: „Wir diskutieren die Lösung“
Wie Mitarbeiter der Firma CompuNet ihr Unternehmen und ihren Ex-Chef Jost Stollmann sehen, der in Gerhard Schröders Kabinett Wirtschaftsminister werden soll ■ Aus Kerpen Daniela Weingärtner
An den Tag, an dem Jost Stollmann dem Bundespräsidenten dankte, erinnert sich Stephan Eilerts noch ganz genau. Es war ja auch, wie Stollmann damals in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige mitteilte, ein denkwürdiger Tag. Am 26. April 1997 hatte Roman Herzog im Hotel Adlon, Berlin, seine „Ruck-Rede“ gehalten, und der CompuNet-Gründer schrieb: „Wir finden, daß er in der Sache total recht hat und recht daran tut, die Dinge jetzt ungeschminkt beim Namen zu nennen.“ „Wir“ – das waren drei engbedruckte Spalten mit Namen: „Dafür stehen wir, die Mitarbeiter von CompuNet, jeder persönlich ein.“
Ist Eilerts zuvor gefragt worden, ob er seinen Namen unter einem solchen Text sehen möchte? Die Frage irritiert ihn sichtlich. Der 30jährige mit dem offenen Blick und den keck zu Berge stehenden Haaren beugt sich über die weiße Platte seines Arbeitsplatzes und zeigt zur nächsten Vierergruppe von Schreibtischen: „Da drüben saß damals die Kommunikationsabteilung. Die haben den Text verfaßt.“ Es sei ihm gar nicht in den Sinn gekommen, den Text zu lesen, bevor sein Name darunterstand: „Ich kann mich mit dieser Anzeige voll identifizieren – ich fand das 'ne tolle Idee. Stollmann wußte, daß wir alle mit dem Inhalt einverstanden sind.“ Fast alle. Fünfzehn von damals fast dreitausend Mitarbeitern beschwerten sich. Stollmann antwortete ihnen: „Ich bedanke mich für Ihre kritische Verwahrung zu Ihrer Namensverwendung ... Wir verfolgen eine zweijährige Kampagne gegen die Miesmacherei ... Fast wörtlich wurden unsere Formulierungen in der Rede des Bundespräsidenten aufgenommen. Das gibt unserem Aufruf Rückenstärkung. Wir fühlten uns sicher, daß Sie hinter der Vorgehensweise stehen.“
Auch der 22. Juni 1994 war für Stephan Eilerts ein denkwürdiger Tag. Als er seinen Wagen morgens vor der kühnen Glaskonstruktion abstellte, die im Gewerbegebiet von Kerpen bei Köln das CompuNet-Logistik-Zentrum beherbergt, pinnten Gewerkschafter der HBV eine Einladung an seine Windschutzscheibe: Am selben Abend sollte im DGB-Haus in Köln der CompuNet-Betriebsrat gewählt werden. Für die meisten kam der Termin überraschend. Jost Stollmann, seine Frau Fiona und die Geschäftsführer setzten sich mit der Belegschaft zusammen. Man hat sich das Gespräch als „partnerschaftliche Kommunikation“ vorzustellen, denn die Stollmannsche „Vision“ kennt keinen Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – nach der CompuNet-Philosophie ist jeder Mitarbeiter ein Unternehmer.
Das Gespräch fand in der „Teppichabteilung“ statt, wie der Verwaltungstrakt aus Glas hausintern heißt. Schwarze Teppichböden, an den Wänden offene, weiße Regale, die für alle zugänglich sind und für Transparenz im Unternehmen stehen. Wenige Wände, alle aus Glas. Abschließbare Wandschränke werden nur für die Personalakten gebraucht. Die 15 CompuNet-Niederlassungen tragen alle die Handschrift desselben Innenarchitekten. Das Schmierpapier liegt immer links, in der zweiten Schublade von oben im schwarzweißen Schreibtisch, damit sich alle überall zu Hause fühlen. „Vor diesem Hintergrund kommen die Menschen, ihre Kreativität und ihre Ideen am besten zur Geltung“, heißt es in einer CompuNet-Broschüre.
Am Abend – so Eilerts – „war klar, daß die Initiatoren des Gewerkschaftsmeetings das Beste für die Mitarbeiter gewollt hatten“. In der Tat habe es Konflikte mit einem Geschäftsführer gegeben. Der habe sich aber zwei Tage zuvor vom Unternehmen getrennt – „der Herd des Bedarfs war weg“. Dennoch organisierte die Belegschaft Busse, um zur Wahl in Köln möglichst vollzählig zu sein. Stephan Eilerts weiß noch, daß es in dem Gewerkschaftsraum sehr heiß war und es nichts zu trinken gab. „Es ist nix Negatives dran, daß der Jost Stollmann gesagt hat, ich organisier' jetzt was zu trinken.“ Für den Gewerkschaftssekretär, der die Sitzung leitete, empfindet er noch heute Mitgefühl: „Ich fand es schade, daß die Gewerkschaft mich in keiner Weise überzeugen konnte. Ich hätte jemanden erwartet, der rhetorische Fähigkeiten hat.“ Seine Kollegen sahen das genauso. 85 Prozent stimmten in geheimer Wahl gegen einen Betriebsrat. Der HBV-Sekretär Gottfried Müller erinnert sich dagegen, von 168 Anwesenden hätten sich 131 der Stimme enthalten. Ein Protokoll, das den Widerspruch auflösen könnte, wurde nicht geführt.
Der Vorwurf, Jost Stollmann sei gegen Betriebsräte, erhält angesichts seiner politischen Pläne nun Brisanz. Bei CompuNet verstehen die meisten nicht, wozu ein Betriebsrat gut sein sollte. Zwar sagt eine Mitarbeiterin, die nicht zitiert werden möchte, die Bezahlung sei schlechter als anderswo. Wechseln will sie aber nicht, weil ihr das selbständige Arbeiten, die vielseitigen Aufgaben zuviel bedeuten. Ihr Freundeskreis allerdings könne diese Einstellung nicht verstehen.
Auch Stephan Eilerts hat diese Erfahrung gemacht. „Wenn Sie irgendwo in einer Kneipe sitzen, und Sie fangen an, von Ihrer Arbeit zu berichten, kann es sein, daß die Leute nicht das Phantastische mit Ihnen teilen, sondern sagen, der spinnt.“ Das liegt daran, daß solche Menschen eine andere Einstellung zur Arbeit haben, weiß Stephan Eilert. „Die arbeiten, um ihre Freizeit zu verdienen.“
Jost Stollmann würden diese Worte gefallen. Auch er wird seit Jahren nicht müde, einen neuen Arbeitsbegriff zu fordern. „Der Fokus auf Arbeit als Erwerbsquelle ist falsch“ lautet einer seiner Lieblingssätze. Auch ein Jahr nachdem der CompuNet-Gründer seinem „Kulturexperiment“, seiner „Fun-Company“ den Rücken kehrte, weht Stollmannscher Geist unverdünnt durch Flure, Lagerhallen und Rechnerzentralen.
Jeder Mitarbeiter-Kommentar ein Stollmann-Zitat, („Wenn Sie eine Bohrmaschine kaufen, wollen Sie doch gar keine Bohrmaschine, sondern ein Loch“), jedes Bild an der Wand Ausdruck der gelebten corporate identity. Ganz selbständig haben sogar die Lagerarbeiter ihre Hallen in Schwarz und Weiß gestaltet. Nicht einmal ein blauer Stuhl würde hier geduldet. Das riesige Wandplakat ist der einzige bunte Fleck. Darauf haben die Mitarbeiter beim Happening zum 10jährigen Firmenbestehen tanzende Körper gemalt und dazu ein Wort: „Bewegung“.
Vor zwei Jahren haben Jost Stollmann und die anderen Anteilseigner die Firma CompuNet an den amerikanischen Großkonzern General Electric verkauft, um mit erweitertem finanziellem Spielraum weitere Leistungen anbieten zu können. Ein Jahr später schied Stollmann aus. Er sagte damals, er habe „keine Lust auf Konzern“.
Für Irene Koll, seit vier Jahren eine der Geschäftsführerinnen in Kerpen, ist Stollmann „als Mensch nach wie vor da“. Er hat sie 1988 eingestelllt. Sein Abschied sei ein bewegender Moment gewesen. „Viele haben geweint.“ Was die politischen Pläne des Firmengründers angeht, ist die 31jährige skeptisch. „Wir diskutieren hier nicht über ein Problem. Wir diskutieren über die Lösung. Herr Stollmann ist Visionär. Er braucht kurze Wege – das macht keine Partei so wie wir hier. Ich wünsche jedem, daß er so was mal selber erlebt.“ Herr Stollmann könne ein Anstoß sein, „egal in welcher Partei“.
Die alleinerziehende Irene Koll arbeitet vier Tage pro Woche. Ihr Gehalt als Geschäftsführerin wird nach einem ausgefeilten Anreizsystem ermittelt: einer Mischung aus festem Grundgehalt, Unternehmensgewinn und persönlicher Leistung. Zu Beginn jeden Jahres vereinbart sie mit dem Vorstand ihre individuellen Arbeitsziele. Am Ende wird dann gemeinsam entschieden, ob sie den Erwartungen gerecht geworden ist. Dieses System hat CompuNet vom neuen Mutterkonzern übernommen.
Harald Lindlar, 31 Jahre alt und verantwortlich für „Corporate Communications, Europe“ war erst sechs Monate im Unternehmen, als Stollmann CompuNet verkaufte. „Mein Praktikum hier war so lustig, da bin ich geblieben. Hier geht richtig was ab. Bei der Lokalzeitung, wo ich vorher war, durfte ich nichts machen.“ Lindlar betreute die Mitarbeiter-Hotline, die Stollmann einrichten ließ, als der CompuNet-Verkauf bekanntgegeben wurde. „Die meisten wollten wissen: Was bedeutet das für meine Karriere?“ Lindlar unterbricht sich. Er habe, so sagt er entschuldigend, gelegentlich noch Probleme mit dem corporate wording. Karriere sei ein blödes Wort. Schließlich gebe es im Unternehmen maximal drei Hierarchiestufen, das „Du“ überspringe alle Kommunikationshürden. Er habe vermitteln können, welche Chance General Electric für alle bedeute. In den Mitarbeiterzeitungen des amerikanischen Großkonzerns komme viel von der „GE-Kultur“ rüber: „Stollmann war stolz, daß er ein Unternehmen gefunden hat, wo die Kulturen sehr stark zusammenpassen.“
Im Gespräch mit der Zeitschrift Econy bezeichnete Stollmann das „Kulturexperiment CompuNet“ allerdings als beendet. Sozialkompetenz und Menschenbild seien im Alter von 23 Jahren festgelegt, da würden weder Kopfstände noch Voodoo-Kurse helfen. Deshalb basteln er und seine Frau in ihrer neuen Firma create-it jetzt an Lernsoftware für Kinder.
Am Ende eines Arbeitsjahres bei CompuNet verhandeln die Mitarbeiter gemeinsam mit ihren Teamleitern über den Bonus, den sie sich verdient haben. Dann wird über „Quality“ gesprochen. Und wie wird sie gemessen, diese Qualität? Die Geschäftsführerin Irene Koll sagt dazu nur, daß es nie zum Streit darüber komme, ob „Quality“ nun erreicht worden sei oder nicht. Die CompuNet-Kultur ermögliche es, immer wieder neu den Interessenausgleich zu finden. „Quality“ zu verstehen findet auch Stephan Eilerts denkbar einfach: „Qualität macht Spaß! Das sind so Dinger, wo ich denke: Ja, so ist es!“ Wer noch immer nicht versteht, dem empfieht er den CompuNet- Button mit der Frage: Wer ist verantwortlich für Qualität? „Den müssen Sie nur rumdrehen. Auf der anderen Seite ist ein Spiegel...“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen