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Der Rockstar auf zwei Rädern

Radprofi Richard Virenque genießt seine Rolle als Liebling der Franzosen, möchte aber endlich auch mal die am Samstag in Dublin beginnende Tour de France gewinnen  ■ Von Mirjam Fischer

Wenn Manolo Saiz, der Teamchef des spanischen Rennstalls Once, Richard Virenque irgend etwas zu sagen hätte, würde er ihm zuerst einmal den Mund verbieten. Weil ihm der Franzose ganz einfach eine Spur zu großmäulig ist. „Richard ist ein herausragender Rennfahrer“, sagt Saiz, „nur wäre er problemlos auch einmal der Beste, wenn er nicht ständig seine Energie damit verschwendete, sich zum Alleinunterhalter einer ganzen Nation zu machen.“

Aber Manolo Saiz hat Festinas gehätscheltem Tourfavoriten Virenque nichts zu sagen. Und der würde selbst unter der Fuchtel des drillfreudigen Spaniers einen Teufel tun, sich den Spaß als Medienstar verderben zu lassen. „Ich bin der Mittelpunkt einer großen öffentlichen Party“, schwärmt Publikumsliebling Virenque, der seinen schüchternen Landsmann Laurent Jalabert längst in der Gunst der französischen Fans abgelöst hat, „und es gefällt mir außerordentlich, wenn die Leute wegen mir in Ekstase geraten, als wäre ich ein Rockstar.“ Und weil Extrovertiertheit dem Geschäft nicht schaden kann, hat der Uhren herstellende Sponsor mit Sitz in Andorra große Freude an den marketingstrategisch gut plazierten Showeinlagen des vorlauten Virenque. Zum ungetrübten Glück fehlt nur, daß der in diesem Jahr endlich die Tour de France gewinnt.

Viermal hintereinander war Richard Virenque bei der Frankreich-Rundfahrt der beste Mann am Berg. 1996 schaffte es der 28jährige hinter den Telekom-Profis Bjarne Riis und Jan Ullrich auf den dritten Platz. Dann kam vergangenen Sommer wieder dieser Ullrich, und es reichte Virenque mit 5:51 Minuten Rückstand zum zweiten Platz im Gesamtklassement. Jetzt kann den Geldgeber nur der Sieg noch vom Hocker reißen. Wer gewinnt, ist zweitrangig. Und damit nicht wieder etwas anbrennt, gibt Festinas Sportlicher Leiter Bruno Roussel dem hitzköpfigen Virenque diesmal den besonnenen Alex Zülle mit auf den Weg nach Paris.

Den Schweizer hatte Roussel zu Saisonbeginn von Once geholt, während sich Virenque schmollend in eine Ecke verzog. Da lockte ihn Roussel erst mit dem Versprechen wieder hervor, daß ihm Zülle auf den französischen Straßen die Vorherrschaft keinesfalls streitig machen würde. „Ich kann die Tour gewinnen“, behauptet Virenque trotzig. Die Betonung liegt auf „ich“. Hatte Alex Zülle doch seine Chance beim Giro d'Italia. Bis ihm in den Dolomiten die Luft ausging. Wie auch immer: Virenque kümmert nur, daß der Schweizer die Alpenpässe hinauf nicht auf dem letzten Loch pfeift, wenn er ihn braucht: „Ich bin besser vorbereitet als je zuvor, und mit Zülle im Rücken ist Jan Ullrich zu schlagen.“ Hätte der denn den Erfolg ohne die uneigennützige Hilfe von Bjarne Riis geschafft? Und will der 34jährige Riis diesmal nicht wieder sein Ding machen? Also hofft Virenque klammheimlich darauf, daß es im Juli ein fast auf sich allein gestellter Ullrich mit ihm aufnehmen muß, während er einen treu ergebenen Alex Zülle an seiner Seite haben wird.

Roussel ist schlau genug, seinem Zögling die Laune nicht zu früh durch Zurechtweisungen zu verderben. Weil Harmonie im Team das wichtigste ist, wenn man eine homogene Mannschaft wie die der Deutschen Telekom schlagen will. „Es wird sich alles von selbst regeln“, sagt der 41jährige Bretone. „Schließlich läßt sich ein Rennen nicht programmieren, ein Sieger nicht ausrechnen“, sagt er. Und wenn Alex Zülle, der 1995 hinter dem fünfmaligen Toursieger Miguel Induráin schon einmal Tour- Zweiter war, eine Chance hat, nach dem Gelben Trikot zu jagen, wird ihn Roussel nicht davon abhalten.

„Der Drang zur Offensive wird viel zu oft gebremst durch taktische Überlegungen“, sagt Roussel. Für ihn ist Zülle genauso wichtig wie Virenque. Eines ist jetzt schon sicher: Die diesjährige Tour- Strecke paßt besser auf Allrounder. Da konnte Kletterspezialist Virenque im Winter noch so viele Nachhilfestunden im Zeitfahren beim französischen Ergonomen Armel André nehmen, die Tour ist dennoch eher auf den Fahrertyp Ullrich zugeschnitten. Der kommt lässig über die Pässe und fährt locker gegen die Uhr. Genau wie Alex Zülle. Auch dem Weltmeister im Zeitfahren von 1996 wird der Parcours gefallen: Der erste Wettbewerb seiner Spezialität findet vor den schweren Pyrenäen- und Alpenetappen statt, und der 29jährige Zülle könnte im Gelben Trikot in die Berge gehen.

„Alles ist für die Tour bereit“, sagt Roussel, „wir wollen gewinnen, ganz egal, wie der Gegner heißt.“ Ob nun Ullrich, Riis, Jalabert oder Olano. Auch Marco Pantani, dem Roussel nach seinem Triumph beim Giro d'Italia so ziemlich alles zutraut, wird als Konkurrent gehandelt. „Die Tour de France ist absolut nicht nur eine Sache zwischen Festina und Telekom“, sagt Roussel, „ein solches Duell versuchen die Medien zu inszenieren, letztlich sind es jedoch nur die Fahrer, die das Rennen machen, nicht die Sportlichen Leiter und schon gar nicht die Presse oder das Fernsehen.“

Richard Virenque steht unter ungeheurem Leistungsdruck: „Die französischen Fans erwarten von mir, das ich mit letzter Kraft um das Gelbe Trikot kämpfen werde.“ Er wäre der erste Franzose nach Bernard Hinault 1985, den sie als Sieger in Paris bewundern könnten. „Und dann werde ich der ganz große Held sein“, sagt er voll optimistischer Vorfreude.

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