: „Von der Polizei raustragen“
Neuer Konflikt im Karoviertel in letzter Minute entschärft: Steg drohte Roma-Club wegen Mietschulden mit dem Rauswurf ■ Von Kai von Appen
Ein drohender Konflikt im Karolinenviertel ist gestern in letzter Minute entschärft worden. Die Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) hatte dem Roma-Club „Negotin“ in der Marktstraße wegen 2.560 Mark Mietschulden zum 8. Juli die Räume gekündigt. Gestern nachmittag zahlten die Roma 1500 Mark Abschlag. Steg-Sprecher Rüdiger Dohrendorf: „Damit ist natürlich die Kündigung vom Tisch.“
Die Steg war sich der Brisanz ihres harten Vorgehens bewußt gewesen: „Es ist zu befürchten, daß sich in den nächsten Wochen die Situation um das Problem Roma im Karolinenviertel erneut zuspitzen wird“, schrieb Steg-Chef Hans-Joachim Rösner in einem Brief an Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD). Dieser möge bitte „alles Erdenkliche“ unternehmen, „um die sich andeutende Entwicklung abzufangen oder abzuwenden“.
Der Senator ließ jedoch die Steg abblitzen: „Es muß eine unkonventionelle Lösung gefunden werden, um den Treffpunkt zu erhalten“, so sein Sprecher Christoph Holstein gestern zur taz. Das aber sei „das Problem der Steg. Wir wollen keinen neuen Konfliktherd.“
Noch Anfang der 90er Jahre herrschten im Karoviertel chaotische Zustände. Frauen wurden von Jugendlichen sexuell belästigt und Läden überfallen, fast täglich kam es zu Randale mit der Polizei. „Die Kinder lungerten bis in die Nacht auf der Straße herum und machten nur Mist“, erinnert sich Ex-GALier und Roma-Kenner Michael Herrmann. Aufgrund der Initiative von Anwohnern um Herrmann war es damals zum Runden Tisch mit dem Bezirk Mitte, Steg und Polizei gekommen. Das Ergebnis: Die Einrichtung des Roma-Clubs „Negotin“ unter der Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).
Das Konzept ging weitgehend auf, der Club stieß auf Akzeptanz bei den rund 600 Roma im Viertel. „Der Sozialarbeiter hat mit den Kindern Sport gemacht, die haben hier in den Räumen musiziert“, berichtet Vereinsvorsitzender Mile Stephanovic. An der Schule Laeiszstraße unterrichtet seit Jahren Hamburgs erster Roma-Lehrer mit Erfolg. Der Anteil an Schulgängern ist von früher zwei Prozent auf nahezu 100 Prozent angestiegen.
Nun aber hat das DRK die Trägerschaft aufgegeben. Damit wird nicht nur die Sozialarbeiterstelle gefährdet, auch der Bezirk stellte die Mietzahlungen von 1200 Mark monatlich ein. Die Roma könnten die Clubräume aber nicht selbst finanzieren, sagt Stephanovic. Die Folge: Drei Monate Mietrückstand und die Kündigung durch die Steg.
Die würde selbst vor einer Räumung nicht zurückscheuen: „Wir werden sie notfalls von der Polizei raustragen lassen“, drohte Steg-Sprecher Dohrendorf noch gestern morgen. Die Roma hätten durchaus Geld, um die Miete zu zahlen: „Wenn die heute mit einem Tausender vorbeikommen, sind die Türen wieder offen.“
Und sie kamen. „Wir haben das Geld gesammelt, um zwei Mieten zu zahlen“, so ein Roma zur taz. „Aber wir hoffen, daß wir auch staatliche Zuschüsse bekommen, weil wir kein Geld haben.“
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