Dank AKWs hat Chicago bei Hitze keinen Strom

■ Marode AKW-Technik und mangelnde Reservekapazitäten führen zu Stromausfällen

Washington (taz) – Manchmal können sich die US-Bürger über die Kapriolen des amerikanischen Wetters freuen. Nur ein jäher Wetterumschwung im Mittleren Westen bewahrte letzte Woche die Chicagoer vor einer brutalen Hitzewelle, die zu den berüchtigten „rollenden Stromabschaltungen“ geführt hätte. Beim letzten Mal vor drei Jahren starben allein in Chicago 465 Menschen an Temperaturen um die 40 Grad bei fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Denn die Klimaanlagen liefen nicht – Commonwealth Edison (ComEd), der größte Stromversorger des Bundesstaates Illinois, hatte die Chicagoer bitten müssen, die Anlagen stundenweise abzuschalten.

Seit Jahren hat Illinois Probleme, seine Bürger mit Strom zu versorgen. Der Grund: Es hat zu viele Atomkraftwerke. Mit 14 AKWs stehen in Illinois mehr als in irgendeinem anderen Bundesstaat. Zugleich hat Illinois die schlechtesten Reaktoren und die höchsten Stromgebühren im Lande. Und bei jeder Hitzewelle passiert dann das, was Gegner der Atomkraft in den Sechzigern prophezeit hatten.

Damals setzte ComEd auf ein siebenprozentiges Wachstum des Strombedarfs und legte dazu ein babylonisches Kraftwerksbauprogramm auf. 13 AKWs wurden genehmigt. Greenpeace kennzeichnete 1993 in einer Studie den in Illinois gebauten Typ als unsicher. Das von einer Bürgerinitiative im gleichen Jahr in Auftrag gegebene Gutachten verwies die Kraftwerke aus Illinois auf die untersten Rangplätze bei Sicherheit und Zuverlässigkeit. Im Laufe der Jahre zahlte ComEd 94 Strafen von insgesamt über 7 Millionen Dollar für Mißachtung von Sicherheitsbestimmungen.

Illinois' AKWs „haben einen Dauerplatz auf der Überwachungsliste der Aufsichtsbehörde“, sagt Dave Craft vom Illinois Nuclear Energy Information Service. Entsprechend häufig mußten die Kraftwerke abgeschaltet werden. Aber auch die betriebsbereiten Kraftwerke konnten in Spitzenzeiten oft keinen Strom liefern. Während eines typischen Sommers arbeiten die AKWs an 100 Tagen nur bei 30prozentiger Auslastung oder müssen ganz abgeschaltet werden, weil die Umweltbehörde die Einleitung von erwärmtem Kühlwasser in die sommerlich aufgeheizten Flüsse untersagt.

Als dann das Wachstum des Strombedarfs sich bei bescheidenen zwei – statt sieben – Prozent einpendelte, begann der Stromgigant unter seinen Kosten zu ächzen. Also wälzte ComEd die Kosten auf seine Kunden ab. Da dies nur begrenzt möglich ist, sparte es an Infrastrukturinvestitionen und verringerte die Reservekapazitäten. Beides wurde ComEd in diesem Sommer zum Verhängnis. Der erzeugte Strom konnte nicht zum Kunden gebracht werden, die Kapazitäten gingen unter der gestiegenen Nachfrage aus. Als ComEd Strom zukaufen wollte, kamen wieder Amerikas Wetterkapriolen ins Spiel. Während Chicago nämlich unter der Hitze glühte, tobten über Ohio Stürme, die just jene Leitungen niederrissen, über die ComEd Strom nach Chicago bringen wollte. Peter Tautfest