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Wie ein Geisterzug durch Mitte und Prenzlauer Berg

■ Am Wochenende startete die erste „art-parade“. Studenten der HdK und freie Künstler wollten das Thema Leben und Tod künstlerisch auf die Straße tragen. Nachts mehr Teilnehmer als am Tage

Das riesige graue Konsummonster hat acht Augen und drei Köpfe. Es bewegt sich steif und schwerfällig durch die Straße. Aus seinem Bauch klimpert Kaufhausmusik, und eine freundliche Verkaufsstimme säuselt: „All das können wir Ihnen anbieten, überlegen Sie selbst.“ Das Ungetüm wankt weiter, die Auguststraße entlang, hinter ihm schleichen acht goldmaskierte Gestalten.

Die erste „art-parade“ von Studenten der Hochschule der Künste Berlin (HdK) sowie freien Künstlern zog am Wochenende durch die Bezirke Prenzlauer Berg und Mitte. Samstag nacht um 24 Uhr starteten die rund 30 kostümierten Künstler die „Nachtprozession“ vor dem Prater und kamen über den kleinen Wasserspeicher in der Straßburger Straße gegen 3 Uhr am Tacheles an. Am Sonntag mittag zog dann die „Tagprozession“ um 12 Uhr den umgekehrten Weg zurück.

Fast ganz ohne Musik bewegen sich die Akteure und wenigen Schaulustigen wie ein Geisterzug durch die Straßen. Außer einem leisen Violinespiel von einer Künstlerin hinter weißen Stoffen ist nichts zu hören. Kommt so eine Parade daher?

„Wir sind nur eine Art von Parade. Eigentlich sind wir eine Prozession. Der Unterschied ist, daß wir nicht aufmarschieren, sondern das Thema Leben und Tod an Orten szenisch darstellen“, sagt die künstlerische Leiterin Elisabeth Wendt. Ein Gegenstück zur Love Parade sei man deshalb nur im entferntesten Sinn.

In weiße und schwarze Stoffe, Strümpfe und Papier gehüllt, mit übergroßen Masken, Hüten oder auf Stelzen bewegen sich die Gestalten des Tages, die Themen Leben und Tod, wie Schlafwandelnde über die Straßen. An den acht „Stationen des Lebens“ verändern sie ihre Form oder werden im „Wagen der Verwandlung“, einer riesigen, rollenden Umkleidekabine, zu völlig neuen Gestalten.

Dennoch blieb die Kunstparade hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Gerade mal zehn Leute warteten vor dem Tacheles auf den Beginn des Zugs. Organisator David Reuter, der die Werkstatt „Spiel und Bühne“ an der HdK leitet, ist etwas enttäuscht. Er habe für die Tagprozession mit mehr Leuten gerechnet. Samstag nacht waren 500 Personen am Prater gestartet und immerhin 100 noch am Tacheles angekommen.

Eine zweite Auflage der „art- parade“ wird es aber ohnehin nicht geben. Wie Reuter betont, mache er Sachen nie zweimal. Die Idee sei spontan aus der Zusammenarbeit mit der Künstlerin Merysol Leon entstanden, die im Wasserspeicher als „Sinnbild des Lebens“ eine Tanzperformance zeigte. Susanne Sitzler

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