr, von den parteiinternen Gegnern über den Tisch gezogen zu werden. Trittin solle symbolisch demontiert werden, hieß es gestern aus ihren Reihen. Gelinge das, dann glaubten die Realos alleine den Kurs bestimmen zu können. „Gegen den linken Flügel der Grünen wird eine Koalitionsvereinbarung nicht durchzusetzen sein“, meint denn auch Ludger Volmer kämpferisch.
Manchen dämmert allerdings, daß sich die Grünen über ihren Kurs in einer möglichen Regierungskoalition kaum noch Sorgen machen müssen, wenn sie so weitermachen. Aber in all dem Getöse konnten sich mahnende Stimmen nur noch schwer Gehör verschaffen. „Wir machen uns ja jetzt selbst zum Thema. Wir fallen voll auf die Wahlkampagne der CDU rein. Es muß Schluß sein mit den Eitelkeiten“, warnte Fraktionssprecherin Kerstin Müller. „Wenn wir den öffentlichen innerparteilichen Streit nicht beenden, dann können wir einpacken im Wahlkampf. Unsere Basis erwartet zu Recht, daß wir uns am Riemen reißen.“ Erwartet sie das wirklich immer noch? Bettina Gaus
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