Überflutung durch jede Menge Sinn

Wodurch erfreut uns der Verschwörungstheoretiker? Durch seinen Eifer, den Glanz in seinen Augen. Mit wenigen intellektuellen Handgriffen besorgt er eine Überflutung der Welt durch Sinn. Immer filigraner wird er ihn ausspinnen, wenn du zu widersprechen beginnst.

Unvergeßlich der alte Feuilletonist, der mit leuchtenden Augen raunte, eines Tages werde herauskommen, daß niemand anderes als Moskau (er meinte noch das Zentrum des Weltkommunismus) für die Verbreitung der Rauschgiftsucht in den westlichen Ländern verantwortlich sei. Gleich hat man sie vor Augen, die Szene, wie ein KGB- Agent in San Francisco dem ersten besten Blumenkind einen Joint in die Hand drückt...

Umgekehrt kann man auch an den Welterklärungen der paranoiden Linken viel Freude haben. Mir ist besonders gut erinnerlich die Theorie der runden Autohinterteile. Plötzlich verschwanden an den Autos die Ecken und Kanten. Das erklärt sich aus gewissen rhizomartigen Kapitalverflechtungen; aus Profitgründen müssen die kostenintensiveren Maschinen, die zur Formung von Ecken und Kanten fähig sind, eingespart werden. Gerundete Bleche seien einfach billiger.

Der Glanz im Auge des Verschwörungstheoretikers rührt natürlich auch von seinem Scharfsinn, genauer: dem Stolz, mit dem ihn sein eigener Scharfsinn erfüllt. Ihm macht man nichts vor, ihm doch nicht. Die anderen Leute mögen sich täuschen lassen von den vordergründigen Erklärungen der Machthaber und ihrer bezahlten Schönredner – er, der Enthüller in der Rolle des Wissenden, durchschaut den Nebel der kunst- und absichtsvollen Vorwände. Neulich dieser zauberhafte Leserbrief: Die Befürworter der multikulturellen Gesellschaft seien doch bloß die nützlichen Idioten eines auf Weltherrschaft erpichten Islam...

Auch Hitler war Verschwörungstheoretiker: notorisch der Glanz in seinem Auge. Wenn der Komplott, den einer aufgedeckt hat und bekämpft, eine gewisse Größenordnung erreicht, ist natürlich Schluß mit lustig. Schon gar, wenn er über wirkliche Machtmittel verfügt, die Verschwörer zu bekämpfen. Weil ihre Tücke und ihre Energie ja seine eigenen sind, wird's dann wirklich lebensgefährlich.

Aber gibt's denn nicht wirklich so etwas wie Geheimabsprachen, Verschwörungen? Ich empfehle da immer den Roman „Libra“ von Don DeLillo. Er erzählt den Mord an John F. Kennedy als Ergebnis einer Verschwörung – bloß war das gar nicht das geplante und gewünschte Ergebnis. Verschwörungen unterliegen, wie alle anderen Handlungsprojekte, dem Druck der Wirklichkeit: Hinten kommt, um den Kanzler zu variieren, immer was anderes dabei heraus, ein Ergebnis, das den schönen Überfluß des Sinns abrupt versiegen macht.

Vermutlich gibt es nur eine Konstellation, in der, wenigstens kurzfristig, Verschwörung klappt: bei Eltern mit einem kleinen Kind. Sie können ihm weismachen, das Christkind habe die Geschenke gebracht, der Osterhase die Eier gelegt. Ist ein zweites, älteres Kind zur Stelle, treten unübersehbare Komplikationen auf... Michael Rutschky