: „Wir alle sind die Kosovo-Befreiungsarmee“
Das Gebiet um Malisheve, 30 Kilometer von Priština, ist in der Hand albanischer Kämpfer. Die befreiten Territorien weiten sich aus. Konflikte mit Anhängern des kosovo-albanischen Präsidenten Rugova sind programmiert ■ Aus Malisheve Erich Rathfelder
Nur knapp 30 Kilometer südlich von Priština, dort wo die Ebene endet und Wälder die Hügellandschaft bedecken, beginnt das „befreite Gebiet Malisheve“. Es ist eines von mehreren solcher Territorien, die es jetzt in der südserbischen Provinz Kosovo gibt. In diese Gebiete traut sich die serbische Polizei nicht mehr. Hier herrschen die Männer in den Uniformen der UCK, der „Uštria Clirimtare e Kosoves“, der „Kosovo-Befreiungsarmee“. Sie tragen als Abzeichen den schwarzem albanischen Doppeladler auf rotem Feld.
Die Verständigung ist einfach. Nach einem Blick auf das Autokennzeichen wird höflich in deutscher Sprache nach den Papieren gefragt. „Gute Fahrt“, sagt der Posten und grüßt militärisch. Jetzt ist der Weg frei in die Hauptstadt des „befreiten Gebiets“ Malisheve.
Der Boden hier auf der Hochebene ist fruchtbar, Getreide und Mais stehen gut. Die Bauern auf den Feldern und die Jugendlichen in den Dörfern grüßen mit dem Viktory-Zeichen. Mein Begleiter, ein Albaner aus Priština, ist überglücklich. „Weißt du, was das für mich bedeutet, nach all den Jahren des Terrors durch die serbische Polizei hier von kosovo-albanischen Soldaten kontrolliert zu werden?“
Endlich ist Malisheve erreicht. Das Städtchen liegt im Zentrum des befreiten Gebiets, das jetzt auf eine Länge von 30 Kilometern erstreckt und schätzungsweise über 60.000 Einwohner hat. Doch jeden Tag wird das Territorium größer. Denn der albanischen Guerilla gelingt es, nicht nur neue Verbindungswege zu den Aufständischen in der nördlich gelegenen Region Drenica und in den westlich gelegenen Regionen herzustellen, sondern die serbische Polizei aus weiteren Dörfern der Region zum Rückzug zu zwingen. Wenn auch noch der serbische Posten um das Dorf Kijevo, das an der Verbindungsstraße von Priština nach Peć gelegen ist, erobert würde, wären die „befreiten Flecken“ miteinander verbunden undhätten eine Länge und Breite von je 60 bis 100 Kilometer.
Auf dem Marktplatz von Malisheve herrscht reges Treiben. Es wird alles angeboten, was hier auch vor dem Krieg zu finden war: Gemüse und Obst, Getränke, Kleidung, Schuhe, Werkzeug. Nachts kämen sogar Lastwagen an, sagt ein Verkäufer. Dann verlassen die Serben ihre Kontrollstellen an den Straßen und geben den Weg für Versorgungsfahrzeuge frei.
UCKler dürfen nicht mit der Presse reden
Männer in schwarzen Uniformen überwachen das Gelände. Es sind UCK-Militärpolizisten, die hier das Sagen haben. Vor dem Hauptquartier der Guerilla-Armee stehen Wachen in deutschen Uniformen. Diese habe man „billig in Deutschland erstanden“, sagt einer der herbeigerufenen Offiziere in fließendem Deutsch. Und gibt damit der Vermutung neue Nahrung, Kosovo-Albaner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, den Hauptaufnahmeländern der Gastarbeiter und Flüchtlinge der letzten Jahre, gäben in der Guerilla den Ton an.
Zu einem Interview will sich der Offizier aber nicht überreden lassen. Für Soldaten sei es verboten, mit der Presse zu reden. „Wir wollen erst richtige Regularien für die Arbeit mit der Presse finden“, erklärt der Offizier. Fragen nach der Politik und den Zielen der Bewegung könnten noch nicht repräsentativ beantwortet werden. „Einzelinterviews sind nicht legitimiert. In den nächsten Tagen wird es von uns eine Erklärung geben. Sie können sich aber auf unserem Territorium frei bewegen“, sagt er.
Viele Männer kommen zu dem Hauptquartier und wollen sich registrieren lassen. Nach dem Aufruf vor 14 Tagen wird die Generalmobilmachung jetzt Schritt für Schritt umgesetzt. „Mein Bruder ist schon bei der Armee. Ich will auch kämpfen, aber vorerst gibt es nur eine Waffe für eine Familie“, sagt ein junger Mann. Noch verfügt die Bewegung also noch nicht über genug Waffen, um alle Freiwilligen zu „versorgen“.
Über die Straße in Richtung des 15 Kilometer von Kijevo entfernten Kampfgebiets, wo 200 serbische Soldaten stationiert sind, brausen Autos hinweg. Nachschub und Leute werden mit Privatwagen an die „Front“ gebracht. Noch ist die Logistik der Guerilla nicht weit entwickelt. Doch schon gibt es Bauern, die in Uniform ihr Land bestellen. Sie sind stolz auf sie und tragen sie deshalb auch während der Landarbeit. „Wir sind jetzt hoffentlich so weit, unser Dorf aus eigener Kraft verteidigen zu können“, sagt einer der Männer. Die ethnischen Säuberungen in Westkosovo seien für ihn ein Schock gewesen, erzählt er. Noch vor vier Wochen sei auch hier das Dorf aus Hubschraubern beschossen worden. Seit regelrechte Fronten aufgebaut werden, müsse er nicht mehr Angst vor Überfällen durch die serbische Polizei haben. „Könnt ihr Hubschrauber abschießen?“ Er lächelt. „Sie sind jedenfalls nicht mehr gekommen.“
Es ist eine atemberaubend schnelle Entwicklung, die hier zu beobachten ist. Als kleiner Zirkel 1992 gegründet, machte die UCK mit Anschlägen auf „Kollaborateure“ seit 1995 von sich reden. Albaner, die mit Serben zusammenarbeiteten, wurden „bestraft“. Dieser Umstand provozierte den Verdacht, der serbische Geheimdienst habe beim Aufbau der Organisation seine Hand im Spiel. In Ausbildungslagern, die in Albanien, aber auch in Deutschland und Kroatien vermutet werden, wurden die Kämpfer der UCK auf ihren Einsatz vorbereitet.
Doch jetzt entwickelt sich die Organisation von einer Guerilla, die im Untergrund operiert, zu einer offen auftretenden Volksarmee. Denn mit den serbischen Militäraktionen seit Januar dieses Jahres wurden die von den serbischen Truppen angegriffenen Albaner in Drenica und Decani gezwungen, sich zu wehren und sich Waffen zu verschaffen. Diese Männer haben mit der ursprünglichen UCK und ihren aus dem Ausland kommenden Kämpfern eigentlich nichts zu tun – außer dem Umstand, daß sie Albaner sind und kämpfen wollen. Und so stellt sich die Frage, ob die alten Strukturen der Organisation der neuen Entwicklung noch angemessen sind. Unklar ist auch noch, welche Rolle die UCK in der kosovo-albanischen Gesellschaft spielen soll.
In dem Büro der „Demokratischen Liga des Kosovo“ sitzen die alten Kader des kosovo-albanischen Widerstands der Region. Der örtliche Vorsitzende der Liga, Cen Deska, und Ismet Gashi sind um die 40 Jahre alt. Sie sind friedliche Leute und wirken wie behäbige Familienväter. Als 1990 alle Albaner ihren Arbeitsplatz in den Institutionen des serbischen Staates verloren, halfen sie mit, eine Gegengesellschaft aufzubauen. Beide sind treue Anhänger des Präsidenten der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, der albanischen Angaben zufolge vor zwei Monaten von 90 Prozent der Wähler in seinem Amt bestätigt wurde.
Ismet Gashi organisierte das kosovo-albanische Schulwesen in der Region. Jetzt ist er verantwortlich für rund 10.000 Schüler der Grund- und Sekundarstufe sowie für mehr als 600 Lehrer. Da es in dieser Region keine serbische Bevölkerung gibt – hier leben 100 Prozent Albaner – konnten die Albaner die staatlichen Schulen verhältnismäßig problemlos übernehmen. Schwieriger war schon die Entwicklung eines Gesundheitswesens. „Wir waren auf uns allein gestellt und haben doch einige Probleme aus eigener Kraft lösen können“, sagt Cen Deska.
In Malisheve herrscht die Regierung Rugovas
Die serbische Polizei hat sich schon 1990 von hier in die Kreisstadt Orahovac zurückgezogen und ein riesiges, halbfertiges Gebäude hinterlassen. Hier in Malisheve gibt es also schon seit längerem ein von Albanern kontrolliertes Gebiet. Dabei wurden nicht militärische, sondern zivile Mittel angewandt: die des passiven Widerstands und des aktiven Aufbaus einer von den serbischen Institutionen unabhängigen Gesellschaft mit eigenen Strukturen und Finanzmitteln.
Wer hat jetzt die Macht in Malisheve? Wer treibt die dreiprozentige Steuer ein, die für den Gegenstaat bestimmt ist, und wer bekommt die Finanzmittel in die Hand? Wer übt Polizeigewalt aus? Die beiden Funktionäre lächeln. Hier bestimme weiter die Regierung Rugovas, das Ministerium für Erziehungswesen und die anderen Institutionen des Gegenstaats. Ein eigenes Polizei- und Justizsystem gebe es aber nicht. Und wie ist das Verhältnis zur UCK? Die beiden weichen aus.
Auf dem Marktplatz gefragt, antworten Jugendliche sofort. Wer hat die Macht in diesem Staat? „Die UCK.“ – Und die alte Regierung? „Ich weiß nicht. Wir sind alle die UCK.“ – Und Rugova? „Der ist unser Präsident.“ Auf der Hauptstraße fährt gerade ein neuer Geländewagen vorbei. In ihm sitzen bärtige junge Männer mit Sonnenbrillen. Es sind UCK- Kämpfer, die aus dem Ausland hierhergekommen sind. Sie geben jetzt den Ton an. Von den Jugendlichen bewundert, gibt es aber auch kritische Stimmen. „Schließlich waren wir es, die hier die ganze Zeit über ausgehalten haben“, sagt eine Friseuse mit Blick auf die „Rambos“.
Die Straße in das 15 Kilometer entfernte Kijovo ist trotz der Kämpfe noch nicht gesperrt. Die Front ist schon bedenklich nahe an das Dörfchen Laska Drenovc herangerückt. Bekim L. ist der Vorsitzende der Demokratischen Liga im Ort. Und auch Mitglied der UCK. „Hier gibt es keine Differenzen. Die Demokratische Liga ist für das zivile, die UCK für das militärische Leben zuständig.“ Bei einem abendlichen Treffen mit Mitgliedern der UCK und Zivilisten wird über das Verhältnis zur UCK diskutiert. „Wir dürfen nicht zu einem Militärstaat werden. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen den zivilen Institutionen und der neuen Armee finden“, ist das Resümee. Vor Tagen hätte niemand über ein solches Thema geredet. Die Entwicklung schreitet in der Tat atemberaubend schnell voran.
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