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Rechte schicken Vertriebene vor

In Polen herrscht Angst vor den Deutschen. Auf einheitlichen Formularen fordern ehemalige Eigentümer ihren Besitz zurück. Die Drahtzieher sitzen in Duisburg  ■ Aus Zielona Gora Gabriele Lesser

Als Staatsangehöriger des rechtlich fortbestehenden Deutschen Reiches, der 1945 noch seinen Wohnsitz in Kolzig-Lipke, Kreis Grünberg, hatte, bzw. als dessen Erbe fordere ich die Rückgabe und freie Verfügbarkeit über mein oben bezeichnetes Privateigentum.“ Der Bürgermeister im polnischen Kolsko bei Zielona Gora versteht kein Deutsch. Ratlos wendet er den amtlich wirkenden Brief hin und her. Doch das Haus auf dem beigefügten Foto kommt ihm bekannt vor.

„Boleslawa!“ Er reißt die Tür zum Nebenzimmer auf: „Guck dir das mal an! Das ist doch dein Haus! Die Deutschen wollen dein Haus zurück.“ Boleslawa Przybyla greift sich an den Hals. Ungläubig starrt sie abwechselnd auf die „Rechtsverwahrung“ – so der Titel auf dem Formular – und das Foto. Tatsächlich: „Ehrentraud Sorbe, geborene Leder“ steht unter dem „Antrag auf Eigentumssicherung“. Die sonst so resolute Polin bricht in hysterisches Lachen aus: „Das ist Lotte. Mein Gott, was will sie mit dem alten Haus? Sie hat doch selbst eines in Deutschland?“ Arbeiten kann Boleslawa Przybyla an diesem Tag nichts mehr. Sie fährt nach Hause. Vielleicht kann ihr die Nachbarin erklären, was der Brief zu bedeuten hat.

Elsbeth K. ist die einzige Deutsche, die noch immer in Lipka, dem früheren Kolzig-Lipke bei Grünberg im schlesischen Grenzgebiet, wohnt. Im Januar 1945 war sie 19 Jahre alt, schwanger und in einen Polen verliebt. Die Eltern und Geschwister flohen vor der Roten Armee in den Westen. Die anderen Deutschen mußten Monate später „auf Transport“ gehen. In die knapp 50 Bauernhäuser zogen vertriebene Polen aus dem Osten des Landes und Opfer des Wehrmacht-Befehls der „verbrannten Erde“. Die wenigsten kamen freiwillig. Für Elsbeth waren die ersten Jahre schwer. Doch mit der Zeit lernte sie polnisch und freundete sich mit den neuen Nachbarn an. Heute wird sie von allen im Dorf nur nasza Niemka, unsere Deutsche, genannt.

Als Boleslawa Przybyla die 72jährige fragt, was der Brief von Ehrentraud Sorbe zu bedeuten hat, schlägt diese die Hände über dem Kopf zusammen: „Alle haben doch gesagt, das ist nur Wahlkampf! Die Vertriebenenerklärung vom Mai: Da haben die in Bonn beschlossen, daß Polen nur dann in die EU kommt, wenn die Vertriebenen zurück in ihre Heimat dürfen. Und jetzt geht das so schnell. Das hätte ich nie gedacht.“ Doch sie beruhigt die Nachbarin sofort: „Das Haus ist doch bezahlt. Lotte kann es gar nicht zurückfordern. Es gehört jetzt euch. Und überhaupt: Wo sollt ihr denn hin, wenn sie wieder herkommt?“

Der Polin sackt der Boden unter den Füßen weg. Sie ist in dem Haus geboren. Vier Kinder hat sie darin zur Welt gebracht. Lipka – das ist ihre Heimat, ihr Dorf, ihr Haus. Und jetzt haben die Deutschen beschlossen, daß Edeltraud Sorbe zurückkommen darf. Boleslawa Przybyla versteht die Welt nicht mehr.

In der Bezirksverwaltung von Zielona Gora ist der Brief von Ehrentraud Sorbe bereits der dritte innerhalb eines Jahres. Zwar hat es auch früher Rückforderungen gegeben, aber nicht auf vorgedruckten Formularen und nicht von „Staatsbürgern des rechtlich fortbestehenden Deutschen Reiches“. Zofia Kulikowska, die Abteilungsleiterin im Grundbuchamt, bekommt alle Briefe, die an die Gemeinden rings um das schlesische Zielona Gora (Grünberg) gerichtet werden, auf den Tisch: „Beim ersten Antrag haben wir noch gedacht, daß sich der Deutsche das Formular selbst geschrieben hat, damit die Rückforderung wichtiger wirkt. Aber dann haben wir festgestellt, daß dieselben Vordrucke überall in Polen auftauchten: in Kattowitz, Oppeln, Breslau, in Stettin, Danzig und Thorn. Überall fordern die Vertriebenen auf denselben Formularen ihr Eigentum zurück.“ Von der Regierung in Bonn oder einer anderen öffentlichen Einrichtung konnten die Vordrucke nicht stammen, da jedes hoheitliche Zeichen fehlte. Der Urheber mußte einer der Vertriebenenverbände sein.

Die Spur führt nach Duisburg und zur rechtsradikalen Gruppierung „Bund für Gesamtdeutschland“ (BGD). Sie verbreitet die Vordrucke unter den Vertriebenen. Ehrentraud Sorbe, die in einem Dorf in Thüringen lebt, zeigt sich bei einer telefonischen Nachfrage entsetzt, als sie hört, was sie unterschrieben hat. „Ich will doch niemanden vertreiben! Die sollen meinen Antrag in den Papierkorb werfen. Und in Duisburg bestelle ich alles ab.“

Die 75jährige hatte eines Tages den „Antrag auf Sicherung des Privateigentums“ in ihrer Post gefunden. Absender war der Bund für Gesamtdeutschland in Duisburg. Sorbe bekommt regelmäßig Post von Vertriebenenverbänden. Sie hegte keinen Verdacht und sandte den geforderten Verrechnungsscheck in Höhe von zehn Mark nach Duisburg. Wenige Tage später traf eine umfangreiche Anleitung bei ihr ein, in der genau erklärt wurde, wie sie die angefügten Formulare auszufüllen hätte, um ihr Eigentum in der alten Heimat zurückzuerhalten. „Mir war das viel zu kompliziert. Ich habe das nicht verstanden. Was man da alles ausfüllen mußte! Über zehn Seiten. Die meisten von meinen Bekannten haben es gelassen. Ich auch. Jedenfalls zunächst.“

Dann aber sei so ein freundlicher Herr vorbeigekommen und habe ihr seine Hilfe angeboten. Frau Sorbe hatte noch Zweifel: „Ich hatte doch schon die 4.000 Mark Entschädigung bekommen. Und doppelt abkassieren – das geht doch nicht.“ Aber der Herr aus Duisburg beruhigte sie. Die Vertriebenen in Westdeutschland hätten viel mehr Geld bekommen, und jetzt wolle doch Polen in die EU, das Land müsse also den Vertriebenen Entschädigung zahlen. Ihr Haus und Grundstück in Kolzig-Lipke aber sei heute rund eine Million Mark wert. Mit läppischen 4.000 Mark sei sie ja wohl billig abgespeist worden. Das fand Frau Sorbe dann auch. Was sie am Ende alles unterschrieben hat, weiß sie nicht mehr. Es war ein ganzer Stapel. Ob auch eine Erbüberschreibung dabei war, daran kann sie sich nicht erinnern.

Diesen „Service“ nämlich bietet der „Bund für Gesamtdeutschland“ den Vertriebenen in den Anleitungen zu den Formularen ebenfalls an: „Wer keine Nachkommen hat, melde sich bitte bei der Aktion Privateigentumssicherung. Wir stellen zu jungen Deutschen Verbindung her, die ihr Erbe in Ostdeutschland in materieller und geistiger Hinsicht anzutreten bereit sind.“ Mit der Erbüberschreibung würden die Vertriebenen ein gutes Werk tun, schließlich würden sie damit „unserer Jugend in der übervölkerten (und in absehbarer Zeit voraussichtlich auch überfremdeten) Bundesrepublik die Hoffnung auf freie Entfaltung in den Jahrhunderte alten deutschen Landen erhalten“.

Daß dies keine leeren Worte sind, hat der Bund für Gesamtdeutschland schon am 7. und 8. Januar 1996 gezeigt. Das „wahlberechtigte schlesische Volk“, das aus rund 3.000 „Schlesiern aus den Landsmannschaften und Mitgliedern im Bund der Vertriebenen“ bestand, beschloß an diesen Tagen eine „Verfassung für das Land Schlesien“. Nachzulesen ist dies in den BGD-Zeitschriften und im Internet. Die Adresse des Bundes für Gesamtdeutschland wird über das rechtsradikale „Thulenet“ verbreitet, in der auch die Deutsche Volksunion (DVU), die Deutschen Nationaldemokraten (NPD) und die Republikaner (REP) vertreten sind.

Nach eigenen Angaben hat der BGD seit 1993 bereits über 40.000 Formulare an Vertriebene verschickt. Jetzt – in der Wahlkampfphase – will der Vorsitzende Horst Zaborowski in die Offensive gehen. In seinen Mitteilungen vermengt er geschickt die Argumentation und die zum Teil ausgesprochen scharfen Angriffe der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, oder des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gegenüber Polen und Tschechien mit seinen eigenen Forderungen. Ehrentraud Sorbe kann denn auch in den Forderungen von Zaborowski, Steinbach und Stoiber keinen Unterschied erkennen. „Wir Vertriebenen haben auch ein Recht auf Heimat“, sagt sie. Und von einer Warnung Steinbachs vor dem Bund für Gesamtdeutschland hat sie noch nie gehört. Sie dachte immer, die beiden Verbände gehörten zusammen. Jetzt will sie mit keinem von beiden noch zu tun haben.

Tatsächlich hat sich Erika Steinbach, die auch CDU-Bundestagsabgeordnete ist, niemals von den Forderungen des „Bundes für Gesamtdeutschland“ distanziert. Im Gegenteil: Anfang Juli erklärte sie auf einer Pressekonferenz in Bonn, daß der BdV niemanden davon abhalten könne, sich selber um die Rückgabe oder Entschädigung seines Eigentums zu kümmern. Genau das sagt auch der Bund für Gesamtdeutschland. Die Aktion der Eigentumssicherung sei eine „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Vertriebenen müßten sich selbst um die Sicherung ihres Eigentums kümmern. Das könne kein Verband oder Staat für sie tun. Auf die Idee, ihre zum größten Teil betagten Mitglieder vor der rechtsradikalen Organisation in Duisburg zu warnen, ist Steinbach bislang nicht gekommen.

Im polnischen Lipka ist die Welt seit dem Brief von Ehrentraud Sorbe aus den Fugen. Fast alle Familien wollen so schnell wie möglich die Umwandlung der Erbpacht in Eigentum beantragen. Ilse P. und Marianne Z. kommen seit 1968 fast jedes Jahr in ihre alte Heimat. Ein paar Brocken Polnisch haben sie auch gelernt. Die beiden alten Frauen sind zusammen mit „Lotte“ zur Schule gegangen. Ilse P. steht am Gartenzaun Boleslawa Przybylas. Sie versucht, der Polin Mut zu machen. Dabei ist sie selbst den Tränen nahe: „Die Stimmung im Dorf ist wie ausgewechselt. Wir kamen so gut mit allen klar. Aber wenn ich mir jetzt einen schönen Garten ansehen will, kommt sofort ein Pole angerannt und fragt, ob ich sein Haus zurückhaben will.“ Auch Marianne Z. ist verbittert: „Die Politiker in Bonn machen alles kaputt. Die Goclowskis, die heute in meinem Elternhaus hier im Dorf wohnen, waren sogar schon zu Besuch bei mir in Deutschland. Ob sie noch einmal kommen, weiß ich nicht. Jetzt sind alle voller Mißtrauen.“

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