: Krieg ist Populismus mit anderen Mitteln
■ Beim Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien geht es weniger um einen Grenzstreit als um die Kontrolle der lukrativen und frisch ausgebauten grenzüberschreitenden Handelsrouten
In der äthiopischen Region Tigray gibt es eine asphaltierte Überlandstraße. Sie beginnt nordöstlich der Hauptstadt Mekelle kurz vor der Kleinstadt May Mekden und führt über den Grenzort Zalanbessa weiter nach Eritrea. Vor einem Jahr war der Asphalt noch fast frisch. Dort, wo bei Mey Mekden die unasphaltierte Allwetterstraße in diese neue Straße überging, führte eine kleine, ebenfalls asphaltierte Straße nach Westen ab. An deren Ende ragten einige siloartige Gebäude empor. Man könnte sie für Getreidespeicher halten. In dieser kargen Landschaft drängte sich eher die Vermutung auf, es könne sich um eine militärische Anlage handeln.
Jetzt ist der Ort Zalanbessa zwischen Eritrea und Äthiopien umkämpft. Aber es gibt dort keine „umstrittene“ Grenze. Das umstrittene Gebiet liegt 200 Kilometer westlich. Das einzige, was es in Zalanbessa gibt, ist die gut asphaltierte Straße nach Norden, gebaut von einer italienischen Firma und mit EU-Geldern finanziert.
Die Straße ist Teil eines Programms, aus der Steinwüste Tigray eine infrastrukturelle Musterregion zu machen. In der Provinzhauptstadt Mekelle herrschte vor einem Jahr Bauboom. In der Nähe eines anderen Ortes von Tigray, Adua, besuchte Bundespräsident Roman Herzog 1996 eine mit deutschen Geldern gebaute Textilfabrik. Ein Großflughafen war in der Planung, um Touristen in Jets direkt zu den historischen Stelen und Palästen von Axum zu bringen. An Krieg war nicht zu denken.
Bei der Betrachtung der Textilfabrik von Adua drängten sich Fragen auf. Einige hundert Kilometer südlich lag die Kapazität einer unter dem vorherigen äthiopischen Regime errichteten Textilfabrik vollkommen brach. Händler aus dem Osten Äthiopiens klagten, daß ihnen die Einfuhr von Textilien aus Asien unmöglich gemacht werde. Statt dessen seien sie gezwungen, Waren aus Eritrea abzunehmen – eine Art „brüderliche Hilfe“ Äthiopiens zum Aufbau des bürgerkriegszerstörten Nachbarns. Natürlich wurde diese „brüderliche Hilfe“ von den Hilfeleistenden nicht geschätzt. Sie galt als Teil eines Plans, das unabhängige Eritrea und die äthiopische Region Tigray – Heimat der neuen äthiopischen Regierung – auf Kosten des Restes von Äthiopien zu entwickeln. Die Armada von schwerbeladenen Lastwagen, die täglich von Süden nach Norden fuhr, galt als Ausdruck eines ungleichen internen Austauschs. Auf dem Rückweg hatten die Lastwagen ihre Hänger aufgeladen oder trasportierten leere Bier- und Mineralwasserflaschen.
Die von äthiopisch-eritreischem Streit begleitete Einführung einer eigenen eritreischen Währung, Nakfa, Ende 1997 änderte die Lage schlagartig. Alle grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Transaktionen, die über zirka 650 Mark hinausgingen, mußten künftig in US-Dollar abgewickelt werden. Die bisherigen Selbstverständlichkeiten des kleinen Grenzverkehrs kamen zum Erliegen. Der eritreischen Produktion wurde der bevorzugte Zugang nach Äthiopien gestoppt. Dem äthiopischen Markt wurde ein wichtiges Alltagsprodukt entzogen: Salz aus Eritrea. Erstmals materialisierte sich eine richtige „Grenze“, um die sich vorher keiner gekümmert hatte. Damit kamen auch „ungelöste Grenzprobleme“ ins Spiel, die seit Jahrzehnten keine Rolle gespielt hatten. Aber die heute am heftigsten umkämpften Zonen liegen nicht dort, wo die größten Grenzprobleme bestehen, sondern an den Grenzübergängen der ausgebauten Asphaltstraßen – bei Zalanbessa und an der Straße zum eritreischen Hafen Assab.
Auch die Bombardierungen von Asmara und Mekelle durch die jeweiligen Luftwaffen machen keinen militärischen Sinn. Sie zielen auf jene Städte, in denen durch etatistisch geprägte Entwicklungsdiktaturen „Fortschritt“ als Ersatz für den untergegangenen „Sozialismus“ zelebriert wird. Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea ist ein Krieg um die Ressource „Entwicklung“ und die damit verbundenen Versprechen. Keine der beiden Regierungen kommt heute innenpolitisch ohne populistische Mobilmachung aus, wobei mehr versprochen als gehalten wird. „Entwicklung“ ist eines dieser populistischen Versprechen. Militärische Mobilmachung ist Populismus mit anderen Mitteln. Thomas Zitelman
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