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Staatsanwälte sollen entscheiden

■ Ralf Röber vom Internet-Provider ISB zum Problem rechtsradikaler Propaganda im weltweiten Datennetz

Antisemitische Propaganda stand längere Zeit im Internet im Gästebuch der Internationalen Stadt Bremen, einem Projekt des Bremer Internet-Providers ISB. ISB kommentierte den Eintrag zwar entsprechend, ließ den Hetzartikel aber auf seinen Seiten stehen – Zensur im Internet lehne man ab, hieß es. (vgl. taz, 30.6.) Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Wir fragten dazu ISB-Chef Ralf Röber.

taz: Was ist seit dem Bericht über Ihr Gästebuch passiert?

Ralf Röber: Wir haben eine große Anzahl von Anfragen bekommen, ob wir Leuten diesen Artikel schicken können. Andere haben gefragt, ob wir jetzt die Seiten gewechselt haben und rechtsradikal sind.

Sind Sie?

Natürlich nicht.

Hat sich denn nach den Reaktionen auf den taz-Artikel ihre Einschätzung geändert, wie man mit rechtsradikaler Propaganda umgehen sollte?

Wenn solche Sachen publiziert werden, können wir nicht als Hilfssheriff auftauchen.

Was werden Sie also machen?

Wenn irgendwelche Personen sich durch irgendwelche Äußerungen, die über unsere Seiten verbreitet werden, betroffen fühlen, dann werden wir diese Äußerungen an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Die soll dann sagen wie nach dem Gesetz damit umzugehen ist.

Ist die Staatsanwaltschaft nicht völlig überfordert, wenn die jetzt mit soundsovielen Internet-Verstößen bombardiert wird?

Möglich. Es weiß ja keiner, wie wir damit umgehen sollen.

Ist es denn ermittelbar, wer diesen Eintrag auf Ihre Seiten gegeben hat? Hat sich die Staatsanwaltschaft schon gemeldet?

Bisher hat noch niemand nachgefragt, von wem der Gästebucheintrag kommt. Nachvollziehbar ist das für Service-Provider, die ihre Log-Files aufbewahren und dokumentieren müssen auf jeden Fall – in gewissen Grenzen. Wir können sagen, der oder der Rechner oder der oder jener Online-Zugang hat zu dieser speziellen Uhrzeit diese Nachricht über uns abgesetzt.

Warum gehen Sie nicht vor Gericht? Sie sind unverdächtig, rechtsradikal zu sein. Ein Prozeß wäre doch eine Gelegenheit, sich als Kämpfer für die freie Meinungsäußerung zu profilieren.

Wir tragen uns ernsthaft mit dem Gedanken einer Selbstanzeige. Mir drohen maximal drei Jahre Gefängnis plus Geldstrafe. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß Richter in Bremen so aggressiv reagieren wie in Bayern. Die haben ein gekreuzigtes Schwein (das Logo einer Rock-Band, d. Red.) im Internet verboten, auf T-Shirts aber erlaubt.

Sind denn in Deutschland die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung gegeben, ob und wie man eingreift?

Über den Umgang mit Äußerungen, ob sie nun links- oder rechtsradikal sind, Aufforderungen zur Gewalt, sexistische Darstellungen, muß auf jeden Fall diskutiert werden – man soll nicht wegschauen. Daß das Internet das ganze beschleunigt, liegt einfach daran, daß wir hier das erste Mal ein Medium haben, das eine Massenverbreitung hat wie Zeitungen oder das Fernsehen. Es ist für jeden möglich, zu publizieren. Und das zu Kosten, die so gering noch nie waren und in einer Geschwindigkeit, die auch noch nicht bekannt war. Und das über Ländergrenzen hinweg, weltweit.

Es ist natürlich ein Unterschied, ob man Daten nur weiterleitet oder ob man Seiten hat, die man selbst betreut. Eigene Seiten kann man schon kontrollieren.

Richtig, aber nach welchem Recht soll ich handeln? Für die USA ist das, was in unserem Gästebuch stand, kein Problem.

Gibt es denn bei Ihnen eine Idee, wie das in Zukunft aussehen könnte. Denn die charmante Idee vom völlig freien Fluß der Information funktioniert doch nicht.

Davon können wir uns verabschieden. Völlig frei ist das nicht. Aber daß Internet-Service-Provider anfangen zu zensieren, ist technisch superschwierig, fast nicht möglich. Die Frage ist, wie wir mit faschistischen, rassistischen oder sexistischen Äußerungen umgehen. Handeln wir nach amerikanischem oder deutschem oder islamischem Recht? Was ist, wenn der Abrufende in Bremen sitzt, aber die Seiten in England liegen oder in den USA? Hinzu kommt, daß das Ganze dynamisch ist. Es ist immer nur ein Schnappschuß. In dem Augenblick, in dem das Laden der Seite beendet ist, funktioniert das alles nicht mehr. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, wie das Gästebuch aussah, als der Eintrag noch drin war.

Kann man etwas machen wie eine freiwillige Selbstkontrolle?

Freiwillige Selbstkontrolle würde bedeuten, daß wir uns zum verlängerten Arm der Staatsanwaltschaft machen. Wir sollten den Gedanken aufgeben, Internet-Service-Providern aufzuerlegen, alles zu dokumentieren. Das sind Datenmengen die wir durch die Gegend schieben, die kann man nicht kontrollieren. Zumal es eigentlich unsere Aufgabe sein sollte, die Daten möglichst schnell weiterzugeben. Wenn man jetzt jedes Bit einzeln angucken muß, das würde den Datenverkehr behindern. Das wäre so, wie wenn man die Polizei auffordere, den gesamten Autoverkehr zu kontrollieren, weil unter Umständen Autodiebe auf den Straßen unterwegs sind. Fragen: Christoph Dowe und Joachim Fahrun

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