piwik no script img

Raum für Experimente in der Provinz

■ Eine Hymne: Was Oldenburg hat, was den Metropolen fehlt

„Was, Du kommst aus Oldenburg? Gibt's da überhaupt schwules Leben?“ Der das sagt, ist Mitte 20 (logo), trägt die Haare kurz und blondiert (wie sonst) und zur 501 ein Adidas-Jäckchen (vom Flohmarkt, klar). Wir stehen in einer dieser Großstadt-Kneipen herum, deren Namen sich niemand merkt, weil sie bald wieder schließen werden. An der Theke Becks aus Flaschen (frisch Gezapftes ist spießig), aus den Boxen quiekende Flöten und tumbe Bässe (wie in N.Y.).

Und die Leute? Sind Mitte 20, tragen kurze Haare, Flohmarktjäckchen. Und da wartet nun Roman begierig auf Gruselgeschichten aus der Provinz. Will was hören über wetternde Pfaffen und geifernde Nachbarinnen, giert nach Zeugnissen von Repression. Nicht, daß die Zeiten heterosexueller Gemeinheiten in der Provinz passé wären. Allein, die verzweifelten, letzten Attacken von Pastor Meier und Tante Gitta tangieren uns inzwischen kaum noch. Wir haben's uns nämlich gemütlich gemacht in Oldenburg. Und leben stolz in unserer kleinen, rosa Provinzmetropole. Dabei können wir nichts vorweisen, was in den Schaltzentralen der Bewegung als Beleg für ein lebenswertes Homo-Umfeld anerkannt würde – nur eine Untersuchung des Soziologen Michael Bochow, die belegt, daß die große Mehrheit der Provinzhomos ziemlich gern lebt wo sie lebt. Aber sonst? Eine Schwuso-Gruppe? Ein Oldenburger Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen? Eine offen lesbische Stadtratsabgeordnete gar? Fehlanzeige.

Nüchtern betrachtet, liegt genau darin unser Glück. Weil wir keine Gleichstellungsbeauftragten, keine Berufshomos haben, gibt's in der Oldenburger Szene auch keinen Streit um öffentliche Gelder. Weil im Stadtrat rosa ParlamentarierInnen fehlen, müssen wir auch keine schwulen Tannen in der Baumschutzssatzung berücksichtigen, ohne SVD-Ortsverein nicht immer wieder über Gemeinheiten anderer diskutieren, die uns nicht teilhaben lassen wollen. Sondern haben Zeit, uns um uns selbst zu kümmern.

„Wenn Lesben und Schwule sich nicht selbst was organisieren, gibt es kein Angebot“, hatte der Oldenburger schwul-lesbische „Na Und“ Verein 1989 verkündet. Rund acht Jahre später sind die Folgen: „Weil Lesben und Schwule sich selber was organisieren, wird einiges geboten.“ Ein Angebot übrigens, das Heteros dermaßen begeisterte, daß sie plötzlich in solchen Massen die „Rosa Disco“ im autonomen Alhambra stürmten, daß einige Homos beim „Na Und“ Verein ob des großen Hetero-Anteils Beschwerde einlegten. Der wiederum beriet flugs und verlangte den verdutzten Heteros an der Eintrittskasse die sogenannte „Mehrmark“ ab. Die Szene war amüsiert und entrüstet zugleich: die „Mehrmark“ wurde wieder abgeschafft. Ob sie albern war oder gerechtfertigt, die Aktion zeigt: In Oldenburg ist Raum für Experimente.

Daß der „Na Und“ Verein in den 80ern seine Arbeit mit dem Konzept von gleichberechtigter lesbisch-schwuler Zusammenarbeit begann, ist ein solches. Ein weiteres, daß er sich hütete, zwischen Party- und Polithomos zu polarisieren – und stattdessen politische Arbeit und die Organisation von Feten und kulturellen Veranstaltungen gleichermaßen betrieb. So bereitete Vielfalt und „Spezialisierung“ den Bode: Die Bisexuellengruppe hat im „Na Und“ Zentrum Raum gefunden, der schwul-lesbische Freizeitverein „Homophilias“ und die Uni-Schwulen, die 1993 das Schwulenreferat eröffneten, wurden ebenfalls sozialisiert.

Somit ist die Stadt groß genug, das Angebot so gefächert, daß sich der Wochenendtourismus in die Metropolen erübrigt; gleichzeitig aber ist die Stadt so klein geblieben, daß nach wie vor alle aufeinander angewiesen bleiben. Der Lederkerl und die Politschwester, die lesbische Bänkerin und der schwule Bauer sitzen hier in derselben Kneipe am Tresen. So schaffen sie eine Konstellation, die spannend ist und für eine in den Metropolen unbekannte Form des „Wir“-Gefühls sorgt. Jens Breder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen