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Hooligans die Prügeltour ausreden

■ In sogenannten Gefährder-Ansprachen nimmt die Polizei bekannte Schläger ins Gebet, um sie von "Frankreichfeldzügen" abzuhalten. Kritiker: Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt

Berlin (taz) – König Fußball mobilisiert nicht nur die Massen, sondern auch die Polizei: Vor dem Viertelfinalspiel zwischen der deutschen Elf und der aus Kroatien bei der Fußballweltmeisterschaft holen die Bundesländer zu Präventivschlägen gegen die Hooliganszene aus. Zahlreiche Fußballfans erhielten in der letzten Woche Hausbesuch von Ordnungshütern. Sie führen sogenannte Gefährder-Ansprachen – die Beamten nehmen die mutmaßlich aggressiven und schlagenden Fußballfans ins Gebet, um ihnen die Reise nach Frankreich auszureden.

In einigen Bundesländern greift die Polizei zu noch drastischeren Mitteln: Als erstes Bundesland verhängte Baden-Württemberg gegen 20 Hooligans Meldeauflagen: Die von der Polizei als Schläger und Randalierer eingeschätzten Personen müssen mehrmals täglich bei der Polizei vorstellig werden. Kurz darauf zog Bayern nach und verpflichtete ebenfalls 13 Personen dazu. Auch in Berlin mußten nach letzten Angaben 22 Fußballfans durch ein mehrmaliges Guten Tag auf der Polizeiwache anzeigen, daß sie noch hier sind.

Wer der Meldepflicht nicht nachkommt, den nehmen die Sicherheitsbehörden im schlimmsten Fall in Unterbindungsgewahrsam. So nahm die baden-württembergische Polizei vergangenen Montag, als die deutschen Kicker in Montpellier spielten, fünf Personen vorläufig fest.

Die Kriterien für das Vorgehen der Polizei bilden die von den Ländern im Computer gespeicherten Daten und Einteilungen potentiell gewalttätiger Hooligans. Gebündelt werden diese Daten bei der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS), die beim Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist. Die von den jüngsten „polizeirechtlichen Maßnahmen“ betroffenen Personen werden alle der „Kategorie C“ zugeordnet – das ist jene Gruppe von Fans, die als besonders gewaltbereit gilt. Bundesweit handelt es sich dabei um rund 2.100 Personen. Als Rechtsgrundlage für das Vorgehen dienen die Polizeigesetze der Länder. Berlins „Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz“ etwa räumt der Polizei im Einzelfall weitreichende Möglichkeiten ein, um eventuelle Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden.

Fredrick Holtkamp, Pressesprecher des Landeskriminalamts von Nordrhein-Westfalen, sieht in „Gefährder-Ansprachen“ und Meldepflicht taugliche Mittel, um neuerliche Ausschreitungen von Hooligans in Frankreich zu verhindern: „Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß es so gelingt, die Szene zu verunsichern.“

Weitaus kritischer bewertet Rainer Ahues, Rechtsanwalt in Hannover und Vorstandsmitglied des Vereins „Republikanischer Anwältinnen und Anwälte“, das Vorgehen: „Die Kategorisierung von Personen und die darauf basierende Verhängung von Meldeauflagen durch die Polizei widersprechen einer Reihe unserer rechtsstaatlichen Grundprinzipien.“ Zum einen hält der Anwalt die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte auf Grund diffuser Verdachtsmomente grundsätzlich für problematisch. „Das rechtliche Prinzip der Unschuldsvermutung wird so geradezu auf den Kopf gestellt“, erklärt er. Zum anderen verstoßen die von Polizeibehörden erlassenen Meldeauflagen in Ahues' Augen gegen das Prinzip der Gewaltenteilung: „Hierfür bräuchte es eigentlich eine richterliche Entscheidung.“

Dabei beklagt Rainer Ahues generell, daß der Polizei zur angeblichen „Sicherung der Ordnung“ in den letzten Jahren immer mehr Eingriffsmöglichkeiten eröffnet wurden. Die jüngsten Maßnahmen gegen Hooligans, deren gewalttätiges Auftreten auch er verurteilt, sind für den Anwalt daher eher Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung: „Die Verfechter einer harten Law-and-order-Linie haben sich durchgesetzt und definieren mittlerweile den gesellschaftlichen Standard.“ Volker Probst

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