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Leben in der dünnen Luft

■ Als Kind wollte Gerhard Gundermann Agent werden, doch die Stasi schmiß ihn raus. Am Sonntag ist der „Dylan des Tagebaus“ gestorben

Sein Pathos hat man verlegen belächelt und war doch angerührt. Letzteres hat man nicht jedem erzählt. Der Liedermacher Gerhard Gundermann hielt nichts vom kühlen Maßhalten der Gefühle. Nicht immer laut, aber mit Verve sang er seine Leiden des alten DDR-Menschen und neuen Bundesbürgers heraus: Sehnsucht, Verlust, Vision, Kleinheit und Schmerz satt. Plötzlich soll „Gundi“ tot sein.

Gerhard Gundermann war vieles: Tagebau-Arbeiter, Baggerfahrer, Vater dreier Kinder, Ehemann, Stasi-Informant, Musiker, Dichter, Symbolfigur. Unter dem Decknamen „Grigori“ soll er acht Jahre lang gespitzelt haben, doch als Gundermanns Stasi-Verstrickungen bekanntwurden, schien es seinem Ruf kaum zu schaden. Es war schon die Zeit, Mitte der neunziger Jahre, als man eher der Instrumentalisierung der Gauck- Behörde durch die Demokratie mißtraute als dem, was tatsächlich in den Akten stand.

Als Kind will der 1955 geborene Gerhard Gundermann „Agent“ werden. Von der Offiziershochschule wird er später gefeuert; die Stasi schmeißt ihn raus, und die SED hängt ihm ein zweites Ausschlußverfahren an. Die schwierige Personaleinheit von Täter und Opfer sprach unter DDRlern eher für Gundermann. Gerhard Gundermann hatte man in der Öffentlichkeit groß werden und dann stürzen sehen, aber er hat weitergemacht, klein, immer an der Basis. Das konnte als eine glaubhafte Ermutigung durchgehen, weil es das Versprechen enthielt, daß man selbst weitermachen würde.

Gundermanns „Basis“ war bis 1997 ein Bagger in Welzow, in der Lausitz. Er schien einer aus dem Volk zu bleiben, der singende Baggerfahrer. In der Braunkohle fand Gundermann seine Metapher für den Umgang der Menschen miteinander und mit der Natur. In seinen Liedern ballte Gundi, der in der FDJ-Singebewegung groß geworden war, lange bis zur Ermüdung die Faust. Eine seiner erfolgreichsten Platten hieß „Der 7. Samurai“. In blaugestreiftem Fleischerhemd, Latzhose, Römerlatschen und nie ohne seine große Brille blieb er für jeden Ostler als proletarisch im Jetzt verankerter Hippie erkennbar.

Als Ostler verstand man den leisen Unterschied zwischen Traurigkeit und Depression, Klage und Jammerei, den Gundermanns Musik machte. Und auch sein Vokabular. Für die Bühne dichtete Gundi – im Alltag kam er ohne Scham mit Worten klar, die heute auf dem intellektuellen Index stehen: Utopie, Identität, Symbol. Das Plakative, auch das plakativ Idealistische an ihm machten es einem leicht. Ein Unwort der Wende baute er ironisch in seine Bühnenarbeit ein: „Gundermann und Seilschaft.“

Einmal schaffte er es sogar ins Vorprogramm seines großen Idols. Daß man ihn selbst den „Dylan des Tagebaus“ nannte, beinhaltete Anerkennung und Kritik zu gleichen Teilen. Auf „Engel über dem Revier“, seiner letzten Platte, klang er dann sanfter, melodiöser und verhaltener – klagend, fast wie ein Indianer im Reservat. „Wie soll ich leben in der dünnen Luft / die Ihr verbraucht für euer Marktgeschrei / Ihr hört ja nicht / wenn einer Hilfe ruft / hier unten hört man meilenweit.“ War das schon der Abschied?

Gerhard Gundermann sang den Blues des kleinen weißen Ostlers. Sein Leben war reich. Es tut gut, daß man seine Lieder noch hören kann. Anke Westphal

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