piwik no script img

Islamische Frauenrechtlerin entführt

Konca Kuris kämpfte in der Türkei für die Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft und den Moscheen. Islamisten bedrohten sie. Jetzt wurde sie von Unbekannten verschleppt. Die Polizei hat keine Spur  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

In den türkischen Medien hat sich der Begriff „islamische Feministin“ eingebürgert. Die 37jährige Konca Kuris war ein Medienstar: begehrter Gast bei Nachrichtenmagazinen und Talkshows im Fernsehen und Interviewpartnerin der Tageszeitungen und Zeitschriften. Dort zog sie dann vom Leder: Wider das Patriarchat, wider die Männer, die den Islam für ihre Zwecke instrumentalisiert hätten, um ihre Herrschaft über die Frauen aufrechtzuerhalten. In der Nacht vom Donnerstag auf Freitag wurde Kuris in der östlichen Mittelmeerstadt Mersin von bewaffneten Männern vor dem Textilatelier, das sie zusammen mit ihrem Ehemann betreibt, entführt.

Drohungen war die Mutter von fünf Kindern, deren öffentliches Auftreten den orthodoxen islamischen Gruppierungen gegen den Strich ging, gewöhnt. Ihr Sohn Yahya Kuris sucht den Kreis der Täter in der illegalen religiös-extremistischen Gruppe Hisbollah, die seine Mutter mehrfach bedroht habe. Yahya Kuris wurde Zeuge von telefonischen Drohungen wie folgender: „Halt's Maul. Wir werden dich ermorden. Du befleckst den Islam.“ Die Polizei in Mersin setzte nach der Entführung eine Sonderkommission ein, die die Ermittlungen führen soll. Großangelegte Razzien zeitigten jedoch bislang keinen Erfolg.

Kuris zog gerade deshalb den Zorn der religiösen Extremisten auf sich, weil sie in der Vergangenheit zuerst in dem Mystikerorden der Nakșibendi und später in der Hisbollah wirkte. Die radikale Abrechnung mit ihrer Vergangenheit und die Hinwendung zu einem aufgeklärten Islam brachten ihr viele Freunde ein – und viele Feinde. Sie ließ sich über die Unsittlichkeit bei den Nakșibendi aus, berichtete, daß Frauen die Unterwäsche des Sektenführers waschen müssen. Selbst im Bett fühlte sie sich vom Ordensführer verfolgt.

Später entdeckte sie den Koran als einzig legitimen Mittler zwischen Gott und Mensch und startete Feldzüge gegen jene, die in ihren Augen den Koran mißbrauchten. Sie forderte die Säuberung des Buches, das bislang immer Männer übersetzt hatten, von der „patriachalischen Diktion“. Sie verlangte die Gleichstellung von Frauen und Männern bei Gebeten in der Moschee und sprach sich dafür aus, in der Muttersprache Türkisch und nicht auf Arabisch zu beten.

Kuris hatte sich zu einer Aufklärerin in Sachen Religion ernannt. Voller Bewunderung sprach sie von dem säkularen Republikgründer Mustafa Kemal (Atatürk) – ein Feindessymbol für die islamischen Sekten.

Die frommme Frau war außerdem in Mersin im „unabhängigen Frauenverband“ aktiv, der sich um die Gründung eines Frauenhauses zum Schutz mißhandelter Frauen bemühte. „Es geschah, weil sich meine Mutter für die Rechte der unterdrückten Frauen eingesetzt hat“, sagt Yahya Kuris über die Hintergründe der Entführung.

Der Fall passiert in einer Zeit, in der in der Türkei ein heftiger Streit um die religiöse Alltagspraxis entflammt ist. Zunehmend treten islamische Theologen auf den Plan, die die gängige orthodoxe-konservative Praxis in Frage stellen. Die Rückbesinnung auf den Koran, der neu interpretiert wird, ist dabei von zentraler Bedeutung. Als Frau, die sich dem Koran verschrieben hatte, spielte Kuris keine Außenseiterrolle wie viele säkulare Feministinnen. Sie vermittelte das Bild einer vorbildlichen Ehefrau, einer guten Mutter, die fromm und gottesgläubig war und kein Gebet verpaßte. Um der „Anmache durch Männer zu entgehen“ – so ihre Begründung –, trug sie ein Koptuch. Doch einen Kopftuchzwang schreibe der Koran nicht vor. Das Tragen des Kopftuches sei eine private Angelegenheit, eine persönliche Entscheidung des Individuums. Der Zwang, Kopftuch zu tragen, sei dagegen eine eine Erfindung von Männern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen